Ich
habe nur einen Feind: die Hoffnung.
Ständig
sagt sie mir, alles werde nicht nur gut, sondern noch besser werden;
immerzu treibt sie mich an, nie lässt sie mich sein, wo und wie ich
bin.
Was
wäre der Mensch ohne Hoffnung? habe ich einmal gelesen. Nicht nur
Hemingway hat sich dies gefragt, doch ihm, als Alkoholiker (wenn, was
wir über ihn gelesen, der Wahrheit entspricht), war die Hoffnung
wohl überlebensnotwendiger als anderen, die vielleicht etwas weniger
leiden und deshalb dieser tröstenden Vorstellung, dass alles, in der
Zukunft, der fernen, eigentlich immer nur besser werden kann, nicht
so stark bedürfen.
Wer
in der Gegenwart lebt, bedarf der Hoffnung nicht. Vorausgesetzt
natürlich, er (oder sie – die künftig immer mit gemeint werden
soll) lebt gerne in dieser Gegenwart. Ein solcher muss nicht
vertröstet werden, ein solcher schätzt, was er hat.
***
Der
Mensch ist grundsätzlich unzufrieden angelegt, und deswegen ein
sehnsüchtiges Wesen. Um mit Wilhelm Busch zu reden: was er hat, das
will er nicht, und was er will, das hat er nicht. Und deshalb braucht
er die Hoffnung, dass er eines (meist fernen) Tages (vielleicht aber
auch erst im Himmel), haben wird, was er jetzt schon will (und dann
möglicherweise nicht mehr haben möchte – doch das wäre eine
andere Geschichte).
Ständig
also hofft der Mensch auf bessere Zeiten. Diesen Vorgang bezeichnet
man auch als warten. Dem Spanisch sprechenden Latino ist das eh
dasselbe, für ihn bedeuten sowohl hoffen als auch warten esperar,
was uns zum Schluss zwingt, dass wenn der Latino hofft, er zur
gleichen Zeit auch wartet, und wenn er wartet, er ganz offenbar
sogleich hofft. So richtig unmittelbar eingeleuchtet hat mir das, als
ich letzthin auf den Bus wartete und dabei hoffte, dass er auch käme.
Für
die Latinos ist also der Fall gelöst: sie haben absolut Null-Chance,
jemals in der Gegenwart leben zu können. Und scheinen auch gar kein
Problem damit zu haben, man denke nur an ihr andauerndes mañana.
Oder meint das vielleicht das Gegenteil? Dass also das Heute das
Wichtige und alles andere bis morgen warten könne?
Wir
andern aber, die wir so gewiss sind, dass wir im Hier und Jetzt leben
sollten (möglichst entspannt natürlich), wir haben ein Problem
damit, dass wir, so sehr wir es auch wollen, es einfach nicht können.
Wo
ein Wille, da kein Weg, sagt uns dazu der Psychologe von heute, und
wir glauben zu ahnen, dass da was dran sein könnte, nur haben wir
nicht den leisesten Schimmer, wie wir das jetzt praktisch umsetzen
sollten. Im Gegensatz zum Psychologen – der fordert für solche
Weisheiten Honorar.
Wir
trotten also weiterhin ratlos durch die Gegend, wobei wir von Zeit zu
Zeit auf Leute treffen, die behaupten, im Grunde sei alles ganz
einfach, man müsse nur in der Gegenwart leben. Es sind dies in der
Regel Menschen, die den Anblick in Blüte stehender Blumen
unweigerlich mit Begeisterungsschreien kommentieren. Ich gestehe, mir
ist ein solches Naturell nicht gegeben, und ich bin mir auch gar
nicht so sicher, ob ich wünschte, mir wäre ein solches mitgegeben
worden. Und wenn ich schon beim Gestehen bin: mir ist von den mir
bekannten drei Zeitzonen – der Vergangenheit, der Gegenwart, der
Zukunft – die Gegenwart am wenigsten lieb. Nicht dass ich das gut
finde, doch es ist so.
