Johannas Muster ist gestorben. An Covid-19. An der Ignoranz. An der Stumpfheit. An der Unfähigkeit zu verstehen. Understanding is a feeling. "Zum ersten Mal beginne ich zu begreifen, warum Du der Welt Lebewohl gesagt hast", schreibt sie an Max, ihren alten philosophischen Lehrer, der mit Postkarten antwortet, die auch abgebildet werden. Die für mich schönste findet sich auf Seite 117.
Als sich in den Krankenhauskellern in Norditalien die Leichen stapeln, reist ihre Mir-kann-keiner-was-anhaben-Mutter nach Florenz, infiziert sich und landet in München im Krankenhaus, wo die Tochter nicht zu ihr gelassen wird. Infektionsrisiko! Daran allein zeigt sich überdeutlich, das mit unseren Werten grundsätzlich etwas nicht stimmt, fundamental nicht stimmt.
"Aus Gründen, die einzig die Hygienegötter kennen, durfte keiner Erde ins Grab werfen." Die Menschen zeigen sich auch in der Pandemie unverändert eingeschüchtert und obrigkeitshörig. Johanna hingegen ist wütend und beharrt darauf, wütend zu bleiben. "Ich will gegen alle, die für dieses Leid verantwortlich sind, wüten, ich will das Leid nicht 'Schicksal' nennen müssen, ich will es 'Unrecht' nennen dürfen." Übrigens: Ihr Zorn richte sich nicht nur gegen die Politiker mit ihrer Beamtenmentalität, sondern auch gegen ihre Mutter, die, obwohl sich doch Italien bereits mit einem Bein im Ausnahmezustand befand, stur dahin fahren musste.
Sie will sich nicht trösten lassen, wirft Max Mildgeistigkeit vor. Sie wehrt sich gegen den Tod, hält Elias Canetti, der ihn auch nicht akzeptieren konnte, deswegen für einen aufrechten Menschen, geht mit Simone de Beauvoir einig, die ihn als unverschuldeten Gewaltakt begriff. "Falls ich jemals anfangen sollte, über die Möglichkeit von Trost nachzudenken, wäre mein einziger Trost, dass es Menschen gab und gibt, die vor dem Tod, vor der Gewalt, vor der Tyrannei, vor dem Unrecht nicht zu Kreuze gekrochen sind." Beschreibt sie da ihre Mutter?
Woran kann man sich halten, worin findet man Trost in diesem sich in rasender Geschwindigkeit ausdehnenden Universum? Früher fand Johanna Orientierung bei Platon und Sokrates, jetzt eher nicht mehr, doch sie bemüht sich nach wie vor um die Hilfe der Vernunft, obwohl sie erkennt: "Erleben wir nicht gerade, wie das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?"
Tröstlich findet sie hingegen die Musik, die es nur im Moment gibt. "Weil sie das schroffe 'Sein oder Nichtsein' zu einem verbindlichen 'Sowohl als auch' lindert?" Und auch immer wieder im Humor – Johannas Kommentar zu J.K. Rowling machte mich jedenfalls laut herauslachen (und begrub wieder einmal meinen schon lange schwindenden Glauben an die Zurechnungsfähigkeit unserer Medienwelt).
Zu meinen Lieblingsstellen gehört die "Handlungshilfe zum Pandemie-Arbeitsschutzstandard für die Branche Bühnen und Studios im Bereich Proben- und Vorstellungsbetrieb" bei dem mich bereits der Titel Tränen lachen liess. Die dann zitierte Textstelle ist nicht nur der ultimative Brüller, sondern macht auch klar, dass wer von der Politik in der gegenwärtigen Pandemie Hilfestellung erwartet, nicht ganz bei Trost ist.
Fazit: Ein wütender und witziger Briefroman, in dem man Trost findet. Nicht bei Seneca, sondern beim Picknick an Johannas Lieblingssee in Brandenburg.
Thea Dorn
Trost
Briefe an Max
Penguin Verlag, München 2021
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