Mittwoch, 14. August 2019

Vom Glück des Wanderns

Um praktisches Wissen gehe es ihm, schreibt Albert Kitzler, "das das menschliche Leben zum Gegenstand hat." Und er behauptet: "Weise nennen wir nicht jemanden, der viel weiss, sondern der zu leben versteht, der es versteht, mit sich selbst und den anderen umzugehen und die vielfältigen Herausforderungen des Lebens im beruflichen wie im privaten Bereich meistert, auch und gerade dann, wenn es schwierig und leidvoll ist. Weisheit ist Wissen und Können, das heisst die Umsetzung des Wissens im täglichen Leben."

Das ist wohltuend zu lesen und erinnert mich an Ajahn Sumedho, einen nordamerikanischen Theravada-Mönch, der bei einer Meditation in Bangkok gesagt hat (ich zitiere aus dem Gedächtnis): "Meine Damen und Herren, sollten Sie zum Schluss gelangt sein, was ich gerade ausgeführt habe, sei interessant gewesen, so haben Sie mich gründlich missverstanden, denn interessant kann so ziemlich alles sein, auch das Liebesleben der Bienen. Doch das ist nicht, worauf es mir ankommt. Entscheidend ist, ob meine Ausführungen hilfreich waren, ob sie Ihnen dazu dienen können, Ihr Leben qualitativ zu verbessern."

Darum geht es auch Albert Kitzler, der sich nicht nur bei den grossen Denkern der westlichen und fernöstlichen Antike auskennt, sondern Wesentliches auch von seinem Onkel, einem Landwirt, und von und in der Natur gelernt hat.

"Wir verfolgen kein Ziel, wir gehen nicht zu einem Ort, an dem wir etwas zu erledigen haben. Wir verfolgen keine andere Absicht, als zu gehen, zu uns zu kommen, unseren Körper zu fordern, eine Etappe zu bewältigen, eine Gegend kennenzulernen, Eindrücke, Aussichten und das Wetter zu geniessen oder ihm zu trotzen."

Der Philosophie-Coach Albert Kitzler, geboren 1955,  war Filmproduzent und Medienanwalt und bietet, so der Klappentext, seit 2010 "Seminare, Matineen, Vorträge und philosophische Urlaube sowie Einzel- und Unternehmensberatungen an", ist also ziemlich umfassend unterwegs. Und auch Vom Glück des Wanderns. Eine philosophische Wegbegleitung lässt kaum etwas aus – obwohl ein passionierter Bücherleser, fühlte ich mich von der Fülle geballten Wissens regelrecht erschlagen. Kaum ein Gedanke findet sich in diesem Buch, der nicht mit einem philosophischen oder literarischen Zitat untermauert wird. Das will nicht heissen, dass Albert Kitzler nicht selber denkt  – ganz im Gegenteil! – , das meint nur, dass weniger gelegentlich mehr gewesen wäre.

Trotz der vielen Hinweise auf Gelesenes und Studiertes überzeugt Vom Glück des Wanderns. Eine philosophische Wegbegleitung sowohl durch einen ausgeprägt persönlichen wie auch praktischen Bezug. "Für mich ist der Aspekt innerer Sammlung beim Wandern einer der wichtigsten ... Auch jenseits von Wanderungen ziehe ich mich regelmässig in mich selbst zurück, versuche still zu werden, in mich hinein zu horchen, mich zu spüren und mich in meiner Mitte einzurichten ...".

Das erfordert Übung, stetige Übung. "Es ist schwer, sich selbst zu Verhaltens- und Denkweisen zu erziehen, die uns dauerhaft guttun, vor allem am Anfang." Sowieso, sonst könnte es ja jeder (und jede). Und so mühsam sich das anhören mag, es wäre auch eine Welt vorstellbar, wie der Schweizer Autor Hans Albrecht Moser einmal geschrieben hat, wo es diese Möglichkeit des Übens nicht gibt.

"Es mag bisweilen anstrengend gewesen sein", schreibt der Autor zum Schluss, "aber umsonst gewähren die Götter nichts." Das kann schon sein, doch etwas mehr Leichtigkeit hätte dem Glück des Wanderns nicht geschadet. Deshalb ein Tipp: Leichter wird die Lektüre, wenn man dieses Buch in kleinen Häppchen zu sich nimmt.

Albert Kitzler
Vom Glück des Wanderns
Eine philosophische Wegbegleitung
Droemer Verlag, München 2019

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen