Donnerstag, 22. Februar 2018

Meine Suchtberatung

Meine Suchtberatung ist von zwei Grundüberzeugungen geprägt. Dass der Mensch des Menschen Medizin sei und, wie es Bad Herrenalb Mitbegründer Walther Lechler formuliert hat, „es weniger um Behandeln geht, sondern eine Ausbildung für das Leben erfolgen muss“.

Abgesehen vom 12-Schritte-Programm, hat mir vor allem die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen geholfen. Treffend hat es Peg O'Connor ausgedrückt: „Philosophy has always been about the pursuit of knowledge, but one that included the higher aim of living a good and just life. This pursuit has involved examining the nature of just about everything.“

Wir orientieren uns an Ursache und Wirkung. Und so sehr sich unsere Gewohnheit, in diesen Kategorien zu denken, auch bewährt hat (man denke etwa an die Statik, ohne die es weder Häuser noch Brücken geben würde), im Bereich der Gefühle und des Unbewussten bringt uns das Unterscheiden von Auslöser und Symptom, ja, das Unter- und Aufteilen generell, unsere wohl wichtigste Lebensstütze, oft nicht weiter. Willkürlicher als die gängigen Zuschreibungen Neurose, Depression oder Borderline geht es kaum, denn da gibt es mehr Verbindendes als Trennendes.

Ich habe das Rad nicht neu erfunden (und hätte es, wenn ich es recht bedenke, wohl nie erfunden), tue, was andere auch tun. Ich höre zu, stelle Fragen, bestärke, was bestärkt gehört, versuche dem Destruktiven den Boden zu entziehen. Und ich erzähle auch von mir, davon, wie ich selber mit Problemen, Abhängigkeiten, ja, dem Leben, klarzukommen versuche. Von Thema zu Thema hüpfend, dabei trachtend, den Faden nicht zu verlieren und immer wieder an den Ausgangspunkt, die Lebensangst, zurückkehrend.

Das Themenspektrum geht von der Fotografie zu Thailand, von Woody Allen zur Flugangst. Weiss ich, dass jemand unter Flugangst leidet, kann ich sicher sein, dass ich seine ganze Aufmerksamkeit habe, wenn ich von meiner eigenen erzähle und davon berichte, wie ich mit ihr umgehe. Auf einem Flug von Thailand in die Schweiz, heftige Turbulenzen über Afghanistan, der Captain meldete sich: What we are experiencing now are so called mountain waves. Ich stellte mir die Wellen vor, ging mit ihnen mit, das half etwas. Mit den Worten von Jon Kabat-Zinn: You can't stop the waves, but you can learn to surf.

Hans Durrer
Wie geht das eigentlich, das Leben?
Anregungen zur Selbst- und Welterkundung
neobooks, München 2017

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