Mittwoch, 31. Juli 2024

Lerne zu fühlen, was du fühlen willst

Wir wollen uns glücklich fühlen. Rients R. Ritskes hält dieses Bestreben für dem Menschen angeboren. "Das in Menschen inhärente Streben nach Glück ist der Ausgangspunkt für meine Betrachtungen des Zen, des Buddhismus und auch des Existenzialismus." Und: "Wir haben unser Glück mehr in der Hand, wenn wir gut erfühlen, was wir wollen und auch danach leben." Klingt einleuchtend, setzt allerdings voraus, dass es sowas wie Willensfreiheit gibt, von der wir jedoch wissen (können), dass sie eine Illusion ist. Doch eine sehr hartnäckige, weshalb denn auch der Ansatz von Rients R. Ritskes von praktischem Wert ist.

Doch kann man wirklich fühlen lernen, was man fühlen will? Meine Gefühle und Emotionen kommen und gehen wie es ihnen passt, offenbar aus dem Nichts, wohin sie auch zu entschwinden scheinen. Das Gleiche gilt übrigens für meine Gedanken, auch sie machen, was sie wollen. Ich bin nicht einmal sicher, dass ich es bin, der denkt; mein Eindruck ist eher, dass etwas in mir denkt.

Lerne zu fühlen, was du fühlen willst ist kein theoretisches, sondern ein praktisches Buch, das auf der Grundlage von des Autors  Erfahrung beruht. "Strebe nach dem Glück anderer", empfiehlt er und plädiert für "eine offene, unbefangene Geisteshaltung, in der wir kontinuierlich lernen, was sich in unserem Leben von Moment zu Moment ergibt. Zen ist ein durchgehendes Training im Nicht-Zu-Viel-Wollen und dem Hüten davor, uns mit unseren Wünschen zu identifizieren." Man nennt das auch den Anfänger-Geist

Unter Emotionen versteht  Rients R. Ritskes Energien, die uns in Bewegung bringen und das meint: sie steuern unser Verhalten. "Ungeachtet dessen, ob es um positive oder negative Emotionen geht, sind alle Emotionen Manifestationen bewusster oder unbewusster Ziele." Und da es arg viele davon gibt, die alle ganz Unterschiedliches wollen, gilt es zu lernen, nicht zu viel zu wollen. Das ist das Ziel, das wir so bewusst wie möglich verfolgen sollten.

Drei Formen des Fühlens werden unterschieden: Das Sich-Gut-Fühlen, das Verlangen sowie die Abneigung. Wieso der Autor diese von den Emotionen unterscheidet, hat sich mir nicht erschlossen, was auch daran liegt, dass er die beiden Begriffe, die sich überlappen können, auch immer wieder zusammen verwendet, wenn er etwa fragt: "Auf welchem Fundament stehen alle Gefühle und Emotionen, die wir tagtäglich erfahren?"

Zentral ist, dass wir uns nicht mit unseren Emotionen identifizieren, sondern sie ganz einfach wahrnehmen, ihnen mit Achtsamkeit begegnen. Es gilt zu lernen, "bei unserem Gefühl innezuhalten. bevor es sich in dysfunktional geäusserte Emotionen transformiert." Das meint nichts anderes als zwischen dem, was wir fühlen, und unserem darauf gründenden Handeln, eine Pause einzulegen ist, in der wir achtsam zur Kenntnis nehmen, was in uns vorgeht. 

Lerne zu fühlen, was du fühlen willst ist ein grösstenteils hilfreiches Buch, an dem mich jedoch stört, dass er häufig von "unverarbeiteten Erfahrungen" spricht, eine Ausdrucksweise, die man häufig in der Psychologie findet und die schwammiger kaum sein könnte. Wie, um Himmels Willen, verarbeitet man bloss Erfahrungen? Mit Hobel, Leim und Schere oder vielleicht mit Ursachenforschung, die meines Erachtens im seelischen Bereich irrelevanter nicht sein könnte, denn der Grund, weshalb jemand etwas tut, kann genauso gut Anlass dafür sein, dies nicht zu tun.

Überhaupt ist das Buch reichhaltiger an Rients R. Ritskes persönlicher Psychologie, die so nachvollziehbar ist wie die der meisten, als an Ausführungen über Zen. Zudem fand ich seine Überlegungen zum Buddhismus nicht immer überzeugend. "Wenn Buddha sagt: Leiden entsteht aus Begierde, dann würde ich diese Begierde primär als Manifestation von Neid deuten." Das finde ich viel zu kurz gedacht, vielmehr kann Begierde jede Art von Verlangen inklusive Wünschen und Hoffen sein.

Rients E. Ritskes
Lerne zu fühlen, was du fühlen willst
Zenvoll mit Emotionen umgehen
Origo Verlag, Bern 2024

Mittwoch, 24. Juli 2024

Was ist dein Plan für heute?

Santa Cruz do Sul, 22 Februar 2023

 Was ist dein Plan für heute?, frage ich die 11Jährige, die ich in Santa Cruz do Sul in Englisch unterrichte. Ich habe keinen Plan, erwidert sie. Was machst du denn nach dem Unterricht? Ich gehe zu meiner Freundin, wir spielen, dann gehe ich nach Hause zum Mittagessen, und dann schaue ich fern. Ist das denn kein Plan? Nein, das mache ich jeden Tag.

Mittwoch, 17. Juli 2024

Worum es wirklich geht

Hamamatsu, Japan, 22. April 2019

Wir sind alle verschieden, sehen die Welt jeweils auf unsere eigene Weise. Worum es wirklich geht, kann ich also höchstens für mich beantworten. Nun gut, so sei es denn, auch wenn ich diese individuelle Sichtweise nicht teile und davon ausgehe, dass wir viel, viel mehr gemein haben als unsere Eitelkeit zulässt. Meine Erfahrung ist: Je subjektiver ich mich äussere, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass andere sich damit identifizieren können. Doch zurück zu worum es meines Erachtens wirklich geht.

Um Grundsätzliches. Um eine Grundhaltung. Nie um die Probleme, die wir selber schaffen, um uns dann an deren Lösung zu machen. Damit wir etwas zu tun haben, beschäftigt sind. Fragt ein Anwalt oder eine Psychologin, worin das Problem besteht, kann man sicher sein, dass sich dieses durch unsere Antwort vervielfacht. Probleme sind für beratend Tätige Geschäftsmodelle.

Probleme dienen der Ablenkung. „Problem no good“, hatte ich in der Zeit, als ich mich oft monatelang in Thailand aufhielt, ständig zu hören gekriegt. Und mich gewundert, dass die Thais dauernd das für mich Offensichtliche ausdrückten. Ich selber fand Probleme damals gut, sie gaben mir etwas zu tun, hielten mich auf Trab. Heutzutage scheint mir, dass sie dazu dienen, die Langeweile zu verscheuchen – und gebe mich dann gelegentlich dieser Langeweile hin d.h. ich tue nichts, sitze oder liege einfach da und beobachte, was mir durch den Kopf geht. Ich erlebe dies als ausgesprochen eigenartig, zu fassen ist es nicht – ich will es auch gar nicht.

Annie hatte begriffen, dass die Einzelheiten fast nie das eigentliche Problem sind. Das Problem ist vielmehr eine bestimmte Persönlichkeit – der unausgeglichene Mensch, der davon überzeugt ist, dass er unter ungerechten, aber stets verborgenen Mächten zu leiden hat.“, so Joseph O’Neill in Godwin.

Grundsätzliches meint, in meinem Falle, zu einem ausgeglichenen Menschen werden. Ich selber erlebe mich überhaupt nicht so, sondern als eine Art Wirbel, den ich ständig entwirren will. Mich stattdessen diesem Wirbel hinzugeben, mich nicht gegen meine Realität zu wehren, ziehe ich von Zeit zu Zeit in Betracht – und ab und zu tue ich es sogar. Bislang sind die Gewohnheiten jedoch stärker. Leider.

Allerdings gibt es auch Momente, denen ich mich vorbehaltlos hingebe. Zum Beispiel, wenn ich an Grundsätzliches denke, wozu auch gehört, was eine deutsche Schachgrossmeisterin so gesagt hat: Sie versuche nicht, Fehler zu vermeiden; sie versuche, ein gutes Spiel zu spielen.

Mittwoch, 10. Juli 2024

Neutralize conflicts

 Unless you want a fight or an argument, don’t give people anything to push against.

Here is a key to harmonizing with people who are upset or have a point of view different from your own. Stay so relaxed when you talk to them that you allow yourself to empathize with how they think and feel. That doesn’t mean that you give in to people’s every whim. It means, instead, that you are so clear and focused that you can genuinely let other people be who they are, too.

It’s both naive and egotistical to think that everyone thinks and feels the same as us. It’s ridiculous to believe that everyone will agree with our point of view. One of the true signs of a person who is growing in consciousness is that he or she recognizes that each person has individual motives, desires, and feelings.

“Instead of meeting a verbal attack with a verbal conterattack you respond first by coming around to your attacker’s point of view, seeing the situation from his or her viewpoint,” wrote George Leonard in the Way of Akido.

He was talking about using a concept called “blending” to deal with verbal confrontations in our daily lives. “The response, whether physical or verbal, is quite disarming, leaving the attacker with no target to focus on. It’s a means by which you can multiply your options in responding to any kind of attack.”

If the person espousing his or her point of view is just trying to get us to react or has no desire for reconciliation, we can still neutralize the conflict by staying relaxed, letting the other person be, and responding by saying “hmmmm.” It’s a polite way of saying whatever, when expressing your disagreement would only lead to a senseless fight. At the least, you’ll become a great conversationalist, a respectable art to be acquired. At best, you’ll bring about world peace, at least in your corner of the world.

Unknown source, sent to me by a friend in 2019

Mittwoch, 3. Juli 2024

How Do You Serve a Friend in Despair?

During the Covid pandemic, Pete and I spoke by phone. In the beginning, I made the mistake of trying to advise him about how he could lift his depression. He had earlier gone to Vietnam to perform eye surgeries for those who were too poor to afford them. I told him he should do that again, since he found it so tremendously rewarding. I did not realize it was energy and desire that he lacked, not ideas about things to do. It’s only later that I read that when you give a depressed person advice on how to get better, there’s a good chance all you are doing is telling the person that you just don’t get it.

I tried to remind Pete of all the wonderful blessings he enjoyed, what psychologists call “positive reframing.” I’ve since read that this might make sufferers feel even worse about themselves for not being able to enjoy all the things that are palpably enjoyable.

I learned, very gradually, that a friend’s job in these circumstances is not to cheer the person up. It’s to acknowledge the reality of the situation; it’s to hear, respect and love the person; it’s to show that you haven’t given up on him or her, that you haven’t walked away.

David Brooks, The New York Times, 9 February 2023