„Mein Ex in San Francisco war
Alkoholiker. Deshalb habe ich ihn verlassen. Aber er hatte auch ganz
viele andere Probleme. Doch Hilfe nahm er keine an. Mir tat weh, viel
zu weh, ihn leiden zu sehen. Manchmal fühle ich mich schuldig, dass
ich ihn verlassen habe. Gai hat gemeint, ich solle mal mit dir
reden.“
In diesem Moment tauchte Gai auf,
küsste Hugo auf die Wange und fragte: „Cappuccino, wie immer? Du
auch, Joy?“
„Gerne“,
antworteten beide unisono.
Hugo und Joy setzten sich an den
Küchentisch; Gai machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Was
du mir da vor ein paar Tagen über Sucht und Borderline erzählt
hast“, wandte sich Gai an Hugo, „hat mich an Joy denken lassen.
Möglicherweise war ihr Ex nämlich nicht nur ein Alki, sondern auch
ein Borderliner. Ist das okay für dich, mit Joy darüber zu reden?“
„Sicher.“
Hugo wandte sich an Joy. „Erzähl doch mal wie er so war, dein Ex.“
„Eigentlich
ein Supertyp. Hat Literatur studiert, ein paar Jahre unterrichtet,
dann ertrug er die anderen Lehrer nicht mehr und begann als Sänger
und Gitarrist in kleinen Klubs aufzutreten. Er war recht erfolgreich,
konnte gut von seinen Auftritten leben und verdingte sich nebenher
als Studiomusiker. Das Problem waren seine Stimmungsschwankungen. Und
die waren heftig. Nie wusstest du, woran du mit ihm warst. Und er
soff. Nicht immer, doch wenn, dann zünftig. Er hatte ganz einfach
kein Mass, in nichts.“
„Und
wie war er, als du ihn kennenlerntest?“
„Präsenter,
scharfsinniger und feinfühliger als andere, aufmerksam,
rücksichtsvoll und grosszügig. Und dann der Sex, super intensiv.
Der Traummann. Und dann kippte er plötzlich, war ganz das Gegenteil,
angespannt, rechthaberisch, aggressiv. Und dann wieder, irgendwie
völlig übergangslos, der aufmerksame und rücksichtsvolle alte
Freddy. Schwarz oder Weiss, dazwischen war nichts. Mit der Zeit
nahmen die destruktiven Phasen zu. Zum Schluss gab es praktisch nur
noch destruktive Phasen. Und an allem war ich schuld. Oder andere,
oder die Situation, er selber nie.“
„Und
dann hast du ihn verlassen?“
„Ja,
vor drei Monaten. Doch ich kriege ihn einfach nicht aus mir raus.“
Aus: Hans Durrer: Herolds Rache.
Fehnland Verlag 2018
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