Ich gehe dieses Buch voreingenommen an. Einerseits kommt es mir vor, als ob es zur Zeit gerade gar viele Bücher zum Thema 'Wie uns die Angst vor dem Tod zu leben lehrt' gebe, andererseits kann ich mir nicht recht vorstellen, was mir eine (im Vergleich zu meinen fortgeschrittenen Alter) noch recht junge (1981 geborene) Frau über das Leben und den Tod beibringen soll. Doch waren diese Bedenken bereits nach den ersten paar Seiten von Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden wie weggeblasen.
"Alle meine Lebensjahre hindurch habe ich gelernt, mir Dinge angeeignet, mich weitergebildet, ich habe mich aufgerappelt, nach jedem Schicksalsschlag und jedem Schmerz, immer wieder, und das soll das Ergebnis sein? Der Tod? Nein, damit finde ich mich nicht ab. Ich kann nicht. Und das ist ein Problem. Ich kann nämlich nicht mehr schlafen. Ich kann mich nicht entspannen. Ich kann mich nicht loslassen."
Sie tut, was sie tun kann und beginnt, "sich mit dem eigenen Sterben zusammenzudenken." Sie besucht das Leichenschauhaus, den Vortrag eines Kriminalbiologen und setzt sich mit der Beerdigung von Helmut Schmidt auseinander. Sie tut, was Journalisten eben so tun – sie recherchiert.
Dabei stösst sie auch auf die Top-Ten-Liste der gefragtesten Lieder bei Beerdigungen. 2015 stand 'Time To Say Goodbye' von Sarah Brightman auf Platz 1 und 'Air Suite Nr. 3 von Johann Sebasian Bach auf Platz 10. Saskia Jungnikl kommentiert: "Ein paar davon kann ich nachvollziehen, so wie Bach, die meisten davon nicht. Ich finde ja 'Here comes the Sun' von George Harrison schön oder auch 'Happy days are here again' von Charles King. Doch beide höre ich lieber jetzt gleich und lebend, als zu wissen, dass sie dann alle anderen hören, während ich tot bin."
Da die meisten Menschen an einer Krankheit sterben, beschliesst Saskia Jungnikl etwas für ihre Gesundheit zu tun. Sie geht ins Fitnesscenter und merkt, Sport kann gut tun. Auch überlegt sie sich, reich zu werden sowie einen Wohnortswechsel vorzunehmen, denn ihre Internet-Recherchen haben ergeben, dass Reiche länger leben und die Lebenserwartung geografisch variert.
Ich fühlte mich sofort in dieses mit viel Witz und Humor geschriebene Buch hineingezogen, doch so gelungen der Einstieg ist, die Autorin verliert sich leider bald und immer mal wieder, erzählt vom Geburtstag der Mutter auf der Rax, einem Berg in Österreich, von ihrer Heirat und vom Umziehen, gibt Tipps für Trauernde und äussert allerlei Allerweltsgedanken, die uns allen hin und wieder durch den Kopf gehen und nicht weiter bringen. "Die schönen und glücklichen Momente muss man sich selbst schaffen. Es gibt keine ausgleichende Gerechtigkeit, die sich von selbst einstellt."
Glücklicherweise findet sie immer wieder zurück, setzt sich mit Philosophen auseinander, zitiert Studien, die sie alle ernst zu nehmen scheint, listet skurille Todesfälle auf, plädiert dafür, sich zu öffnen und über das zu reden, was einen wirklich beschäftigt und und und ... mir gefällt diese wunderbare vielfältige Mischung aus Banalem, Durchdachtem und manchmal wenig Durchdachtem. So zitiert sie etwa eine Studie der Mayo-Klink, gemäss welcher "vor allem die 65- bis 80-jährigen Teilnehmer von einem Intervalltraining profitiert hatten", woraus Saskia Jungnikl schliesst: "In Sardinien etwa werden die Menschen auch deswegen so alt, weil sie in Bergdörfern oft auf und ab steigen müssen – Intervalltraining wie aus dem Lehrbuch." Anzufügen wäre: Im bolivianischen La Paz (Höhenlage zwischen 3 200 bis 4 100 Meter) ist das hingegen nur zu empfehlen, wenn man den Schwindel nicht scheut.
Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden thematisiert auch, wie aus der Angst vor dem Tod ein Geschäft gemacht wird: "Die medizinische Überversorgung von Menschen am Lebensende ist ein Milliardenmarkt. Ein Drittel der Gesundheitskosten entsteht allein im letzten Lebensjahr. Ein Drittel!" Und überhaupt: "Wenn eine Gesellschaft das Altern als Krankheit versteht, wie soll sie dann gelassen und würdevoll altern?"
Meine persönlichen Highlights sind das Kapitel "Lebe", eine starke, intensive Schilderung vom Laufen, sowie diese ganz unspektakuläre Schilderung (bei der es nicht um den Champagner geht!), die schön illustriert, dass sich Zeit zu nehmen das wohl beste Mittel gegen die laufend weniger werdende Lebenszeit ist. "Ich nehme eine Flasche Champagner, die seit Monaten im Kühlschrank liegt, und mache sie auf. Ich habe keinen Anlass. Nur den Moment. Ich sitze auf der Couch, ohne Handy, ohne Fernsehen, ohne Buch oder Zeitschrift. Ich trinke und sitze und schmecke und spüre in mich hinein."
Saskia Jungnikl
Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte,
die Angst vor dem Tod zu überwinden
Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen