Mittwoch, 31. Dezember 2014

Whatever works

Newcomer: "My conscience finally brought me to the Program."
Old-Timer: "How so?"
Newcomer: "I kept seeing this eyeball staring at me from the bottom of my glass! I'm sure it was my conscience."
Old-timer: " Probably an olive. But never mind – whatever works!"

Ed F.
God grant me the Laughter
Hazelden Educational Materials, Center City, MI, 1989

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Regel 62

Regel 62 ist eine gute Regel. Es gibt ein kleines grünes Buch und auf der Umschlagseite steht "Regel 62". Und wenn Du es öffnest, ist jede Seite leer, mit Ausnahme der Doppelseite in der Mitte. Und auf dieser steht: "Nimm Dich nicht so verdammt wichtig!"

Chuck C: Eine neue Brille

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Ich will mein Leben zurück!

Co-Abhängigkeit sei nicht gleich Co-Abhängigkeit, schreibt Jens Flassbeck, doch es gebe einen gemeinsamen Nenner: "Der Suchtkranke erfährt auf der einen Seite eine Menge Aufmerksamkeit durch Sie und andere. Sie als Angehöriger erfahren auf der anderen Seite komplementär einen Mangel an Zuwendung und Beachtung."

Warum man das Co-Abhängigkeit nennt, ist mir nicht klar. Für mich ist das nichts anderes als Abhängigkeit. Konkreter: Selbst-destruktive Abhängigkeit. Schliesslich ist Abhängigkeit nicht notwendigerweise ein Problem, sondern gehört zum Leben: das Kleinkind ist von Mutter und Vater abhängig, die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern, der Staat von seinen Mitbürgern.

Jens Flassbeck benutzt den Begriff anders: "Abhängigkeit ist stets ein soziales System. Das ist ein Leitsatz der modernen Suchthilfe. Das System, nicht das Symptom, sollte behandelt werden, so ist der plakative Anspruch."

Die Unterscheidung von Ursache und Symptom ist zwar in vielen Bereichen sinnvoll, im Bereich der Seele/des Unbewussten ist sie es jedoch nicht. Um es mit Paul Valéry zu sagen: Das Kausalitätsprinzip hat unserem Geist recht seltsame Streiche gespielt."

In der Tendenz, so Flassbeck, finde "der Suchtkranke jede Menge Aufmerksamkeit und Sie als Angehörige kaum Beachtung". Dauernde Nichtbeachtung tut niemandem (das schliesst Suchthelfer mit ein) gut, was also ist zu tun?

Im Kapitel "Werden Sie wieder Sie selber" zeigen die Untertitel an, in welche Richtung es gehen soll: Vorweg: Seien Sie geduldig mit sich; Reden Sie; Nehmen Sie Abstand und gönnen Sie sich Pausen; Wie geht es Ihnen?; Lassen Sie den Ballon der falschen Hoffnungen platzen; Werden Sie im Kleinen wieder für sich aktiv; Lernen Sie, sich besser abzugrenzen und Nein zu sagen; Klären und trennen Sie Mein und Dein; Schützen Sie sich und andere; Was Sie wirklich über Sucht wissen sollten.

Wer sich jetzt wundert, was die Frage "Wie geht es Ihnen?" in dieser Aufzählung zu suchen hat, sei darauf hingewiesen, dass co-abhängige Angehörige darauf meist mit ausführlichen Auslassungen über das Verhalten des Suchtkranken antworten. Dass das nicht gerade von einem gesunden Selbstwertgefühl zeigt, liegt auf der Hand.

Erfreulich klar hält Jens Flassbeck fest: "Der Suchtkranke ist Experte für seine Sucht, und er hat ein Problem, um das er sich kümmern sollte, was aber vor allem seine Verantwortung, Entscheidung und Aufgabe ist."

So recht eigentlich unterscheiden sich Sucht und Co-Abhängigkeit gar nicht so sehr. "Der Zwang, angeblich etwas tun zu müssen" ist bei beiden zentral. Weshalb denn auch Jens Flassbecks sehr pädagogisch vorgetragene Ratschläge genau so für Suchtkranke wie auch für ihre potentiellen Retter sinnvoll sind.

Jens Flassbeck
Ich will mein Leben zurück!
Selbsthilfe für Angehörige von Suchtkranken
Klett-Cotta, Stuttgart 2014

Mittwoch, 10. Dezember 2014

The Power of the Heart

Als Baptist de Pape sein Jura Studium beendet und eine Karriere als Anwalt vor sich hatte, klickte er sich eines Nachts "in einen Online-Kurs mit Oprah Winfrey und Eckhart Tolle ein, der  A New Earth: Awakening to Your Life's Purpose (Eine Neue Erde: Finde den Sinn deines Lebens) hiess. Was Oprah da sagte, weckte sofort mein Interesse: 'Ich glaube, es gibt nichts Wichtigeres, als den Sinn deines Lebens zu finden.' ... Just in dem Augenblick spürte ich einen so starken Impuls im Herzen, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Es war, als wollte das Herz direkt auf meine Frage antworten und mich auffordern, ihm zuzuhören, und zwar sofort." Er beschliesst, um die Welt zu reisen und achtzehn spirituelle Lehrer, Forscher und Denker zu interviewen. Das Ergebnis liegt nun vor: "The Power of the Heart."

Unter den Befragten finden sich neben Deepak Chopra, Paulo Coelho und Eckhart Tolle auch Isabel Allende, Marianne Williamson und Maya Angelou. Und noch andere bekannte Namen. Man kann sich füglich fragen, ob Leute, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen (und sich möglicherweise darin sonnen), also über beträchtliche Talente in Sachen Selbstvermarktung verfügen, den Sinn Suchenden wirklich viel zu sagen haben.

Herausgeber Baptist de Pape ist ein Mann des Superlativs. "John Gray ist zweifellos der bekannteste Paarexperte der Welt" oder "Marci Shimoff ist eine der grössten Expertinnen der USA im Bereich von Glück, Erfolg und bedingungsloser Liebe" usw usw. Selbst die Orte, wo seine berühmten Zitate-Lieferer zu Hause sind, entgehen seinem Superlativ nicht. "Ich traf Coelho in seinem Büro bei ihm zu Hause in Genf – der für mich heiligsten aller Städte, weil er dort so viele wunderbare Bücher geschrieben hat." Wer schon einmal in Genf war, reibt sich da womöglich etwas verwundert die Augen.

Dieses Buch ist voll von Allerweltssätzen wie: "Wenn wir mit dem gegenwärtigen Augenblick verbunden sind, haben wir ein Gefühl von Fülle und Vollkommenheit." Schwer vorstellbar, dass das jemand bezweifelt, doch wie kommt man dahin? Leider erfährt man da nur sehr Unspezifisches. Etwa, dass man aufhören solle, nach dem oder der Richtigen zu suchen und selber der/die Richtige zu werden. So liest man über Linda Francis: "Erst nachdem sie einen Weg gefunden hatte, bei sich anzukommen und in sich selbst ganz zu sein, lief ihr der jetzige Lebenspartner Gary Zukav über den Weg." Ist ja schön und gut, und vielleicht hält ja diese neue Beziehung auch, doch hätte man als Leser gerne gewusst, wie Lindas Weg denn nun eigentlich ausgesehen hat ...

"The Power of the Heart" ist sowohl ein ärgerliches als auch ein hilfreiches Buch. Ärgerlich, weil vieles, was von den versammelten Berühmtheiten zitiert wird, von einer Banalität ist, die schwer zu übertreffen ist. "Der eigentliche Schlüssel zur Gesundheit ist das Gefühl, geliebt und umsorgt, gehört und verstanden zu sein." (Dean Shrock), "Vergebung spielt eine wesentliche Rolle für unser spirituelles Wachstum und unsere Entfaltung" (Michael Beckwith).

Hilfreich ist das Buch dennoch, weil man nämlich auch wirklich Bedenkenswertes präsentiert bekommt. Zwei Zitate will ich herausgreifen: "Jeder Augenblick ist einzigartig, unbekannt, vollkommen frisch und neu" (Pema Chödrön). "Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen" (Jesus).

Baptist de Pape
The Power of the Heart
Knaur Verlag, München 2014

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Nüchtern

Der erste Satz, das behaupten viele, die schreiben (und auch viele, die lesen), sei der wichtigste, jedenfalls zentral. Der erste Satz in Daniel Schreibers "Nüchtern" geht so: "Es ist immer einfacher, sich an den Anfang einer Liebe zu erinnern als an ihr Ende." Klingt gut, stimmt aber eben nicht. Jedenfalls für mich nicht. Für mich ist das kein ehrlicher, sondern ein literarisch ambitionierter Satz. Und da Ehrlichkeit der Schlüssel zur Genesung ist, bin ich zum Auftakt schon skeptischer als mir eigentlich lieb ist.

