Mittwoch, 25. Mai 2022

Yoga, Tee, LSD

"Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag" heisst der Untertitel, der erste Satz dann jedoch: "Warum befasse ich mich eigentlich mit Bewusstseinserweiterung"? Ist Bewusstseinsveränderung und Bewusstseinserweiterung dasselbe? Ist es nicht, wie der nachfolgende Satz verdeutlicht. "Als Anästhesistin und Notärztin bin ich hauptberuflich eher Expertin für den kunstvollen Bewusstseinsverlust." Schon verblüffend, dass mich die Verbindung Anästhesie/Bewusstsein erstaunt, dabei könnte sie doch offensichtlicher gar nicht sein.

Sich Bewusstseinsveränderung zu wünschen heisst zuallererst, dass man mit dem Bewusstsein, das man hat, unzufrieden ist. Ich selber bin mit meinem ganz zufrieden, vor allem dann, wenn es wach ist, aber meist auch sonst, wenn es im Standby-Mode ist. Dazu kommt: Meine Atmung, mein Sehen, mein Hören funktioniert ohne bewusste Anstrengung. Mit anderen Worten: Ich habe alles, was ich brauche. Warum also befasse ich mit diesem Buch? Weil ich es anregend und hilfreich finde, mich mit Erfahrungen und Einsichten zu beschäftigen, auf die ich selber wohl gar nicht gekommen wäre.

Unser Bewusstseinszustand ist nichts Stabiles, er verändert sich ständig, mit und ohne unser Dazutun. Aktiv darauf Einfluss nehmen wir, wenn wir zum Beispiel Süssigkeiten essen oder Rotwein trinken. In diesem Buch geht es jedoch um Spezifischeres: Um den sinnvollen Umgang mit dem eigenen Bewusstsein, auch durch nicht-pharmakologische Techniken, seien es Yoga, Tanzen, Atemübungen und anderes mehr.

Meine eigenen Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen beruhen hauptsächlich auf Alkohol (Cannabis, LSD, Magic Mushrooms und Kokain kenne ich auch – ausser Kokain, dessen Gefährlichkeit mir sofort klar war, berührten sie mich wenig), mit dem ich mich intensiv auseinandergesetzt und von dem ich mich seit nunmehr 32 Jahren fernhalte. 

Andrea Jungaberle geht den Alkohol an wie alle anderen Substanzen auch – nüchtern und informativ. Das ist zweifellos hilfreich und gleichzeitig eben auch nicht, denn bei denen, die süchtig werden, hilft rational-fundierte Aufklärung wenig. Es gibt Ausnahmen, klar, doch dass es in Sachen Gefährlichkeit von Alkohol und anderen Drogen "letztlich einen offenen gesamtgesellschaftlichen Diskurs" (was auch immer das sein mag) braucht, ist vor allem dem Zeitgeist geschuldet. und ändert für Süchtige gar nichts. Was es wirklich brauchen würde, ist Charakterbildung – und diese ist dem westlichen Zeitgeist fremd.

Doch Yoga, Tee, LSD ist nicht primär ein Buch über Sucht, sondern ein Plädoyer für eine wissens- und vernunftbasierte Drogenpolitik, denn was heutzutage als legal und illegal firmiert, ist vor allem von Willkür (auch als Politik bekannt) geprägt. "Ich stelle dar, informiere und helfe dabei, eine eigene Grundhaltung zu dem Thema zu entwickeln  und wer vorhaben sollte, solche Substanzen zu sich zu nehmen, bekommt in diesem Buch hoffentlich die Wissensgrundlage für gute und sichere Entscheidungen mit auf den Weg. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker   der Dealer an der Ecke hat da leider nix zu melden." So isses!

Speziell zugesagt haben mir die Einschübe im Text, die einerseits Verblüffendes: "Wir befinden uns letztlich weltweit in einer wilden Studie zur Arzneimittelsicherheit: Dafür, dass jedes Wochenende zigtausende Ecstasy-Pillen geschluckt werden, gibt es erstaunlich wenige Notfälle und Todesfälle in diesem Bereich. Es scheint also trotz des bestehenden Nebenwirkungsprofils recht gut verträglich zu sein", und andererseits Grundsätzliches herausstreichen: "Es ist äusserst wichtig, in welchem Gefühlszustand und in welcher Umgebung man eine Erfahrung im erweiterten Bewusstsein macht! Das gilt natürlich umso mehr, je länger die Wirkung einer Substanz anhält."

Yoga, Tee, LSD  ist gleichzeitig ein sehr sachliches und angenehm persönliches Buch, in dem auch die kulturelle Dimension des Drogenkonsums (wie etwa Amazonas-Schamanen mit psychisch Kranken umgehen, zeigt unter anderem, dass Traditionen ganz furchtbar sein können) zur Sprache kommt.

