Kaum
eine Pressemeldung, die Jordan B. Peterson,
Professor für Psychologie an der Universität Toronto,
nicht als umstritten und zugleich anregend bezeichnet. Seine
Botschaft läuft so recht eigentlich auf etwas höchst Einleuchtendes
hinaus: Übernehmt Verantwortung! Werdet endlich erwachsen! Das sagt
uns auch der gesunde Menschenverstand, nur eben weit weniger gelehrt
und fundiert als Professor Peterson es tut.
Im Vorwort weist
der Arzt und Neurowissenschaftler Norman Doidge auf Fundamentales
hin, das nicht immer gern gehört wird: Das Leben ist gleichbedeutend
mit Leiden. Nicht, weil die falschen Leute an der Regierung sind oder
weil der Chef ein Depp ist. Klar, deswegen auch, doch das ist nicht
das Entscheidende. Es geht um Grundsätzlicheres: "Wir leiden,
weil wir als Menschen zur Welt gekommen sind und allein dadurch
Kummer genug mitgebracht haben. Und selbst wenn Sie oder eine Ihnen
nahestehende Person zufällig einmal nicht leidet,
die Aussicht, dass es in Zukunft so bleibt, steht eher schlecht –
falls sie nicht unverschämtes Glück haben. Denn eigentlich ist
alles schwer. Kinder grosszuziehen ist schwer. Arbeit ist schwer.
Alter, Krankheit und Tod sind schwer. Laut Peterson würde es sogar
noch schwerer, wenn man all dies allein durchstehen müsste, ohne
Liebe, ohne Weisheit, ohne die Weisheit der grossen Psychologen."
"12 Rules
for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt" ist
eine gescheite, differenzierte und ungewöhnliche Auseinandersetzung
mit den Grundfragen des Lebens. Das erste Kapitel ist mit "Steh
aufrecht und mach die Schultern breit" überschrieben und
beginnt mit den Hummern und den Vögeln und ihrem jeweiligen Revier.
Jordan Peterson zeigt auf, dass die Hackordnung sowie das Prinzip der
ungleichen Verteilung nicht vom Menschen erfunden wurden, sondern in
der Natur angelegt sind. "Vor dreihundertfünfzig Millionen
Jahren waren Gehirn und Nervensystem noch vergleichsweise simpel, und
dennoch besassen sie hinsichtlich ihrer Struktur und der
neurochemischen Abläufe alles, was man braucht, um Informationen
über Rangfragen zu verarbeiten. Ein Faktum, das in seiner
Bedeutsamkeit kaum überschätzt werden kann."
Wir hören
heutzutage oft, jeder denke nur an sich selber, die narzisstische
Selbstüberhöhung sei weit verbreitet. Stimmt, doch das ist nicht
die ganze Geschichte, denn es gibt auch diejenigen, die sich selber
als so wertlos erleben, dass sie sich vernachlässigen. Diesen
Menschen sagt Jordan Peterson: "Wir verdienen Achtung. Sie
verdienen Achtung. Sie sind für andere so wichtig wie für sich
selbst. Sie spielen eine Rolle, wenn es um das Schicksal der Welt
geht. Sie haben deshalb die moralische Pflicht, auf sich zu achten."
Um etwaigen
Missverständnissen vorzubeugen: "12 Rules for Life. Ordnung und
Struktur in einer chaotischen Welt" ist weit entfernt von einem
simplen Ratgeberbuch. Es ist eine persönliche, eloquente und
differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage: Wie sollen wir
leben? Dabei greift der Autor auf wissenschaftliche Studien, Werke
der Weltliteratur und ganz besonders auf eigene Erfahrungen zurück.
Das Ziel dabei ist, in jeder Lebenslage selbst entscheiden
zu können. Das setzt diszipliniertes Üben voraus. "Halten Sie
sich an die Versprechen, die Sie sich selbst gegeben haben, aber
belohnen sie sich auch, so wächst das Vertrauen in die eigenen
Entschlüsse und die Motivation."
Jordan B.
Peterson erzählt aus seinem Leben, wie und mit wem er aufgewachsen
ist. Auf dem Land, in Kanada. Er schaut hin, genau und hart – und
staunt unter anderem darüber, dass Menschen, die unter
gesundheitlichen Einschränkungen leiden, trotzdem ganz normal ihrer
Arbeit nachgehen. Er ist Realist und weiss, dass weder die Natur (man
denke an Malaria oder Aids) noch der Mensch (man denke an bösartige
Triebtäter) einfach gut sind. Wir haben eine Wahl. Uns ist
aufgegeben, uns zu entscheiden. Das erfordert Mut genauso wie Demut.
"Wir müssen es wieder schaffen, maximale Verantwortung zu
übernehmen, zunächst für unser eigenes Leben, aber auch für die
Gesellschaft und die Welt allgemein."
Auch aus seiner
klinischen Praxis berichtet er. Und wie man mit der Befolgung von
einfachen Regeln Ruhe ins seelische Chaos bringen kann. "Ich
hatte schon viele Patienten, die ihre Angstzustände allein dadurch
in den Griff bekamen, dass sie regelmässig schliefen und richtig
frühstückten." Es ist wohltuend, dass Jordan B. Peterson oft
auf den gesunden Menschenverstand zurückgreift, dem er auch
sprachlich höchst treffend (und gelegentlich mit unerwarteten
Wendungen) Ausdruck gibt: "Es ist schlicht nicht tugendhaft,
sich von Tyrannen kujonieren zu lassen, selbst wenn es der Tyrann in
unserem Inneren sein sollte."
Es gibt ganz
viele solch hilfreicher Sätze in diesem gut geschriebenen Buch. Zu
meinen liebsten gehören: "Nur weil Sie es denken,
müssen Sie es ja nicht gleich tun." Und: "Was Sie nämlich
wirklich glauben (nicht, was Sie zu glauben meinen), wird man nur
herausfinden, wenn man sich ihr Verhalten ansieht. Davor wissen Sie
selbst nicht, was Sie glauben. Sie sind viel zu komplex, um sich
selbst zu begreifen." Und diesen über Alexander Solschenizyn:
"Er nahm sich selbst auseinander, Stück für Stück, verwarf,
was unnütz und schädlich geworden war, und holte sich so ins Leben
zurück."
"12 Rules
for Life. Ordnung und Struktur" in einer chaotischen Welt macht
Mut zum aufrichtigen Selber-Denken. Und ist darüber hinaus ein
engagiertes, detailreiches und anregendes Plädoyer gegen den
moralischen Relativismus.
Jordan B. Peterson
12 Rules for Life
Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt
Goldmann, München 2018
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