Der erste Satz, das behaupten viele, die schreiben (und auch viele, die lesen), sei der wichtigste, jedenfalls zentral. Der erste Satz in Daniel Schreibers "Nüchtern" geht so: "Es ist immer einfacher, sich an den Anfang einer Liebe zu erinnern als an ihr Ende." Klingt gut, stimmt aber eben nicht. Jedenfalls für mich nicht. Für mich ist das kein ehrlicher, sondern ein literarisch ambitionierter Satz. Und da Ehrlichkeit der Schlüssel zur Genesung ist, bin ich zum Auftakt schon skeptischer als mir eigentlich lieb ist.
Als Daniel Schreiber dann jedoch das allmähliche und unbemerkte Hineinschlittern ins zwanghafte Saufen beschreibt, ist meine Skepsis weg.
Wie gesagt, Ehrlichkeit ist der Schlüssel und das meint: das Hauptproblem bei der Sucht ist die Selbsttäuschung. "The first principle is not to fool yourself, and you are the easiest person to fool", sagte Richard Feinman einmal in einem ganz anderen Zusammenhang. Doch Verleugnung ist nicht allein ein individuelles Problem. Treffend hält Schreiber fest: "Alkoholprobleme werden auch auf einer kollektiven Ebene grossflächig verleugnet, und in Deutschland tatsächlich noch mehr als anderswo." Nun gut, das gilt auch für die Schweiz und so recht eigentlich für sehr viele, wenn nicht die meisten Länder. Eine löbliche Ausnahme bilden die USA.
"Deutschland gehört mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 12,1 Liter reinem Alkohol zu den Ländern in denen deutlich mehr als anderswo getrunken wird." Ich halte das zwar für möglich, auch wenn ich solchen Zahlen hinten und vorne nicht traue. Gibt es sie auch für asiatische oder für afrikanische Länder? Und wie kommen sie zustande? Und was ist mit Russland und Osteuropa? Wie auch immer: Alkoholabhängigkeit ist sicherlich verbreiterter als gemeinhin angenommen, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, denn der Sucht-Wahrheit ins Gesicht zu sehen, ist wenig populär.
Wann man die Grenze vom Trinken zum Saufen überschreitet, weiss keiner wirklich zu sagen. Auch im Nachhinein nicht. Was einen letztlich dazu motiviert, mit dem Alkohol aufzuhören, ebenso wenig. Eine der verrückten, absolut surrealen Geschichten, die Daniel Schreiber erzählt, handelt von einem seiner Bekannten, der des zu vielen Trinkens wegen seine Familie verlor, eines Tages alkoholisiert in einen Baum raste, sich dabei fast jeden Knochen brach und anschliessend sechs Monate im Krankenhaus lag. Diese abstinente Krankenhaus-Zeit war ihm Beweis, dass er kein Problem mit Alkohol hatte. "Er hörte erst viel später auf zu trinken, ohne einen augenscheinlichen Grund und nachdem er es etliche Male vergebens versucht hatte."
"Momente der Klarheit sind seltsame Zufälle. Man muss sie beim Schopf packen, denn sie können einem das Leben retten."
Daniel Schreiber ist mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker trocken geworden. Die Identifikation mit anderen sowie simple Slogans wie "Nur für heute", die er anfangs für "unfassbar naiv und esoterisch" hielt, erwiesen sich dabei als hilfreich. Schliesslich lernte er die Realität zu akzeptieren wie sie nun einmal ist. Mit Höhen und Tiefen, guten und nicht so guten Zeiten..
"Nüchtern" zeigt differenziert auf, wie komplex und rätselhaft die Alkoholabhängigkeit ist. Neben der Geschichte von des Autors eigener Abhängigkeit und Genesung, informiert es auch vielfältig über die medizinischen und gesellschaftlichen Aspekte der Sucht, führt aus, wie geächtet der Alkoholismus noch immer ist und beklagt unter anderem, dass selbst Menschen, die wissen, dass es sich bei der Alkoholsucht um eine Krankheit handelt, diese mit Willensschwäche assoziieren.
Dass Daniel Schreiber sich bemüht, den Alkoholismus in einen grösseren Zusammenhang zu stellen (Alkohol als Hilfsmittel zur Entspannung, übermässiges Trinken wird tabuisiert, suchtgeprägtes Denken und Verhalten können karrierefördernd sein) ist begrüssenswert. Und auch problematisch. Weil nämlich die meisten Menschen kein Problem mit dem Trinken haben. Doch ums Trinken geht es eigentlich gar nicht, sondern darum, sich fürs Leben zu entscheiden.
