Mittwoch, 16. April 2014

Erschöpfungsdepression

Daniel Göring, geboren 1966, erleidet eine Erschöpfungsdepression bis zum versuchten Suizid, schreibt der Verlag und bezeichnet das Buch als "packendes, autobiografisches Protokoll über ein Burnout in den Teppichetagen unserer Leistungsgesellschaft." Diese Gleichstellung von Erschöpfungsdepression und Burnout halte ich für problematisch, nicht zuletzt, weil ich die Diagnose Burnout dem Zeitgeist, der Krankheiten sieht, wo es keine gibt, geschuldet erachte. Mit Jörg Blech (Die Psychofalle) ist festzuhalten: Burnout ist ein medizinisch sinnloser Begriff. "Denn sobald der Zustand, der damit bezeichnet wird, behandlungswürdig ist, handelt es sich automatisch um eine Depression."

Daniel Göring ist gelernter Typograf, hat als Journalist Erfahrungen gesammelt und danach als Kommunikationschef grosser Organisationen gearbeitet. Er funktioniert, man hat nicht den Eindruck eines von Sinnfragen gepeinigten Menschen. Nach einem Abend mit mässig viel Alkohol (er verträgt nicht viel), wacht er mit Kopfweh auf, blickt in den Spiegel, sieht eine zerknitterte Gestalt mit tiefen Furchen unter den Augen und fragt sich: "Wofür tue ich mir das alles an?" Nichts Aussergewöhnliches also, so geht es wohl ab und zu jedem Rädchen in einer Maschinerie, die am Laufen gehalten werden muss, weil unser Wirtschaftssystem das so will.

Es überkommt ihn "das Gefühl einer monumentalen Mattigkeit ... wie eine Naturgewalt. Ich musste mich am Schüttstein festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren: Ich mochte nicht mehr, ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr!"

Es mutet surreal an, dass nach diesem Aufschrei der Text weiterplätschert, als ob nichts geschehen wäre. Ich lese von Budgetzahlen und Kommunikationsaktivitäten, von einem sogenannt normalen  Arbeitsalltag also. Am Abend kriegt er Besuch. "Meine alte Freundin, die Sehnsucht. Die Sehnsucht, sich in nichts aufzulösen, das Verlangen, einfach zu verschwinden." Er besorgt sich Medikamente. Erst jetzt erfährt der Leser, dass Daniel Göring vor zwei Jahren Pillen gegen Stimmungsschwankungen verschrieben gekriegt, jedoch eigenmächtig abgesetzt hatte. Was genau für Stimmungsschwankungen das gewesen sind, wie lange er die Pillen genommen hat, erfährt man leider nicht.

 Er hat sich entschieden, Zweifel, seinen Entschluss nicht umzusetzen, scheinen ihm fremd, systematisch bereitet er seinen Selbstmord vor. Er trinkt den bitteren, scharfen ätzenden Cocktail, legt sich ins Bett "im Vertrauen darauf, dass meine alte Freundin mir den gepriesenen Weg zeigen würde." Dann muss er kotzen, schläft ein, kommt in der Notaufnahme wieder zu sich.

Die Lebensfreude ist nicht zurückgekehrt. Er erträgt seine Mitmenschen schlecht, zieht sich zurück, ist auf einem selbstmitleidigen Egotrip. "Niemand konnte mich verstehen ... Niemand sollte mehr an mich herankommen, niemand mehr es wagen, mich aus der Abwehr herauszulocken."

Spaziergänge geben ihm Kraft. In der Reha lernt er wieder auf seinen Körper (und damit auf sich selber) zu achten. Wie man das macht, schildert er eindrücklich unprätentiös auf den Seiten 83 und 84 .... und schon allein deswegen lohnt sich die Lektüre dieses Buches.

PS: Etwas verblüfft hat mich, dass das "Hund mit Frisbee"-Beispiel des Therapeuten einen so durchschlagenden Effekt haben konnte.

Daniel Göring
Der Hund mit dem Frisbee
elfundzehn Verlag, Eglisau 2014
http://www.elfundzehn.ch/

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