Andrea Jungaberle gibt auch "konkrete Tipps zum Umgang mit Menschen in schwierigen und erweiterten Bewusstseinszuständen", denn auch diejenigen, die keine Lust haben auf psychoaktive Substanzen können in die Lage kommen, mit psychischen Ausnahmezuständen, zum Beispiel von Freunden, konfrontiert zu werden. Was ist also zu tun? "Generell gilt immer: Eigenschutz ist zentral wichtig." Was mich an die Sauerstoffmasken im Flugzeug erinnerte: Sich selber zuerst die Maske aufsetzen bevor man sich ums Kind kümmert. Und dann? Antworten finden Sie in diesem lesenswerten Buch ...

Fazit. Fundierte und hilfreiche Aufklärung.

Andrea Jungaberle
Yoga, Tee, LSD
Bewusstseinsveränderung 
in Wissenschaft und Alltag
Schattauer, Stuttgart 2022

Mittwoch, 18. Mai 2022

Das Leben in den Griff kriegen?

 Nach dem Aufwachen, der Film in meinem Kopf transportiert mich nach Santa Cruz do Sul. Dort: Sonnenschein, Vogelgezwitscher, der Jabuticaba-Baum. Hier: Sonnenschein, Vogelgezwitscher, der Apfelbaum.

Ich habe mir angewöhnt, nach dem Erwachen liegen zu bleiben und meine Gedanken zu beobachten – es ist völlig irre, unfassbar und faszinierend, was da abläuft: Rasant wechseln die Schauplätze an diesem Morgen. Gerade noch war ich in Oberschan und jetzt bin am Santa Monica Pier in Los Angeles. Dann tauchen Bilder vom Innern der Klosterkirche Disentis vor meinem inneren Auge auf, von meiner Mutter auf dem Sterbebett, von meiner Nichte, der Turnerin, von B, in die ich mich vor Jahren heftig verliebt hatte. Kurz darauf bin ich in Maienfeld, nehme den Weg durch Weinberge nach Landquart. Dann, übergangslos, wieder in Sargans bei der Tochter eines strengen Lehrers, die einen erfolgreichen Geschäftsmann geheiratet hat, dessen erste Frau mich einmal bei einem Spaziergang über ihn ‚aufklärte‘.

Dieser ständige Strom von Bildern und Emotionen, die sich (vermutlich) in Millisekunden abwechseln, lässt mich zwar staunen, doch hinterlässt er auch ein Gefühl von Hilflosigkeit. Die Vorstellung, wir könnten das Leben in den Griff kriegen, gehört angesichts dessen, was wir beobachten, erleben und erfahren können, zu den absurdesten, die wir zu denken imstande sind. Kein Wunder, suchen wir bei diesem ständigen Wirbelwind Halt, und das Gehirn, unser Illusionen-Produzent, liefert ihn. Thomas Mann meinte im Zauberberg: „Während er den versilberten Hobel über seine mit parfümiertem Schaum bedeckten Wangen führte, erinnerte er sich seiner verworrenen Träume und schüttelte nachsichtig lächelnd, mit dem Überlegenheitsgefühl des im Tageslicht der Vernunft sich rasierenden Menschen den Kopf über so viel Unsinn.“

Konzentriert euch, fordert der Lehrer in der Schule. Was er nicht sagt, ist: Vergesst alles, was euch durch Kopf und Herz geht. Nehmt nicht wahr, was ist, nehmt nur wahr, was ihr wahrnehmen sollt. Kein Wunder, fragen wir uns hin und wieder, worin der Sinn eines solchen Lebens liegen könnte.

Aus: Hans DurrerGregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern

Mittwoch, 11. Mai 2022

Philosophie & Depression

Wir leben in bekenntnisfreudigen Zeiten, kaum einer (Frauen inklusive), der ohne seine Innerstes nach aussen zu kehren, in einer Therapiegruppe oder in einer Talkshow akzeptiert würde. Wie wohltuend ist da ein Essay einer Philosophin  – Eva Meijer, Jahrgang 1980, forscht an der Universität von Wageningen – , die weder ein wahrheitsgetreues Bild ihres bisherigen Lebens noch ein Selbstporträt vorlegen will, sondern ihr Leben als Brennglas benutzt, "durch das ich Struktur und Bedeutung der Depression betrachte. Das stellt nur einen kleinen Teil dessen vor, was ich über mich selbst erzählen könnte (und was in Worte gefasst wird, weicht immer von den zugrundeliegenden Geschehnissen ab). Gleichwohl geht es um einen wichtigen Teil meines Lebens und etwas, was mich stark geprägt hat."

Schon als Kind hat sie das Gefühl sie wäre besser nicht da, sieht im Leben etwas Trostloses und denkt, dass das nie besser werden würde. Die Therapeuten  nahmen sie nicht ernst, weil sie knallige Farben (und nicht schwarz) trug  Psychologen und Psychiater sind oft etwas gar einfach gestrickt und glauben an die in sich stimmigen Theorien, die sie an der Uni gelernt haben. Wer nicht teilhaben wolle an der Fantasie, solle doch wieder zurück an die Uni, hat die Filmregisseurin Lina Wertmüller einmal gesagt. Das Gleiche gilt für die Teilnahme an der Realität.

