Wir leben in bekenntnisfreudigen Zeiten, kaum einer (Frauen inklusive), der ohne seine Innerstes nach aussen zu kehren, in einer Therapiegruppe oder in einer Talkshow akzeptiert würde. Wie wohltuend ist da ein Essay einer Philosophin – Eva Meijer, Jahrgang 1980, forscht an der Universität von Wageningen – , die weder ein wahrheitsgetreues Bild ihres bisherigen Lebens noch ein Selbstporträt vorlegen will, sondern ihr Leben als Brennglas benutzt, "durch das ich Struktur und Bedeutung der Depression betrachte. Das stellt nur einen kleinen Teil dessen vor, was ich über mich selbst erzählen könnte (und was in Worte gefasst wird, weicht immer von den zugrundeliegenden Geschehnissen ab). Gleichwohl geht es um einen wichtigen Teil meines Lebens und etwas, was mich stark geprägt hat."
Schon als Kind hat sie das Gefühl sie wäre besser nicht da, sieht im Leben etwas Trostloses und denkt, dass das nie besser werden würde. Die Therapeuten nahmen sie nicht ernst, weil sie knallige Farben (und nicht schwarz) trug – Psychologen und Psychiater sind oft etwas gar einfach gestrickt und glauben an die in sich stimmigen Theorien, die sie an der Uni gelernt haben. Wer nicht teilhaben wolle an der Fantasie, solle doch wieder zurück an die Uni, hat die Filmregisseurin Lina Wertmüller einmal gesagt. Das Gleiche gilt für die Teilnahme an der Realität.
Sie setzt sich mit den Existenzialisten auseinander und ist mit Camus einer Meinung, "dass wir das Absurde auf uns nehmen sollten." Nur eben: "Die Verpflichtung zur Freiheit und zum freien Willen ist bei einer schweren Depression gar nicht einzulösen."
Körper und Geist bilden eine Einheit, eine Depression wirkt sich auch körperlich aus, etwa aufs Gehirn. Eva Meijer macht dies in einfachen und deswegen überzeugenden Sätzen deutlich. Erhellend auch ihre Ausführungen zu Wittgenstein.
Eine Depression ist etwas gänzlich anderes als sich deprimiert zu fühlen. Aus gutem Grund nennt sich dieses Buch Die Grenzen meiner Sprache, denn die Sprache vermag die Erfahrung der Depression, dieses Gefühl der Lähmung, dieses Abgetrenntsein vom Alltagsleben, nur unzureichend zu erfassen. "Auf vergleichbare Weise unterscheidet sich eine gewöhnliche Angsterfahrung von einer tieferen, die Existenz selbst betreffenden Angst, die dein persönliches Dasein in Zweifel zieht."
Depressive und Nicht-Depressive sind in sehr verschiedenen Universen unterwegs. "Die Wahrheiten eines Depressiven sind so unstrittig wie die Wahrheiten eines nicht depressiven Menschen." Was also können Angehörige von Depressiven tun? Bleiben, in Alltagsdingen helfen, warten bis es vorübergeht. Mehr oder anderes scheint nicht möglich.
Depressive kommen zu Einsichten, die Normalos verschlossen bleiben. Sie erfahren Aspekte der Wirklichkeit, die schwer zu ertragen sind, aber eben auch nützlich sein können. "Wer eine Depression überstanden hat, weiss, dass es Sünde ist, Zeit an Dinge zu verschwenden, die nicht wirklich der Mühe wert sind."
.Fazit: Ein hilfreicher Augenöffner, unbedingt empfehlenswert.
Eva Meijer
Die Grenzen meiner Sprache
Kleine philosophische Untersuchung zur Depression
btb, München 2022
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