Mittwoch, 30. August 2023

The need to conform

 Most people are not even aware of their need to conform. They live under the illusion that they follow their own ideas and inclinations, that they are individualists, that they have arrived at their opinions as the result of their own thinking - and that it just happens that their ideas are the same as the majority. The consensus of all serves as a proof for the correctness of „their“ ideas. Since there is still a need to feel some individuality, such need is satisfied with regard to minor differences; the initials on the handbag or the sweter, the name plate of the bank teller, the belonging to the Democratic as against the Republican party, to the Elks instead of the Shriners become expression of individual differences. The advertising slogan of „it is different“ shows up this pathetic need for difference, when in reality there is hardly any left.

Erich Fromm: The Art of Loving

Mittwoch, 23. August 2023

On Golf and Monkeys

 Teacher Jack Kornfield tells one of my favorite stories about a new English colony in India that wanted to construct a golf course in Calcutta.

The biggest challenge was that the area was populated with monkeys who were interested in golf, too.

Their way of joining the game was to run out onto the course and take the balls that the golfers were hitting and toss them in all directions. Of course, the golfers weren’t happy about this, so they tried to “manage” the monkeys.

First, they built high fences around the fairway. But, of course, it wasn’t long before the golfers learned that monkeys climb. As you might have guessed, this solution failed.

The next thing the golfers tried was to lure the monkeys away from the course by waving bananas. But for every monkey that would go for the bananas, another ten would race onto the golf course to join the fun.

In desperation, the golfers tried trapping and relocating the monkeys, but that strategy didn’t work either. The monkeys just had too many relatives who liked to play with golf balls!

So finally, the club’s golf committee wrote a novel policy into their course rule book: Players must play the ball where the monkey drops it.” Those golfers were wiser than they knew!

Sometimes in life, it feels like monkeys are dropping golf balls everywhere but where we’d like them to. Often when this happens, we react poorly. We complain, shake our fists at God, throw a tantrum, or feel resentful. But these reactions only increase our suffering!

What can we do? When life refuses to cooperate with my plans, I’ve learned to say to myself, “Like it or not, this is where the monkey has dropped the ball. I’m going to surrender to what is and adapt rather than resist.”

Paradoxically, when I let go and accept life on life’s terms, I discover “a peace that passes all understanding,” and I find the power and wisdom to deal with whatever challenge or unforeseen turn of events life throws at me.

This week when you find yourself faced with an unwanted difficulty or challenge, say to yourself, “I have to play the ball where the monkey drops it,” and see if you don’t experience the peace and power of acceptance. Peace to all.

Mittwoch, 16. August 2023

Im 69sten Altersjahr


 Dass ich genau so lebe wie ich will, meint nicht, dass Sargans mein Wunschort, und das Unterwegssein, sei's physisch, sei's im Kopf, mein Idealzustand ist, es meint, dass ich mir nichts Besseres vorstellen kann, als über meine Zeit zu verfügen und dem nachgehen zu können, was mich interessiert. Daraus zu schliessen, es gehe mir super, wäre höchstens eine Konsequenz unseres kurzsichtigen und falschen Denkens, denn das Leben ist komplizierter als unser Ursache-Wirkung-Denken uns glauben lässt, und wir alle erleben Glück nur selten

Quelle que soit la durée de votre séjour sur cette petite planète, et quoi qu'il vous advienne, le plus important c'est que vous puissiez– de temps en temps – sentir la caresse exquise de la vie.

Jean-Baptiste Charbonneau, Avis de Passage (1957)

Mittwoch, 9. August 2023

Noch eine Sucht?

"Als sexpositive Feministin und Lustaktivistin versteht sie sich als Brückenbauerin zwischen Academia, Pornoindustrie und breiter Öffentlichkeit." Als ich das lese, muss ich laut herauslachen: "Sexpositive Feministin", "Lustaktivistin", was auch immer das sein mag. