Mittwoch, 27. Dezember 2023

Just do it!

 Getting older primarily means losing interests, convictions, and long held beliefs. In any case, this is what I'm experiencing. 

I used to be much taken with the workings of the media – nowadays the vanity of attention seekers disgusts me. That hardly anybody seems to realise that media people are addicted to attention, baffles me. That we should listen to such people is beyond me.

Also, throughout my life I've never questioned the rule that one should always listen to the other side. Well, I don't think so anymore. I clearly do not need to listen to people who only have opinions but hardly ever a thought. It goes without saying that thinking demands an effort, to have an opinion doesn't.

Moreover, I've never doubted that intellectual insights had the potential to make you a better person. Over the years, my respect for the thinkers with academic qualifications has however markedly decreased – they have only learned to think in systems; they hardly know anything about life.

Last but not least, one of my long held beliefs was that to see things in black and white was reserved for people who couldn't see all the grey inbetween, the simpletons, that is. Today I believe that to underline the complexity of whatever issue (the business model of psychologists, economists, and lawyers) is standing in the way of the actions that we know we have to take but shy away from. For instance, when you're an alcoholic, the solution, as I see it, is to stop drinking. It's black and white. And, it has the advantage of being simple. Just do it! That is complicated? No, it isn't. You make it complicated because you do not want to change.

Santa Cruz do Sul, 16 December 2023

Mittwoch, 20. Dezember 2023

Älter werden

In Santa Cruz do Sul am 8. Dezember 2023

Je älter ich wurde, desto weniger verstand oder erkannte oder wusste ich mich. Ich bin über mich erstaunt, enttäuscht, erfreut. Ich bin betrübt, niedergeschlagen, enthusiastisch. Ich bin das alles auch und kann die Summe nicht ziehen. Ich bin ausserstande, einen definitiven Wert oder Unwert festzustellen, ich habe kein Urteil über mich und mein Leben. In nichts bin ich ganz sicher. Ich habe keine definitive Überzeugung – eigentlich von nichts. 

Ich weiss nur, dass ich geboren wurde und existiere, und es ist mir, als ob ich getragen würde. Ich existiere auf der Grundlage von etwas, das ich nicht kenne. Trotz all der Unsicherheit fühle ich eine Solidität des Bestehenden und eine Kontinuität meines Soseins. [...] 

Und doch gibt es so viel, was mich erfüllt: die Pflanzen, die Tiere, die Wolken, Tag und Nacht und das Ewige in den Menschen. Je unsicherer ich über mich selber wurde, desto mehr wuchs ein Gefühl der Verwandtschaft mit allen Dingen.

C.G. Jung: Erinnerungen, Träume Gedanken

Mittwoch, 13. Dezember 2023

Sucht ist eine Haltung

Gefühle der Klarheit, dass es so wie bisher nicht weiter gehen kann, hat jeder Süchtige. Harry hatte viele, doch er nahm sie nicht wirklich wahr. Bis dann der Tag gekommen war, an dem er aus Gründen, die er nicht wirklich verstand, nicht mehr zur Flasche griff. Dass er seither nie mehr das Bedürfnis hatte, zu trinken, war ein Wunder, das damit begonnen hatte, dass er nicht mehr nur nicht mehr trinken wollte, sondern es auch nicht mehr tat.

Süchtig blieb er, denn Sucht ist nicht an eine Substanz gebunden, Sucht ist eine Haltung. Nichts, was auch immer es war, war ihm je genug. Dies zu wissen, half. Manchmal.

Lac de Bret. Er musste in Chexbres umsteigen, einem Bahnhof, an dem er auf dem Weg nach Lausanne immer vorbei gefahren war. Moreillon, wo er hin musste, war auf keinem Fahrplan vermerkt. Ein Postauto fuhr heran, der Chauffeur, ein freundlicher Schwarzer, hatte noch nie von Moreillon gehört, er fahre erst sei drei Monaten Postauto. Ein Zug fuhr in den Bahnhof ein, Palézieux, sagte die Anzeigetafel. Das konnte nicht richtig sein, da kam er doch gerade her. Aber es war der richtige, ein Bummler, der an jeder Station hielt, was der, mit dem er gekommen war, nicht getan hatte. In Moreillon war er der Einzige, der ausstieg. Er suchte nach einem Hinweisschild für den Lac de Bret, doch er fand keines und so begann er der Hauptstrasse zu folgen, Nach einigen hundert Metern kam er zu einer Abzweigung, Ein Motorrad näherte sich, auf sein Haltezeichen stoppte es. Die Fahrerin war ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren. Ja, er sei richtig und solle einfach weitergehen bis zu dem Haus dort – sie zeigte in Richtung Hügel – und dann links über den Golfplatz. Wie weit es sei? Etwa fünfzehn, zwanzig Minuten. Es waren dann eher vierzig, doch das störte ihn nicht, im Gegenteil, er genoss seinen Spaziergang an diesem sonnigen Herbsttag. Abgesehen von einem jungen Mann in einem Auto, der ihm anbot, ihn mitzunehmen, war er alleine auf der Strasse. Die Stille und das Licht waren magisch.

Eigenartig, dass ihn die Schweiz früher nie wirklich interessiert hatte. Wobei, das stimmte gar nicht. In Fribourg und Lausanne hatte er gewohnt. Und in Bellinzona, Schwyz, Basel und Zürich.

Nach der Beerdigung eines Freundes seines Vaters traf man sich zum Imbiss. Harry kam neben einen Mann zu sitzen, der nur redete, wenn er angesprochen wurde und so sprach er ihn an. Er sei Treuhänder, sagte der Mann, ohne Diplom. Er stamme aus einer Bäckerei und Konditorei-Dynastie am Vierwaldstättersee, habe das seit fünf Generationen in der Familie befindliche Unternehmen weiterführen wollen, doch der Vater habe ihn für ungeeignet befunden und aufs Gymnasium geschickt. Nach der Matura habe er dann angefangen Philosophie zu studieren, doch da die Fragen, die ihn umtrieben – woher kommen wir, was machen wir hier, wohin gehen wir – von den Professoren nicht beantwortet worden seien, habe er nach zwei Semestern hingeschmissen und sei Treuhänder geworden. Ungelernter, betonte er von Neuem, und deshalb tauglich für Rettungsinterventionen unterschiedlichster Art, bei denen Diplomierte versagen.

Im Fernsehen ein Film, der in Macao spielte. Er erinnerte sich an die Zeit, die er dort und in Hong Kong verbrachte hatte. Die Aufregung, das Prickeln auf der Haut, das Herz, das jauchzte ob des Neuen, Orientalischen, Exotischen. Wo war nur diese Begeisterung geblieben?

Ist es nicht ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, wir könnten unser Ziel erreichen und damit unsern Sinn erfüllen, indem wir wissentlich leben, wie wir nicht leben sollten?“, las er in Hans Albrecht Mosers Vineta und wurde ungehalten, ja wütend über sich selber, da er selten tat, was er wusste, dass er tun musste, um mit sich zufrieden zu sein.

In der 'New York Times', ein Bericht darüber, wie Deeprak Chopra seine Sonntage verbringt. Nach dem Aufwachen morgens um fünf bleibt er zehn Minuten liegen und starrt an die Decke. Seither blieb Harry auch liegen – und betrachtete die Bäume durchs offene Fenster.

Einer Freundin war von demselben Artikel geblieben, dass Chopra nur eine grosse Mahlzeit pro Tag zu sich nehme. Sie trainiere das jetzt auch, es sei nicht ganz einfach, mache jedoch Spass und sie habe mehr Zeit für andere Dinge. Er beschloss, es ihr nachzutun.

Hans Durrer: Harrys Welt oder die Sehnsucht nach Sinn, neobooks 2019

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Also sprach Zarathustra

Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn schafft!

Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von ihm beiseite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden!

Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler Völker Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden als Gut und Böse.

Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also fand ich’s. Vieles fand ich hier böse genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt.

Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit.

Und jeder, der Ruhm haben will, muss sich beizeiten von der Ehre verabschieden und die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit – zu gehen.

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra