Montag, 1. März 2021

Meine Name ist Gregor, ich bin Alkoholiker

Mein Name ist Gregor, ich bin Alkoholiker. Alkohol ist nicht mein Problem, schon lange nicht mehr. Wie alle Alkis habe ich kompliziertere Probleme.

Seit ich vor dreissig Jahren zu den AA gegangen bin, saufe ich nicht mehr. In Bangkok war das gewesen. Am 1. Januar 1990, einem Montag. Unwahrscheinlicher geht kaum, ich weiss. Montag geht sowieso nicht (ich kann die Montage, an denen ich versucht habe, ein und für alle Male ein ganz neues Leben zu führen, gar nicht zählen) und der erste Januar (Gimme me a break!) schon überhaupt gar nicht. Aber es war so! Und dann noch 1990, der Beginn einer neuen Dekade. Soll ich jetzt noch erwähnen, dass die 9 für mich immer schon eine ganz besondere Bedeutung hatte? Nicht nur, weil ich im September, dem 9ten Monat, geboren wurde; auch weil ... also das weiss ich jetzt gar nicht mehr so genau. Jedenfalls: Montag, der 1. Januar 1990 ist eine gleichsam magische Kombination, das müsste eigentlich jedem sofort klar sein. Kein Wunder halte ich mich für speziell.

Das würde ich natürlich nie so sagen. Aber es ist offensichtlich. Und auch wenn ich mir nichts darauf einbilde, weiss ich natürlich, dass es so ist. Alkis sind so, sie halten sich generell für speziell. Zwei Dinge würden uns alle verbinden, hat ein alter AA einmal gesagt: Dass wir uns als Ausnahme begreifen. Und dass wir nicht erwachsen werden wollen.

Als ich das mit dem Nicht-Erwachsen-Werden-Wollen zum ersten Mal gehört habe, dachte ich so für mich: Was soll an dem Erwachsen-Sein denn so attraktiv sein, dass man es wollen sollte? Ich selber habe zu Kindern einen viel besseren Draht. Sie sind unverfälscht, sagen, was sie denken, sind von gesellschaftlichen Zuschreibungen unbeeindruckt. Erwachsene hingegen ... doch lassen wir das, man braucht sich nur umzuschauen, ich jedenfalls wollte nicht so werden. Heute sehe ich das anders, verbinde damit Eigenverantwortung, die ich lieber andern predigte als selber wahrnahm. Das änderte, als ich anfing, es attraktiv zu finden für mein Denken, Fühlen und Handeln selber verantwortlich zu sein. Nur eben: Es war keine dramatische Veränderung, eher eine Einsicht, auf die ich immer wieder zurückkommen und dann umsetzen muss. Übung macht den Meister! Das gilt seit jeher, auch wenn man das heutzutage kaum mehr hört.

Dass ich für mein Handeln verantwortlich bin, leuchtet ein. Doch für meine Gedanken und Gefühle? Zugegeben, die sind ziemlich selbstständig, tun und lassen, was sie wollen, kommen und gehen wie es ihnen passt. Doch das heisst ja deswegen nicht, dass ich mich ihnen ausliefern, zum Opfer werden muss. Mich gegen sie wehren funktioniert hingegen auch nicht, denn dann werden sie grösser und wichtiger als sie sein sollten. Besser ist, ihnen nicht mehr Beachtung zu schenken als einem Windhauch. Soweit meine allerneueste Erkenntnis, die meiner Erfahrung nach leider selten lange anhält. Auch eine Variante des Windhauchs.

Natürlich ist jeder Tag ein spezieller Tag. Nur schon, dass es ihn gibt, ist speziell. Ist ja logisch. Nur eben: Was logisch ist und was unser Leben bestimmt, ist selten dasselbe (Es kommt auf die Definition von logisch an? Schon klar. Doch wer so argumentiert, soll am besten wieder zurück an die Uni). Mein Leben ist jedenfalls von Automatismen bestimmt, die Tage ziemlich gleichförmig. Als besonders erlebe ich die Tage dann, wenn ich aus meinen Routinen falle.

Aus: Hans Durrer: Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern (work in progress)

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