Mein Name ist Gregor, ich bin
Alkoholiker. Alkohol ist nicht mein Problem, schon lange nicht mehr.
Wie alle Alkis habe ich kompliziertere Probleme.
Seit ich vor dreissig Jahren zu den AA
gegangen bin, saufe ich nicht mehr. In Bangkok war das gewesen. Am 1.
Januar 1990, einem Montag. Unwahrscheinlicher geht kaum, ich weiss.
Montag geht sowieso nicht (ich kann die Montage, an denen ich
versucht habe, ein und für alle Male ein ganz neues Leben zu führen,
gar nicht zählen) und der erste Januar (Gimme me a break!)
schon überhaupt gar nicht. Aber es war so! Und dann noch 1990, der
Beginn einer neuen Dekade. Soll ich jetzt noch erwähnen, dass die 9
für mich immer schon eine ganz besondere Bedeutung hatte? Nicht nur,
weil ich im September, dem 9ten Monat, geboren wurde; auch weil ...
also das weiss ich jetzt gar nicht mehr so genau. Jedenfalls: Montag,
der 1. Januar 1990 ist eine gleichsam magische Kombination, das
müsste eigentlich jedem sofort klar sein. Kein Wunder halte ich mich
für speziell.
Das würde ich natürlich nie so sagen.
Aber es ist offensichtlich. Und auch wenn ich mir nichts darauf
einbilde, weiss ich natürlich, dass es so ist. Alkis sind so, sie
halten sich generell für speziell. Zwei Dinge würden uns alle
verbinden, hat ein alter AA einmal gesagt: Dass wir uns als Ausnahme
begreifen. Und dass wir nicht erwachsen werden wollen.
Als ich das mit dem
Nicht-Erwachsen-Werden-Wollen zum ersten Mal gehört habe, dachte ich
so für mich: Was soll an dem Erwachsen-Sein denn so attraktiv sein,
dass man es wollen sollte? Ich selber habe zu Kindern einen viel
besseren Draht. Sie sind unverfälscht, sagen, was sie denken, sind
von gesellschaftlichen Zuschreibungen unbeeindruckt. Erwachsene
hingegen ... doch lassen wir das, man braucht sich nur umzuschauen,
ich jedenfalls wollte nicht so werden. Heute sehe ich das anders,
verbinde damit Eigenverantwortung, die ich lieber andern predigte als
selber wahrnahm. Das änderte, als ich anfing, es attraktiv zu finden
für mein Denken, Fühlen und Handeln selber verantwortlich zu sein.
Nur eben: Es war keine dramatische Veränderung, eher eine Einsicht,
auf die ich immer wieder zurückkommen und dann umsetzen muss. Übung
macht den Meister! Das gilt seit jeher, auch wenn man das heutzutage
kaum mehr hört.
Dass ich für mein Handeln
verantwortlich bin, leuchtet ein. Doch für meine Gedanken und
Gefühle? Zugegeben, die sind ziemlich selbstständig, tun und
lassen, was sie wollen, kommen und gehen wie es ihnen passt. Doch das
heisst ja deswegen nicht, dass ich mich ihnen ausliefern, zum Opfer
werden muss. Mich gegen sie wehren funktioniert hingegen auch nicht,
denn dann werden sie grösser und wichtiger als sie sein sollten.
Besser ist, ihnen nicht mehr Beachtung zu schenken als einem
Windhauch. Soweit meine allerneueste Erkenntnis, die meiner Erfahrung
nach leider selten lange anhält. Auch eine Variante des Windhauchs.
Natürlich ist jeder Tag ein spezieller
Tag. Nur schon, dass es ihn gibt, ist speziell. Ist ja logisch. Nur
eben: Was logisch ist und was unser Leben bestimmt, ist selten
dasselbe (Es kommt auf die Definition von logisch an? Schon klar.
Doch wer so argumentiert, soll am besten wieder zurück an die Uni).
Mein Leben ist jedenfalls von Automatismen bestimmt, die Tage
ziemlich gleichförmig. Als besonders erlebe ich die Tage dann, wenn
ich aus meinen Routinen falle.
Aus: Hans Durrer: Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern, neobooks 2021
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen