Mittwoch, 19. Februar 2025

Das wiedergefundene Licht

Dass dies ein aussergewöhnliches Buch ist, war mir bereits auf den ersten Seiten klar. Des Tons, aber auch der Sprache und der Einsichten wegen. Doch vor allem war da eine Lebensbejahung, die mich begeisterte. Er habe eine glückliche Jugend gehabt und nie einen metaphysischen Zweifel gekannt, notiert der Autor. „Gewiss hatte ich – wie alle Kinder – meine Nöte und Kümmernisse. Doch ich muss gestehen: An sie erinnere ich mich nicht mehr.“ Wunderbar! Auch natürlich, weil ich diese Erfahrung teile.

Ich kann mich nicht erinnern, je eine Kindheitserinnerung gelesen zu haben, die ich als derart lebensvertrauend empfunden habe. Er fühlte sich getragen, seine Eltern liebten ihn. Kinder wissen das, weil sie „alles mit ihrem ganzen Sein begreifen, wir (Erwachsenen) dagegen nur mit unserem Kopf.“

Das Licht war für den kleinen Jacques schon früh bedeutsam. „Das Licht übte auf mich einen faszinierenden Zauber aus. Ich sah es überall, und ich betrachtete es stundenlang.“ Dann, durch einen Unfall, wird er blind. „Jeden Tag danke ich dem Himmel dafür, dass er mich schon als Kind von noch nicht ganz acht Jahren blind werden liess.“ Natürlich bedarf das einer Erklärung. Und die liefert der Autor dann auch. Lesen Sie selbst, es lohnt ...

Er hadert nicht, erlebt alles neu, und vor allem, dass alles ständig im Fluss, die Vorstellung von Anfang und Ende falsch ist. Er erfährt eine ganz wundervolle Lebensenergie, die allerdings zu versiegen droht, wenn sich Angst, Zorn, Ungeduld und Bösartigkeit einstellen. Oder wenn er beim Spiel unbedingt gewinnen will. Für Jacques Lusseyran ist alles belebt, er fühlt dies, er spürt es, er erlebt es.

Die Blindheit, notiert er, erweitert „die inneren Erfahrungen auf Kosten der äusseren bis ins Masslose.“ Auf dem Land tut er sich leichter mit ihr als in Paris, wo die Strasse ein Labyrinth von Geräuschen ist. Doch generell gilt: „Die Blindheit ist in der Welt der Sehenden nicht sehr willkommen. Sie ist so wenig bekannt und, so kann man fast sagen, so gefürchtet!“ Dadurch birgt sie die Gefahr der Isolation. Auch sind Blinde immer abhängig von anderen, was Jacques Lusseyran allerdings nicht als Unglück, sondern einfach als Tatsache sieht, mit der umzugehen ist. Schliesslich sind auch Sehende mannigfaltig abhängig.

Das wiedergefundene Licht ist das Werk eines höchst eigenständigen Denkers ( Jacques Lusseyran lehrte nach dem Krieg als Philosophieprofessor in Frankreich und den USA), der das Leben als Geschenk begreift. Was er über die Erfahrungen von Kindern schreibt, sollte Erwachsenen eine Lehre sein. „Für einen Achtjährigen 'ist' was ist, und es ist immer das Beste. Er kennt keine Bitterkeit und keinen Groll. Er kann zwar das Gefühl haben, ungerecht behandelt worden zu sein, doch er hat es nur dann, wenn ihm die Ungerechtigkeit durch Menschen zuteil wird. Die Ereignisse sind für ihn Zeichen Gottes.“

Immer mal wieder unterbreche ich meine Lektüre, halte inne, denn was dieses Buch in Fülle vermittelt, sind ganz verschiedenartige und überaus erhellende Einsichten, bei denen sich zu verweilen lohnt. „Paris war wie alle Städte eine Schule des Egoismus.“ Oder: „Wie könnte man hoffen, dass eine Schule, ein Ausschuss oder gar eine Verwaltungsbehörde, dass Ämter, die nur kraft ihrer Gewohnheiten – das heisst ihres Durchschnitts – überleben, mit Wohlwollen auf Ausnahmen blicken?"

Das wiedergefundene Licht trägt auf vielfältigste Art und Weise zur Bewusstseinsbildung bei. So etwa, wenn der Autor darauf hinweist, dass es nichts auf der Welt gibt, was nicht durch ein anderes ersetzt werden könnte. Oder wenn er über die einschläfernde Macht der Gewohnheit festhält. „Der Knabe tut alles aufmerksam, der Mann tut alles nur noch gewohnheitsmässig.“ Oder wenn er über seine Entdeckung von Shakespeare berichtet, dessen Geist er also ebenso komplex bezeichnet wie das Leben.

Auch vom Krieg ist die Rede, wenn auch anders als gemeinhin üblich. Plötzlich waren die Leute weniger mürrisch, konstatiert er, was auch daran lag, dass die Gewohnheiten nicht mehr das Leben bestimmten, man sich lebendiger fühlte. „Überall wehte ein freiheitlicher Wind.“

Als die Deutschen Frankreich besetzen, gründet und engagiert er sich in einer Widerstandsbewegung von Jugendlichen, den „Volontaires de la Liberté“. Diese tut sich mit einer anderen Gruppe zusammen, der „Défense de la France“. Zusammen bringen sie eine Untergrundzeitung heraus. Er wird verraten, kommt nach Buchenwald.

Eine ausserordentlich berührende und wunderbar ansteckende Liebeserklärung ans Leben. Grossartig! Ein echter Glücksfall.

