Mittwoch, 28. August 2019

Wie die Wahrnehmung unsere Emotionen beeinflusst

Ich gehe Bücher voreingenommen an. Alle. Bei Unsere 7 Sinne von Rüdiger Braun stört mich der Untertitel 'Die Schlüssel zur Psyche' (schon wieder so ein Angeber, der glaubt, die Psyche zu verstehen!), was mich hingegen neugierig macht, ist die ebenfalls auf dem Umschlag zu findende Verheissung 'Wie die Wahrnehmung unsere Emotionen beeinflusst'.

Wir erleben unsere Welt mittels unserer Sinne. Als die klassischen fünf gelten: Hören, Sehen, Schmecken, Riechen, Tasten. Vom "sechsten Sinn" redet man, wenn jemand etwas bemerkt, ohne es durch die bekannten Sinnesorgane wahrzunehmen. Unter dem "siebten Sinn" versteht Rüdiger Braun das Bauchgefühl, das uns fraglos häufig leitet.

Rüdiger Braun, geboren 1960, hat Biologie und Philosophie studiert sowie eine Ausbildung als Systemischer Coach und Shiatsu-Therapeut absolviert. Er arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist und behauptet in seiner Einführung, beim sogenannten Bauchgefühl handle es sich "um eine eigenständige Wahrnehmungsfähigkeit, die sich trainieren lässt und ein wertvolles Hilfsmittel bei lebenswichtigen Entscheidungen sein kann." Also ich verlasse mich bei lebenswichtigen Entscheidungen lieber nicht auf mein Bauchgefühl, sondern auf eine möglichst nüchterne Analyse. 

Zugegeben, auch Braun redet nicht einfach der Intuition und dem Bauchgefühl das Wort, sondern plädiert dafür, sie mit Erfahrung, Beobachtung und Üben (etwa von Bewegungsabläufen) zu ergänzen. Mit anderen Worten: sich aufmerksam und lernwillig mit den unterschiedlichsten Lebenssituationen auseinanderzusetzen. 

Unsere 7 Sinne berichtet hauptsächlich darüber, worüber heutzutage an Universitäten geforscht wird. Die von Braun vorgelegte Palette ist überaus vielfältig, doch wie das wissenschaftliche Studien eben so an sich haben, grundsätzliche Fragen beantworten sie nicht. Dafür belegen sie oft, was wir sowieso schon wissen, etwa dass die Augen uns verraten, denn sie lügen nicht. Oder dass wer nicht geniesst, ungeniessbar wird. Geniessen lässt sich übrigens lernen, die sieben Grundregeln dazu lauten: Genuss braucht Zeit; Genuss muss erlaubt sein; Genuss geht nicht nebenbei; Wissen, was einem guttut; Weniger ist mehr; Ohne Erfahrung kein Genuss; Genuss ist alltäglich. 

Neben der Bestätigung von Allerwelts-Weisheiten fördern (sozial)wissenschaftliche und psychologische Studien natürlich auch immer wieder Interessantes zutage. "So kontrollieren Japaner ihre Gesichtsregungen weitaus stärker als Europäer. Sie erscheinen uns dadurch undurchsichtiger, wohingegen wir grobschlächtig oder impulsiv auf sie wirken. Auch wird in Japan und China, im Gegensatz zu Europa und den USA, längerer direkter Augenkontakt selbst in persönlichen Gesprächen eher vermieden." Auch wenn diese kulturelle Konditionierung wie Schicksal klingt, sie ist es nicht, denn der Mensch ist durchaus zur Wahl fähig, muss also nicht den herrschenden kulturellen Vorstellungen entsprechen, kann sich auch dagegen entscheiden.

"Obwohl unsere Antennen nur einen Bruchteil dessen empfangen, was die Welt an Signalen zu brieten hat, ist diese Informationsflut immer noch zu gross, um vollständig verarbeitet werden zu können." Wir müssen also auswählen, damit wir in diesem Überangebot nicht ersaufen. Ob wir das auf Basis eines freien Willens oder nach vorgegebenen Kriterien machen, ist umstritten. Rüdiger Braun glaubt, "dass wir unseren Emotionen und Motivationen zumindest nicht vollkommen willenlos ausgeliefert sind." Die meisten werden das vermutlich ähnlich sehen.

Aus der Hirnforschung wissen wir, dass wir unsere Aufmerksamkeit steuern können. Richten wir sie auf Musik, die uns zusagt, werden wir uns beglückt fühlen. Denn Musik, das wussten die Menschen immer schon, wirkt heilsam. So schrieb Charles Darwin in seiner Autobiografie: "Wenn ich mein Leben noch einmal leben müsste, würde ich mir eine Regel auferlegen, mindestens einmal pro Woche Musik zu hören und Gedichte zu lesen. Dann wären durch diese Übung die Teile meines Gehirns, die inzwischen verkümmert sind, vielleicht noch aktiv."

Rüdiger Braun will dazu ermuntern, den Sinnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Übungen, Tests und kleinen Experimente, die er am Schluss des Buches zusammengestellt hat, können dabei helfen.

Rüdiger Braun
Unsere 7 Sinne
Kösel Verlag, München 2019

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