"Als sexpositive Feministin und Lustaktivistin versteht sie sich als Brückenbauerin zwischen Academia, Pornoindustrie und breiter Öffentlichkeit." Als ich das lese, muss ich laut herauslachen: "Sexpositive Feministin", "Lustaktivistin", was auch immer das sein mag. Nicht, dass es mich interessieren würde, ich finde schon die Bezeichnung Aktivistin nur prätentiös. Und auch für Brückenbauerin habe ich wenig Sympathie, denn in meiner Vorstellung bleibt ganz generell vieles besser getrennt.
Madita Oeming ist beim Recherchieren für eine Seminararbeit zu Moby Dick bewusst geworden, "dass man alle Fragen, die ich im Rahmen meines Studiums der Literatur- und Kulturwissenschaften an Romane, Songs, Serien oder Hollywood-Filme richtete, natürlich auch an Pornos richten kann." Ein treffendes Argument, das allerdings übersieht, dass man das, was man kann, deswegen noch nicht unbedingt tun muss. Wie sagte doch Bill Clinton auf die Frage, weshalb er sich auf Monica Lewinsky eingelassen habe: I think I did something for the worst possible reason – just because I could. I think that's the most, just about the most morally indefensible reason that anybody could have for doing anything. When you do something just because you could ...
Doch das ist eine andere Geschichte. Denn genau so wenig wie Madita Oeming sich mit Porno beschäftigen muss (ausser als Profilierungsinstrument), muss ich mir dieses Buch vornehmen. Wie immer gibt es viele und ganz unterschiedliche Gründe dafür und die meisten sind mir nicht wirklich bewusst. Über zwei hingegen bin ich mir klar: 1) Der Pornokonsum, wie jeder Konsum, kann zur Sucht werden – das interessiert mich. 2) Ich finde das Verschwinden der Scham, das Frau Oeming offenbar befürwortet, nicht nur bedauerlich, sondern einen zivilisatorischen Rückschritt – schamloses Lügen scheint heute akzeptabel. Wobei: Sicher, so einfach ist es nicht, denn Scham ist oft auch destruktiv, doch mit dem Über-Alles-Reden können ist selten viel gewonnen, auch wenn uns Psychologen das glauben machen wollen. Kein Wunder, schliesslich ist es ihr Geschäftsmodell.
Männerkrankheit "Pornosucht" ist ein Kapitel überschrieben. "Da eine entsprechende Diagnose bislang nicht existiert, ist es präziser, von problematisierter Pornonutzung, einer Pornonutzungsstörung, zwanghaftem oder suchtähnlichem Pornogucken zu sprechen." Eine akademische Differenzierung, die vollkommen an der Sache vorbei geht, denn Sucht ist nichts anderes als zwanghaftes Verhalten, weil man nicht fühlen will, was man fühlt. Ob stoffgebunden oder stoffungebunden ist irrelevant – in beiden Fällen flüchtet man vor seinen Gefühlen. "Verhaltenssüchte sind ein individuelles Problem, das individuell therapeutisch angegangen werden sollten." Das sehe ich entschieden anders (The readiness is all, sagt Horatio in Hamlet); auch ist mir die Expertengläubigkeit der Autorin vollkommen fremd.
Zur Scham schreibt Madita Oeming hingegen Anregendes. Dabei geht sie weit über ihr Porno-Thema hinaus und landet bei Grundsätzlichem: der Akzeptanz. Das schildert sie berührend und erfreulich persönlich. "Mich hat neulich jemand gefragt, wie ich es denn geschafft hätte, diese Scham vor dem Sprechen über Pornos und für meine eigene Pornonutzung hinter mir zu lassen. Die ehrliche Antwort lautet: noch gar nicht! Auch für mich ist das ein anhaltender Lernprozess. Sich von alten Mustern, stereotypen Geschlechterrollen und tiefsitzenden kulturellen Gesetzen zu lösen, braucht Zeit. Aber Stück für Stück bewerte ich mich selber immer ein bisschen weniger für meine sexuellen Fantasien, erlaube mir meine Lust immer ein bisschen mehr und werde so Tag für Tag etwas freier. Das wünsche ich uns allen."
Porno. Eine unverschämte Analyse ist gut geschrieben und liefert ganz viele nützliche Informationen, wobei sich die Autorin auf viele Studien bzw. Umfragen stützt, und ich mich wieder einmal wundere, dass man Selbstauskünften Glauben schenkt, schliesslich gehört der Selbstbetrug zu den ausgeprägtesten menschlichen Fähigkeiten. Nichtsdestotrotz: Es lassen sich Tendenzen ausmachen und Fakten benennen. Dass Männer generationenübergreifend Pornos anschauen, wird wohl niemand überraschen, dass es bei Frauen vor allem die Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen ist, weist jedoch darauf hin, dass ein Wertewandel im Gange ist. "Es lässt sich nicht leugnen, dass Pornogucken längst kein Nischenphänomen mehr ist, sondern eine weit verbreitete, geschlechter- wie altersübergreifende Medienpraxis."
So weit, so einleuchtend, doch was will die Autorin mit diesem Buch? "Mein Ziel ist es, davon wegzukommen, Porno ausschliesslich als soziales Problem, gar als Gefahr zu denken, sondern als gängige Alltagspraxis, als Unterhaltungsmedium, als Inszenierung sexueller Fantasien und im besten Falle sogar als Inspirationsquelle und Hilfsmittel sexueller Befreiung." Wenn man es recht bedenkt, ist Pornografie das alles schon, siehe das Zitat im obigen Abschnitt.
Sie solle sich mit ihrer Fokussierung auf Porno nicht die Karriere verbauen, wird ihr geraten, als sie ihr Promotionsprojekt vorstellte. Sie hat sich anders entschieden. "Dieses Buch ist mein Megafon, um in die Welt zu rufen: Wir müssen endlich über Pornos sprechen. JETZT!" Warum hat sich mir allerdings nicht erschlossen, obwohl ich Porno. Eine unverschämte Analyse gerne gelesen habe – der vielfältigen Aufklärung wegen (dieses Buch ist nicht zuletzt eine immense Fleissarbeit), auch wenn die vorliegende Arbeit das akademisch Übliche ist: Ein Blick in die Geschichte, ganz viele Studien, Begriffserklärungen sowie ein Plädoyer für die Ambivalenz.
Gefehlt hat mir die kommerzielle Seite, die heutzutage so recht eigentlich fast alles bestimmt. Mit Pornos lässt sich viel Geld verdienen, das ist der wesentliche Grund, weshalb wir damit überschwemmt werden. Und sie lenken uns ab von den wirklich wichtigen Dingen – der schreienden Ungerechtigkeit, der Zerstörung des Planeten Erde und der Hingabe ans Dasein.
Madita Oeming
Porno
Eine unverschämte Analyse
Rowohlt Polaris, Hamburg 2023
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