Jacques Lusseyran
Das wiedergefundene Licht
Klett-Cotta, Stuttgart 2024

Sonntag, 16. Februar 2025

Attention Junkies

More-More-More is the basis of a modern life well-lived, as the ideologues and propagandists of consumerism do not tire to tell us. Not in these words, of course, instead they show us pictures that represent our longings. Pictures transport feelings, and feelings are an easy target because they are extremely difficult to control.

While the idea that nothing is ever enough is the motor of economic growth, it is also the mother of addiction.

Since addiction however is widely understood to be related to chemical substances, it is routinely overlooked that it is essentially an attitude that spells more-more-more.

It doesn't cease to baffle me that the attention that the media around the world give to the present American president is not seen as what it is: Pushers who deliver the daily attention doses this man cannot live without. They themselves also are addicted to attention; their business model makes them attention junkies.

As far as I'm concerned, I prefer to direct my attention to the wonders of nature.

Santa Cruz do Sul, Brazil, 3 February 2025

Mittwoch, 12. Februar 2025

On Rationalisations

13 April 2024, near Ziegelbrücke, Switzerland

Santo Cruz do Sul, Brazil. Recently, during discussions on Brazilian and world politics that were characterised by sympathy or antipathy for this or that so-called leader (who, needless to say, is not leading at all but being led by the wishes, demands and the applause of the ones who voted for them), it all of a sudden and with a so far unknown clarity, hit me that what we were saying were nothing but rationalisations of deeply held beliefs.

Our arguments were based on the informations we preferred. None of us at the table was in the least interested in changing their world view but to change the world view of the others. All of us expressed our emotions dressed up as the result of rational thinking. The differing information provided was seldom really considered but almost automatically dismissed. Yes, but ... we all do that. Sure,  the "I never thought of that" does also occur yet it rarely leads to an attitude change. Differently put: our discussions essentially fill the void, they also entertain and occasionally inspire but above all they rationalise and try to make sense respectively of what we feel. And that, sadly, is not often comforting.

Whether one likes the US or Brazil has little or nothing to do with politics, it's to do with basic feelings that we rarely control. We mostly do not know where they come from. "My" US and "my" Brazil have to do with landscapes, music, people I like, and vibes. Also, in case of the US, with the sixties. It goes without saying there are also things I do not like, the habit of both countries to rarely come up with a decent political figure, for instance, yet that has not prevented me of feeling well there.

The other day, when I argued that Russians were particularly cruel (concentration camps in Siberia as well as their habit of invading and occupying other countries), a woman at the table opined that people were the same all over the world. Needless to say, I do not disagree. Moreover, examples are easily found in case you want to prove that no country and no people are shining proof of civility.

But are we really all the same? If so, it clearly wouldn't matter with whom or where we live. Well, to me it does, and it is not only because of the climate. And, quite obviously, to others this matters too. It might also be noted that migrants usually do not stand in line in order to get into countries like Russia, China or Saudi Arabia.

Sonntag, 9. Februar 2025

Beherrsche deine Emotionen

 "Domine suas emoções, domine 2025" (Beherrsche deine Emotionen, beherrsche 2025) war der Beitrag in der Gazeta do Sul überschrieben. Solche Artikel lese ich normalerweise nicht. Die Vorstellung, Gefühle beherrschen zu können, halte ich für absurd. Siehe auch hier.

Was mich bewogen hat, diesen Beitrag trotz meiner Voreingenommenheiten zu lesen, weiss ich nicht wirklich (mitgespielt hat vermutlich, dass ich mit Lesen mein Portugiesisch verbessern kann), doch was ich las, gefiel mir nicht nur, ich fand es hilfreich. Besonders ein Aspekt hat es mir angetan.

Üblicherweise, führte der Autor aus, konzentrieren wir uns auf einen einzigen Gefühlszustand wie etwa Wut oder Traurigkeit. Dabei ignorieren wir andere Gefühlszustände, die ebenso relevant sind. Wenn wir nun versuchen, uns gleichzeitig mindestens drei unterschiedliche Gefühlszustände zu vergegenwärtigen, erweitert sich unsere Wahrnehmung zu einer wesentlich realistischeren Variante unserer aktuellen Gefühlssituation.

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Wir werden ja zurzeit täglich zugemüllt mit Informationen über den durchgeknallten Rentner im Weissen Haus, was seine Anhänger vermutlich begeistert, alle anderen hingegen entschieden weniger. Diesem Medienbombardement kann man sich nur schwer entziehen, doch wer bei geistiger Gesundheit bleiben will, sollte dies tun. 

Mir gelingt dies am ehesten, wenn ich bewusst innehalte, meine Gefühle wahrnehme, benenne, was ich empfinde (Abscheu, Angespanntheit, Wut, Rastlosigkeit etc.), und mich dann frage (falls mir dieses Gefühl unangenehm ist), was ich konkret tun kann. Allein die Frage bewirkt, dass die Intensität der Empfindung leicht nachlässt. Wenn ich nun, wie der erwähnte Artikel anregt, mich darauf konzentriere, weitere Gefühle zuzulassen, ist der Impulsdruck noch weniger stark. Und vor allem: Mir wird bewusst, dass ich ihm nicht nachgeben muss.

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Nichts, das meine Seele mehr erfreut als die Schönheit.

Santa Cruz do Sul, 5 Februar 2025

Mittwoch, 5. Februar 2025

The Secret

Once during a regular question and answer session with his students,
spiritual teacher J. Krishnamurti paused and leaned forward and 
asked the audience, “Do you want to know what my secret is?”.

Everyone sat up and became immensely alert because here was one
of the great spiritual teachers of the 20th century and he was about
to tell them his secret. Krishnamurti in a soft spoken voice said
“You see, I don’t mind what happens”.

“When you live with this awareness, this sensitivity, life has an
astonishing way of taking care of you. Then there is no problem of
security, of what people say or do not say, and that is the beauty of life.’

J. Krishnamurti