Als Daniel Schreiber dann jedoch das allmähliche und unbemerkte Hineinschlittern ins zwanghafte Saufen beschreibt, ist meine Skepsis weg.

Wie gesagt, Ehrlichkeit ist der Schlüssel und das meint: das Hauptproblem bei der Sucht ist die Selbsttäuschung. "The first principle is not to fool yourself, and you are the easiest person to fool", sagte Richard Feinman einmal in einem ganz anderen Zusammenhang. Doch Verleugnung ist nicht allein ein individuelles Problem. Treffend hält Schreiber fest: "Alkoholprobleme werden auch auf einer kollektiven Ebene grossflächig verleugnet, und in Deutschland tatsächlich noch mehr als anderswo." Nun gut, das gilt auch für die Schweiz und so recht eigentlich für sehr viele, wenn nicht die meisten Länder. Eine löbliche Ausnahme bilden die USA.

"Deutschland gehört mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 12,1 Liter reinem Alkohol zu den Ländern in denen deutlich mehr als anderswo getrunken wird." Ich halte das zwar für möglich, auch wenn ich solchen Zahlen hinten und vorne nicht traue. Gibt es sie auch für asiatische oder für afrikanische Länder? Und wie kommen sie zustande? Und was ist mit Russland und Osteuropa? Wie auch immer: Alkoholabhängigkeit ist sicherlich verbreiterter als gemeinhin angenommen, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, denn der Sucht-Wahrheit ins Gesicht zu sehen, ist wenig populär.

Wann man die Grenze vom Trinken zum Saufen überschreitet, weiss keiner wirklich zu sagen. Auch im Nachhinein nicht. Was einen letztlich dazu motiviert, mit dem Alkohol aufzuhören, ebenso wenig. Eine der verrückten, absolut surrealen Geschichten, die Daniel Schreiber erzählt, handelt von einem seiner Bekannten, der des zu vielen Trinkens wegen seine Familie verlor, eines Tages alkoholisiert in einen Baum raste, sich dabei fast jeden Knochen brach und anschliessend sechs Monate im Krankenhaus lag. Diese abstinente Krankenhaus-Zeit war ihm Beweis, dass er kein Problem mit Alkohol hatte. "Er hörte erst viel später auf zu trinken, ohne einen augenscheinlichen Grund und nachdem er es etliche Male vergebens versucht hatte."

"Momente der Klarheit sind seltsame Zufälle. Man muss sie beim Schopf packen, denn sie können einem das Leben retten."

Daniel Schreiber ist mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker trocken geworden. Die Identifikation mit anderen sowie simple Slogans wie "Nur für heute", die er anfangs für "unfassbar naiv und esoterisch" hielt, erwiesen sich dabei als hilfreich. Schliesslich lernte er die Realität zu akzeptieren wie sie nun einmal ist. Mit Höhen und Tiefen, guten und nicht so guten Zeiten..

"Nüchtern" zeigt differenziert auf, wie komplex und rätselhaft die Alkoholabhängigkeit ist. Neben der Geschichte von des Autors eigener Abhängigkeit und Genesung, informiert es auch vielfältig über die medizinischen und gesellschaftlichen Aspekte der Sucht, führt aus, wie geächtet der Alkoholismus noch immer ist und beklagt unter anderem, dass selbst Menschen, die wissen, dass es sich bei der Alkoholsucht um eine Krankheit handelt, diese mit Willensschwäche assoziieren.

Dass Daniel Schreiber sich bemüht, den Alkoholismus in einen grösseren Zusammenhang zu stellen (Alkohol als Hilfsmittel zur Entspannung, übermässiges Trinken wird tabuisiert, suchtgeprägtes Denken und Verhalten können karrierefördernd sein) ist begrüssenswert. Und auch problematisch. Weil nämlich die meisten Menschen kein Problem mit dem Trinken haben. Doch ums Trinken geht es eigentlich gar nicht, sondern darum, sich fürs Leben zu entscheiden.

"Nüchtern" liefert einen nüchternen Blick auf ein Tabu, es ist ein nützliches Buch.

Daniel Schreiber
Nüchtern
Über das Trinken und das Glück
Hanser Berlin 2014