Sonntag, 21. Februar 2021

The world, I believe ...

The world, I believe, is far too serious, and being too serious, it has need of a wise and merry philosophy ... After all, only a gay philosophy is a profound philosophy; the serious philosophies of the West haven't even begun to understand what life is. To me personally, the only function of philosophy is to teach us to take life more lightly and gaily than the average business man does.

Lin Yutang: The Importance of Living

Montag, 15. Februar 2021

Abhängigkeit

 
In meinen 20ern verliebte ich mich auf Fünen in eine junge Dänin und in Dänemark. Ich las dann auch einige dänische Autoren, unter ihnen Leif Panduro und Tove Ditlevsen, doch wie bei den meisten Büchern, die ich einmal gelesen habe, ist mir ausser den Autorennamen so ziemlich gar nichts geblieben. Mit anderen Worten; Abhängigkeit von Tove Ditlevsen weckt Erinnerungen und natürlich haben die meisten nichts mit dem vorliegenden Buch zu tun.

Dänemark zur Zeit der deutschen Besatzung. Die Protagonistin ist zwanzig, ihren Mann, Viggo F., beschreibt sie unter anderem so: „Ein Gebiss lehnt er mit der Begründung ab, dass alle Männer in seiner Familie mit 56 Jahren gestorben sind, und das sei schon in drei Jahren, wozu also diese Geldverschwendung?“

Sie schreibt an einem Roman. Den Titel hat sie bereits, worüber sie schreiben will, weiss sie hingegen noch nicht. „Ich schreibe einfach nur, vielleicht kommt etwas Gutes dabei heraus, vielleicht nicht. Das Wichtigste ist, dass ich mich beim Schreiben glücklich fühle, so, wie es immer schon war.“ Genau so sollte Schreiben sein.

Viggo F. arbeitet bei der Brandversicherung und schreibt selber Romane, die seine Gattin jedoch nicht mag. Im 'Club der jungen Künstler' lernt sie Piet kennen, denkt an Scheidung, doch als ihr Mann sich über ihr erstes Buch begeistert äussert, verwirft sie den Gedanken, für den Moment, doch Piet drängt. Nur eben: Sie verabscheut Veränderungen. Die Scheidung kommt dann doch noch, aber nicht wegen Piet, sondern wegen Ebbe. Sie wird Mutter, die zweijährige Tochter Helle beschreibt sie so: „Wenn ich vormittags schreibe, setze ich sie mit ihren Bauklötzen und Puppen zum Spielen auf dem Boden, und sie hat gelernt, mich nicht zu stören. 'Mama schreibt', sagt sie feierlich zu ihrer Puppe, 'und danach machen wir alle zusammen einen Spaziergang.'“ Wunderbar!

Die deutsche Besatzung endet, berührend wie sie die deutschen Soldaten, „vielleicht erst fünfzehn oder sechzehn“, beschreibt: „ Müde deutsche Soldaten stolpern durch eine fremde Stadt mit der Frühlingssonne im Gesicht ...“. Eine feinfühlige Frau, doch mit konventioneller Treue hat es sie nicht so.

Der zweite Teil handelt wesentlich von ihrer Schmerzmittelsucht. „Im Laufe des Tages ging es mir schlecht, so, wie ich es schon einige Male zuvor erlebt hatte. Ich zitterte und schwitzte und bekam Durchfall. Ausserdem wurde ich von einer panischen Angst gepackt, und mein Herz raste. Mir wurde klar, dass ich diese Tabletten haben musste ...“. Sie lernt zu unterscheiden: Mit Pethidin kann sie nicht arbeiten, mit Methadon hingegen schon.

Wie alle Drogensüchtigen ist sie eine gewiefte Taktikerin. So behauptet sie, unter Ohrenschmerzen zu leiden, um Schmerzmittel verschrieben zu bekommen. Ein Ohrenarzt, der merkt, dass er belogen wird, will sie nicht operieren, ein anderer, der es nicht merkt oder nicht merken will, tut es. Nach der Operation weiss sie zum ersten Mal, was Ohrenschmerzen sind. Und verlangt nach immer grösseren Dosen von Pethidin. „Kein Preis war zu hoch, um sich die unerträgliche Wirklichkeit vom Leib zu halten.“

Tove Ditlevsen beschreibt, sie analysiert nicht. Leicht und flüssig wirkt ihr Schreiben. Sie rätselt nicht über die Ursachen ihrer Sucht, wird zur Entziehungskur in eine Klinik eingewiesen, sie wiegt noch ganze dreissig Kilo. Nur einer von hundert Patienten werde wieder gesund, erklärt ihr der behandelnde Arzt. „Aber manchmal glaube ich daran, dass Sie diese eine sind, weil Ihr Fall so aussergewöhnlich ist, und weil Sie im Gegensatz zu den meisten Süchtigen noch etwas anderes haben, wofür Sie leben.“ Weise Worte, er sollte recht behalten, doch Tove weiss, solange sie lebt, wird die Sehnsucht nie ganz sterben. 

Tove Ditlevsen
Abhängigkeit
Aufbau Verlag, Berlin 2021

Montag, 1. Februar 2021

Entscheide selbst!


Kaum eine Pressemeldung, die Jordan B. Peterson, Professor für Psychologie an der Universität Toronto, nicht als umstritten und zugleich anregend bezeichnet. Seine Botschaft läuft so recht eigentlich auf etwas höchst Einleuchtendes hinaus: Übernehmt Verantwortung! Werdet endlich erwachsen! Das sagt uns auch der gesunde Menschenverstand, nur eben weit weniger gelehrt und fundiert als Professor Peterson es tut.

