In
meinen 20ern verliebte ich mich auf Fünen in eine junge Dänin und
in Dänemark. Ich las dann auch einige dänische Autoren, unter ihnen
Leif Panduro und Tove Ditlevsen, doch wie bei den meisten Büchern,
die ich einmal gelesen habe, ist mir ausser den Autorennamen so
ziemlich gar nichts geblieben. Mit anderen Worten; Abhängigkeit
von Tove Ditlevsen weckt
Erinnerungen und natürlich haben die meisten nichts mit dem
vorliegenden Buch zu tun.
Dänemark
zur Zeit der deutschen Besatzung. Die Protagonistin ist zwanzig,
ihren Mann, Viggo F., beschreibt sie unter anderem so: „Ein
Gebiss lehnt er mit der Begründung ab, dass alle Männer in seiner
Familie mit 56 Jahren gestorben sind, und das sei schon in drei
Jahren, wozu also diese Geldverschwendung?“
Sie schreibt an einem
Roman. Den Titel hat sie bereits, worüber sie schreiben will, weiss
sie hingegen noch nicht. „Ich schreibe einfach nur, vielleicht
kommt etwas Gutes dabei heraus, vielleicht nicht. Das Wichtigste ist,
dass ich mich beim Schreiben glücklich fühle, so, wie es immer
schon war.“ Genau so sollte Schreiben sein.
Viggo F. arbeitet bei der
Brandversicherung und schreibt selber Romane, die seine Gattin jedoch
nicht mag. Im 'Club der jungen Künstler' lernt sie Piet kennen,
denkt an Scheidung, doch als ihr Mann sich über ihr erstes Buch
begeistert äussert, verwirft sie den Gedanken, für den Moment, doch
Piet drängt. Nur eben: Sie verabscheut Veränderungen. Die Scheidung
kommt dann doch noch, aber nicht wegen Piet, sondern wegen Ebbe. Sie
wird Mutter, die zweijährige Tochter Helle beschreibt sie so: „Wenn
ich vormittags schreibe, setze ich sie mit ihren Bauklötzen und
Puppen zum Spielen auf dem Boden, und sie hat gelernt, mich nicht zu
stören. 'Mama schreibt', sagt sie feierlich zu ihrer Puppe, 'und
danach machen wir alle zusammen einen Spaziergang.'“ Wunderbar!
Die deutsche Besatzung
endet, berührend wie sie die deutschen Soldaten, „vielleicht erst
fünfzehn oder sechzehn“, beschreibt: „ Müde deutsche Soldaten
stolpern durch eine fremde Stadt mit der Frühlingssonne im Gesicht
...“. Eine feinfühlige Frau, doch mit konventioneller Treue hat es
sie nicht so.
Der zweite Teil handelt
wesentlich von ihrer Schmerzmittelsucht. „Im Laufe des Tages ging
es mir schlecht, so, wie ich es schon einige Male zuvor erlebt hatte.
Ich zitterte und schwitzte und bekam Durchfall. Ausserdem wurde ich
von einer panischen Angst gepackt, und mein Herz raste. Mir wurde
klar, dass ich diese Tabletten haben musste ...“. Sie lernt zu
unterscheiden: Mit Pethidin kann sie nicht arbeiten, mit Methadon
hingegen schon.
Wie alle Drogensüchtigen
ist sie eine gewiefte Taktikerin. So behauptet sie, unter
Ohrenschmerzen zu leiden, um Schmerzmittel verschrieben zu bekommen.
Ein Ohrenarzt, der merkt, dass er belogen wird, will sie nicht
operieren, ein anderer, der es nicht merkt oder nicht merken will,
tut es. Nach der Operation weiss sie zum ersten Mal, was
Ohrenschmerzen sind. Und verlangt nach immer grösseren Dosen von
Pethidin. „Kein Preis war zu hoch, um sich die unerträgliche
Wirklichkeit vom Leib zu halten.“
Tove Ditlevsen
beschreibt, sie analysiert nicht. Leicht und flüssig wirkt ihr
Schreiben. Sie rätselt nicht über die Ursachen ihrer Sucht, wird
zur Entziehungskur in eine Klinik eingewiesen, sie wiegt noch ganze
dreissig Kilo. Nur einer von hundert Patienten werde wieder gesund,
erklärt ihr der behandelnde Arzt. „Aber manchmal glaube ich daran,
dass Sie diese eine sind, weil Ihr Fall so aussergewöhnlich ist, und
weil Sie im Gegensatz zu den meisten Süchtigen noch etwas anderes
haben, wofür Sie leben.“ Weise Worte, er sollte recht behalten,
doch Tove weiss, solange sie lebt, wird die Sehnsucht nie ganz
sterben.
Tove Ditlevsen
Abhängigkeit
Aufbau Verlag, Berlin 2021