In
einer Kultur gross geworden, die dem Sollen, dem Müssen, eine
Prominenz zuweist, die einen in Null-Komma-Nix die Flucht in den
Buddhismus antreten lässt, reagiere ich auf Aufforderungen, die mit
„Du musst nur“ anfangen, automatisch mit Verweigerung und fühle
mich dann fast augenblicklich auf eine mir nicht so recht erklärliche
Art schuldig.
Doch
so eine Sollens-Kultur bringt es eben auch mit sich, dass man immer
weiss, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten. Und darauf
hofft, wenn man denn das Seinige zu tun bereit ist, dass die Dinge
eines Tages so sein könnten, wie sie eigentlich sein sollten.
Sisyphus
scheint davon nicht sonderlich überzeugt gewesen zu sein. Der
konzentrierte sich darauf, den Stein den Hügel hinauf zu rollen. Und
tat das und nur das und sonst gar nichts. Camus soll gesagt haben,
man müsse sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen. Obwohl
mir der Gedanke sympathisch ist, habe ich mir bisher
Fliessbandarbeiter nicht als fröhliche Menschen vorgestellt, aber
ich bin ja auch kein anerkannter Philosoph.
Lasst
alle Hoffnung fahren! hatte ich ja eigentlich immer als Drohung
interpretiert. Wenn dem nun aber gar nicht so wäre, wenn das in
Wirklichkeit eine Aufforderung wäre, sich der Realität, also dem,
was ist, zu stellen? Und einfach zu tun, was zu tun ist, und sich
darüber keine weiteren Gedanken zu machen?
Ich
weiss nicht so recht. Es klingt mir doch ein bisserl arg nach
„glücklich, wer nicht denkt“, und dazu mag ich mich eigentlich
nicht äussern, schon deshalb nicht, weil es, das weiss jeder,
eindeutig was für sich hat, doch eben genauso eindeutig ziemlicher
Humbug ist. Schliesslich ist einer, der denkt, deswegen nicht schon
gleich unglücklich.
Und
überhaupt, so sagt man, zeichne das Denken den Menschen doch aus.
***
Es
gehe darum, den Wald voller Affen im Kopf zur Ruhe zu bringen, sagt
der buddhistische Mönch im Hauptsitz des „World Fellowship of
Buddhists“ in Bangkok. Wir sollten den Atem beobachten, ihm einfach
folgen, konstatieren, was passiere. Wenn Gedanken uns ablenkten, sie
weder verscheuchen, noch ihnen nachgeben, sondern sich sagen, aha,
ein Gedanke, und dann wieder zum Atem zurückkehren.
Ein
Mann (der sei früher Professor in Berkeley gewesen, raunt mir mein
Nachbar zu) meldet sich: er habe das schon oft geübt, doch nach
zwei, drei Minuten sei er regelmässig weg von seinem Atem und voll
in Gedanken.
Der Mönch lacht. Das sei normal. Er solle einfach
weiter üben.
Mir
geht es so wie diesem Mann: ganz schnell bin ich wieder bei meinen
Gedanken (und sie bei mir). Das ist vertrautes Territorium. Und
überhaupt finde ich meinen Atem zu beobachten ganz und gar nicht
attraktiv.
Wir
üben jetzt eine halbe Stunde lang Meditation im Gehen, sagt der
Mönch. Stehen Sie gerade, fassen Sie den Punkt am Ende der Halle, wo
Sie hinwollen, ins Auge. Und jetzt konzentrieren Sie sich auf Ihre
Füsse: wie sie auf den Boden treffen, abrollen, sich heben.
Diesmal
geht’s, diesmal spüre ich das Heben, Senken, Auftreffen, Abrollen
der Füsse, die Vorwärtsbewegung des Körpers, und ohne dass mich
Gedanken sofort wieder wegholen. Diesmal brauche ich nicht zu hoffen,
diesmal bin ich ganz einfach – und tue, was ich tue.