Im Vorwort weist der Arzt und Neurowissenschaftler Norman Doidge auf Fundamentales hin, das nicht immer gern gehört wird: Das Leben ist gleichbedeutend mit Leiden. Nicht, weil die falschen Leute an der Regierung sind oder weil der Chef ein Depp ist. Klar, deswegen auch, doch das ist nicht das Entscheidende. Es geht um Grundsätzlicheres: "Wir leiden, weil wir als Menschen zur Welt gekommen sind und allein dadurch Kummer genug mitgebracht haben. Und selbst wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person zufällig einmal nicht leidet, die Aussicht, dass es in Zukunft so bleibt, steht eher schlecht – falls sie nicht unverschämtes Glück haben. Denn eigentlich ist alles schwer. Kinder grosszuziehen ist schwer. Arbeit ist schwer. Alter, Krankheit und Tod sind schwer. Laut Peterson würde es sogar noch schwerer, wenn man all dies allein durchstehen müsste, ohne Liebe, ohne Weisheit, ohne die Weisheit der grossen Psychologen."

"12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt" ist eine gescheite, differenzierte und ungewöhnliche Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens. Das erste Kapitel ist mit "Steh aufrecht und mach die Schultern breit" überschrieben und beginnt mit den Hummern und den Vögeln und ihrem jeweiligen Revier. Jordan Peterson zeigt auf, dass die Hackordnung sowie das Prinzip der ungleichen Verteilung nicht vom Menschen erfunden wurden, sondern in der Natur angelegt sind. "Vor dreihundertfünfzig Millionen Jahren waren Gehirn und Nervensystem noch vergleichsweise simpel, und dennoch besassen sie hinsichtlich ihrer Struktur und der neurochemischen Abläufe alles, was man braucht, um Informationen über Rangfragen zu verarbeiten. Ein Faktum, das in seiner Bedeutsamkeit kaum überschätzt werden kann."

Wir hören heutzutage oft, jeder denke nur an sich selber, die narzisstische Selbstüberhöhung sei weit verbreitet. Stimmt, doch das ist nicht die ganze Geschichte, denn es gibt auch diejenigen, die sich selber als so wertlos erleben, dass sie sich vernachlässigen. Diesen Menschen sagt Jordan Peterson: "Wir verdienen Achtung. Sie verdienen Achtung. Sie sind für andere so wichtig wie für sich selbst. Sie spielen eine Rolle, wenn es um das Schicksal der Welt geht. Sie haben deshalb die moralische Pflicht, auf sich zu achten."

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: "12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt" ist weit entfernt von einem simplen Ratgeberbuch. Es ist eine persönliche, eloquente und differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage: Wie sollen wir leben? Dabei greift der Autor auf wissenschaftliche Studien, Werke der Weltliteratur und ganz besonders auf eigene Erfahrungen zurück. Das Ziel dabei ist, in jeder Lebenslage selbst entscheiden zu können. Das setzt diszipliniertes Üben voraus. "Halten Sie sich an die Versprechen, die Sie sich selbst gegeben haben, aber belohnen sie sich auch, so wächst das Vertrauen in die eigenen Entschlüsse und die Motivation."

Jordan B. Peterson erzählt aus seinem Leben, wie und mit wem er aufgewachsen ist. Auf dem Land, in Kanada. Er schaut hin, genau und hart – und staunt unter anderem darüber, dass Menschen, die unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden, trotzdem ganz normal ihrer Arbeit nachgehen. Er ist Realist und weiss, dass weder die Natur (man denke an Malaria oder Aids) noch der Mensch (man denke an bösartige Triebtäter) einfach gut sind. Wir haben eine Wahl. Uns ist aufgegeben, uns zu entscheiden. Das erfordert Mut genauso wie Demut. "Wir müssen es wieder schaffen, maximale Verantwortung zu übernehmen, zunächst für unser eigenes Leben, aber auch für die Gesellschaft und die Welt allgemein."

Auch aus seiner klinischen Praxis berichtet er. Und wie man mit der Befolgung von einfachen Regeln Ruhe ins seelische Chaos bringen kann. "Ich hatte schon viele Patienten, die ihre Angstzustände allein dadurch in den Griff bekamen, dass sie regelmässig schliefen und richtig frühstückten." Es ist wohltuend, dass Jordan B. Peterson oft auf den gesunden Menschenverstand zurückgreift, dem er auch sprachlich höchst treffend (und gelegentlich mit unerwarteten Wendungen) Ausdruck gibt: "Es ist schlicht nicht tugendhaft, sich von Tyrannen kujonieren zu lassen, selbst wenn es der Tyrann in unserem Inneren sein sollte."

Es gibt ganz viele solch hilfreicher Sätze in diesem gut geschriebenen Buch. Zu meinen liebsten gehören: "Nur weil Sie es denken, müssen Sie es ja nicht gleich tun." Und: "Was Sie nämlich wirklich glauben (nicht, was Sie zu glauben meinen), wird man nur herausfinden, wenn man sich ihr Verhalten ansieht. Davor wissen Sie selbst nicht, was Sie glauben. Sie sind viel zu komplex, um sich selbst zu begreifen." Und diesen über Alexander Solschenizyn: "Er nahm sich selbst auseinander, Stück für Stück, verwarf, was unnütz und schädlich geworden war, und holte sich so ins Leben zurück."

"12 Rules for Life. Ordnung und Struktur" in einer chaotischen Welt macht Mut zum aufrichtigen Selber-Denken. Und ist darüber hinaus ein engagiertes, detailreiches und anregendes Plädoyer gegen den moralischen Relativismus.

Jordan B. Peterson
12 Rules for Life
Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt
Goldmann, München 2018