Montag, 15. Februar 2021

Abhängigkeit

 
In meinen 20ern verliebte ich mich auf Fünen in eine junge Dänin und in Dänemark. Ich las dann auch einige dänische Autoren, unter ihnen Leif Panduro und Tove Ditlevsen, doch wie bei den meisten Büchern, die ich einmal gelesen habe, ist mir ausser den Autorennamen so ziemlich gar nichts geblieben. Mit anderen Worten; Abhängigkeit von Tove Ditlevsen weckt Erinnerungen und natürlich haben die meisten nichts mit dem vorliegenden Buch zu tun.

Dänemark zur Zeit der deutschen Besatzung. Die Protagonistin ist zwanzig, ihren Mann, Viggo F., beschreibt sie unter anderem so: „Ein Gebiss lehnt er mit der Begründung ab, dass alle Männer in seiner Familie mit 56 Jahren gestorben sind, und das sei schon in drei Jahren, wozu also diese Geldverschwendung?“

Sie schreibt an einem Roman. Den Titel hat sie bereits, worüber sie schreiben will, weiss sie hingegen noch nicht. „Ich schreibe einfach nur, vielleicht kommt etwas Gutes dabei heraus, vielleicht nicht. Das Wichtigste ist, dass ich mich beim Schreiben glücklich fühle, so, wie es immer schon war.“ Genau so sollte Schreiben sein.

Viggo F. arbeitet bei der Brandversicherung und schreibt selber Romane, die seine Gattin jedoch nicht mag. Im 'Club der jungen Künstler' lernt sie Piet kennen, denkt an Scheidung, doch als ihr Mann sich über ihr erstes Buch begeistert äussert, verwirft sie den Gedanken, für den Moment, doch Piet drängt. Nur eben: Sie verabscheut Veränderungen. Die Scheidung kommt dann doch noch, aber nicht wegen Piet, sondern wegen Ebbe. Sie wird Mutter, die zweijährige Tochter Helle beschreibt sie so: „Wenn ich vormittags schreibe, setze ich sie mit ihren Bauklötzen und Puppen zum Spielen auf dem Boden, und sie hat gelernt, mich nicht zu stören. 'Mama schreibt', sagt sie feierlich zu ihrer Puppe, 'und danach machen wir alle zusammen einen Spaziergang.'“ Wunderbar!

Die deutsche Besatzung endet, berührend wie sie die deutschen Soldaten, „vielleicht erst fünfzehn oder sechzehn“, beschreibt: „ Müde deutsche Soldaten stolpern durch eine fremde Stadt mit der Frühlingssonne im Gesicht ...“. Eine feinfühlige Frau, doch mit konventioneller Treue hat es sie nicht so.

Der zweite Teil handelt wesentlich von ihrer Schmerzmittelsucht. „Im Laufe des Tages ging es mir schlecht, so, wie ich es schon einige Male zuvor erlebt hatte. Ich zitterte und schwitzte und bekam Durchfall. Ausserdem wurde ich von einer panischen Angst gepackt, und mein Herz raste. Mir wurde klar, dass ich diese Tabletten haben musste ...“. Sie lernt zu unterscheiden: Mit Pethidin kann sie nicht arbeiten, mit Methadon hingegen schon.

Wie alle Drogensüchtigen ist sie eine gewiefte Taktikerin. So behauptet sie, unter Ohrenschmerzen zu leiden, um Schmerzmittel verschrieben zu bekommen. Ein Ohrenarzt, der merkt, dass er belogen wird, will sie nicht operieren, ein anderer, der es nicht merkt oder nicht merken will, tut es. Nach der Operation weiss sie zum ersten Mal, was Ohrenschmerzen sind. Und verlangt nach immer grösseren Dosen von Pethidin. „Kein Preis war zu hoch, um sich die unerträgliche Wirklichkeit vom Leib zu halten.“

Tove Ditlevsen beschreibt, sie analysiert nicht. Leicht und flüssig wirkt ihr Schreiben. Sie rätselt nicht über die Ursachen ihrer Sucht, wird zur Entziehungskur in eine Klinik eingewiesen, sie wiegt noch ganze dreissig Kilo. Nur einer von hundert Patienten werde wieder gesund, erklärt ihr der behandelnde Arzt. „Aber manchmal glaube ich daran, dass Sie diese eine sind, weil Ihr Fall so aussergewöhnlich ist, und weil Sie im Gegensatz zu den meisten Süchtigen noch etwas anderes haben, wofür Sie leben.“ Weise Worte, er sollte recht behalten, doch Tove weiss, solange sie lebt, wird die Sehnsucht nie ganz sterben. 

Tove Ditlevsen
Abhängigkeit
Aufbau Verlag, Berlin 2021

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