Sie setzt sich mit den Existenzialisten auseinander und ist mit Camus einer Meinung, "dass wir das Absurde auf uns nehmen sollten." Nur eben: "Die Verpflichtung  zur Freiheit und zum freien Willen ist bei einer schweren Depression gar nicht einzulösen." 

Körper und Geist bilden eine Einheit, eine Depression wirkt sich auch körperlich aus, etwa aufs Gehirn. Eva Meijer macht dies in einfachen und deswegen überzeugenden Sätzen deutlich. Erhellend auch ihre Ausführungen zu Wittgenstein.

Eine Depression ist etwas gänzlich anderes als sich deprimiert zu fühlen. Aus gutem Grund nennt sich dieses Buch Die Grenzen meiner Sprache, denn die Sprache vermag die Erfahrung der Depression, dieses Gefühl der Lähmung, dieses Abgetrenntsein vom Alltagsleben, nur unzureichend zu erfassen. "Auf vergleichbare Weise unterscheidet sich eine gewöhnliche Angsterfahrung von einer tieferen, die Existenz selbst betreffenden Angst, die dein persönliches Dasein in Zweifel zieht."

Depressive und Nicht-Depressive sind in sehr verschiedenen Universen unterwegs. "Die Wahrheiten eines Depressiven sind so unstrittig wie die Wahrheiten eines nicht depressiven Menschen." Was also können Angehörige von  Depressiven tun?  Bleiben, in Alltagsdingen helfen, warten bis es vorübergeht. Mehr oder anderes scheint nicht möglich.

Depressive kommen zu Einsichten, die Normalos verschlossen bleiben. Sie erfahren Aspekte der Wirklichkeit, die schwer zu ertragen sind, aber eben auch nützlich sein können. "Wer eine Depression überstanden hat, weiss, dass es Sünde ist, Zeit an Dinge zu verschwenden, die nicht wirklich der Mühe wert sind."

.Fazit: Ein hilfreicher Augenöffner, unbedingt empfehlenswert.

Eva Meijer
Die Grenzen meiner Sprache
Kleine philosophische Untersuchung zur Depression
btb, München 2022

Mittwoch, 4. Mai 2022

Zum Krieger werden

Als ich während eines Einsatzes als Therapeut einer Kollegin gegenüber wortreiche Ausführungen über meine Sicht der Dinge 'unseren' Patienten anlangend machte, sagte sie unvermittelt: Du bist eigentlich eher Philosoph als Therapeut. Sie hatte recht: Ich bin eindeutig lebensphilosophisch unterwegs, mit studierten Philosophen verbindet mich allerdings gar nichts. Für mich wesentlich ist die Grundeinstellung, der sogenannte mind-set, und das meint in meinem Falle, sich als Krieger zu verstehen, der alles im Leben als Herausforderung nimmt und sich voll und ganz dem stellt, was ihm zustösst, ohne Klage oder Bedauern. Sein Ziel ist es, nicht im Urteil der andern, sondern vor sich selbst zu bestehen. Es sei inspirierend, ein Krieger zu werden, schreibt Joseph Goldstein in The Experience of Insight, niemand sonst könne es für uns tun, wir alle müssen es selber tun. „Be aware, moment to moment, paying attention to what's happening in a total way. There's nothing mystical about it, it's so simple and direct and straightforward, but it takes doing,“

Wie ich zum Therapeuten geworden bin? Ich habe einfach beschlossen, einer zu sein. Klar, ich hatte schon Skrupel, und nicht zu wenig, glaubte, ich müsste zuerst eine entsprechende Qualifikation erwerbenUnd so flog ich nach Minnesota, um mich im Hazelden Treatment Center über deren Counsellor-Ausbildung, die auf den 12-Schritten beruht, zu informieren.

Hazelden, da landeten die Berühmten, hatte ich gelesen. Auch von einem Priester hatte ich gehört, der von seinen Oberen dorthin geschickt worden war. Er erschien in Soutane, mit steifem Kragen, und erkundigte sich bei der Aufnahme, wie lange denn die Therapie dauere. Einen Monat, wurde ihm beschieden, worauf er sagte: Dann werde ich, schliesslich bin ich ein gebildeter Mann, es wohl in der Hälfte der Zeit schaffen. Und zur Antwort erhielt: Bei Ärzten, Anwälten und Priestern dauert die Behandlung in der Regel doppelt so lange wie üblich – ihre Egos sind schwieriger zu knacken.

Was meine Motivation sei, Therapeut werden zu wollen, fragt mich der Cheftherapeut. Mein Interesse gelte existenziellen Fragen, mich beschäftige, wie man leben solle, was ein gutes Leben sei. Da sei ich als Therapeut hier ganz falsch, denn da gehe es darum, die Leute wieder fit, also alltagstauglich zu machen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. sagt er. Ich kann kaum glauben, was ich da höre. Die Patienten wieder fit für unseren Wettbewerbs-Alltag und unsere Konsummentalität machen? Wirklich?! Nichts, das der Sucht förderlicher wäre als der Imperativ unseres Konsumirrsinns: Mehr-Mehr-Mehr! 

Hans Durrer: Greogors Pläne, neobooks 2021