"Nüchtern" liefert einen nüchternen Blick auf ein Tabu, es ist ein nützliches Buch.
Daniel Schreiber
Nüchtern
Über das Trinken und das Glück
Hanser Berlin 2014
Als Daniel Schreiber dann jedoch das allmähliche und unbemerkte Hineinschlittern ins zwanghafte Saufen beschreibt, ist meine Skepsis weg.
Wie gesagt, Ehrlichkeit ist der Schlüssel und das meint: das Hauptproblem bei der Sucht ist die Selbsttäuschung. "The first principle is not to fool yourself, and you are the easiest person to fool", sagte Richard Feinman einmal in einem ganz anderen Zusammenhang. Doch Verleugnung ist nicht allein ein individuelles Problem. Treffend hält Schreiber fest: "Alkoholprobleme werden auch auf einer kollektiven Ebene grossflächig verleugnet, und in Deutschland tatsächlich noch mehr als anderswo." Nun gut, das gilt auch für die Schweiz und so recht eigentlich für sehr viele, wenn nicht die meisten Länder. Eine löbliche Ausnahme bilden die USA.
"Deutschland gehört mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 12,1 Liter reinem Alkohol zu den Ländern in denen deutlich mehr als anderswo getrunken wird." Ich halte das zwar für möglich, auch wenn ich solchen Zahlen hinten und vorne nicht traue. Gibt es sie auch für asiatische oder für afrikanische Länder? Und wie kommen sie zustande? Und was ist mit Russland und Osteuropa? Wie auch immer: Alkoholabhängigkeit ist sicherlich verbreiterter als gemeinhin angenommen, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, denn der Sucht-Wahrheit ins Gesicht zu sehen, ist wenig populär.
Wann man die Grenze vom Trinken zum Saufen überschreitet, weiss keiner wirklich zu sagen. Auch im Nachhinein nicht. Was einen letztlich dazu motiviert, mit dem Alkohol aufzuhören, ebenso wenig. Eine der verrückten, absolut surrealen Geschichten, die Daniel Schreiber erzählt, handelt von einem seiner Bekannten, der des zu vielen Trinkens wegen seine Familie verlor, eines Tages alkoholisiert in einen Baum raste, sich dabei fast jeden Knochen brach und anschliessend sechs Monate im Krankenhaus lag. Diese abstinente Krankenhaus-Zeit war ihm Beweis, dass er kein Problem mit Alkohol hatte. "Er hörte erst viel später auf zu trinken, ohne einen augenscheinlichen Grund und nachdem er es etliche Male vergebens versucht hatte."
"Momente der Klarheit sind seltsame Zufälle. Man muss sie beim Schopf packen, denn sie können einem das Leben retten."
Daniel Schreiber ist mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker trocken geworden. Die Identifikation mit anderen sowie simple Slogans wie "Nur für heute", die er anfangs für "unfassbar naiv und esoterisch" hielt, erwiesen sich dabei als hilfreich. Schliesslich lernte er die Realität zu akzeptieren wie sie nun einmal ist. Mit Höhen und Tiefen, guten und nicht so guten Zeiten..
"Nüchtern" zeigt differenziert auf, wie komplex und rätselhaft die Alkoholabhängigkeit ist. Neben der Geschichte von des Autors eigener Abhängigkeit und Genesung, informiert es auch vielfältig über die medizinischen und gesellschaftlichen Aspekte der Sucht, führt aus, wie geächtet der Alkoholismus noch immer ist und beklagt unter anderem, dass selbst Menschen, die wissen, dass es sich bei der Alkoholsucht um eine Krankheit handelt, diese mit Willensschwäche assoziieren.
Dass Daniel Schreiber sich bemüht, den Alkoholismus in einen grösseren Zusammenhang zu stellen (Alkohol als Hilfsmittel zur Entspannung, übermässiges Trinken wird tabuisiert, suchtgeprägtes Denken und Verhalten können karrierefördernd sein) ist begrüssenswert. Und auch problematisch. Weil nämlich die meisten Menschen kein Problem mit dem Trinken haben. Doch ums Trinken geht es eigentlich gar nicht, sondern darum, sich fürs Leben zu entscheiden.
"Nüchtern" liefert einen nüchternen Blick auf ein Tabu, es ist ein nützliches Buch.
Daniel Schreiber
Nüchtern
Über das Trinken und das Glück
Hanser Berlin 2014
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