Mittwoch, 1. Januar 2020

Alles ist gut, alles

Zu seinen Gewohnheiten gehörte, Unangenehmes so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Die Idee dahinter – wenn es denn überhaupt eine Idee war, so war es keine bewusste, von der ihm klar war, dass sie sein Verhalten leitete, sondern eine nachgereichte – war, anschliessend das machen zu können, wozu er mehr Lust hatte. Leider ist es nun aber so, dass, kaum hatte er die eine unangenehme Sache (meist Problem genannt) hinter sich gebracht, schon die nächste vor seiner Nase stand. Mit anderen Worten: Er räumte ständig so schnell wie möglich Probleme aus dem Weg, deren Anzahl sich deswegen jedoch nicht zu verringern schien.

Wer sich ändern wollte, musste sich anstrengen, hatte er sein Leben lang geglaubt. Neues zu wagen, erforderte Mut. Das war zwar nicht falsch, doch es umschiffte, worum es wirklich ging – man musste nicht ändern, was man tat (sicher, das war manchmal notwendig – wenn man dem Suff verfallen war, zum Beispiel), sondern wie man es tat. Dass das Leben schwierig war, war nicht das Problem, sondern dass man nicht akzeptieren wollte, dass es schwierig war.

Hehre Worte, doch seine Praxis war anders und bestand wesentlich darin, darauf zu warten, dass alles sich ganz plötzlich perfekt anfühlte. Das war sein Muster und er war unfähig, es zu brechen. Und dann, er merkte es erst im Nachhinein, ging er auf einmal anders durch den Tag als zuvor, haderte er nicht mehr mit seinen ständig misslingenden Versuchen, ein neues Leben zu beginnen. Es war ihm, als ob er endlich begriffen hätte, dass er ohne sein Scheitern nicht aufgegeben hätte und dass Aufgeben (surrender, wie es im Englischen zutreffend heisst) die Voraussetzung für die andere Art von Leben war, die ihm vorschwebte. Scheitern war notwendig, war Vorbereitung für das, was ultimativ zählt – die Hingabe ans Leben. Schon etwas esoterisch, dachte er so bei sich, doch was zählte waren nicht die Worte, sondern die Erfahrung zu machen.

Alles ist gut, alles. Für alle die ist es gut, die da wissen, dass alles gut ist. Wenn sie wüssten, dass sie es gut haben, dann hätten sie es gut, aber so lange sie das nicht wissen, so lange werden sie es auch nicht haben. Das ist der ganze Gedanke, der ganze Sinn, einen weiteren gibt es überhaupt nicht.
Fjodor M. Dostojewski: Die Dämonen

Hans Durrer
Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn
Ansichten und Einsichten
neobooks, München 2019

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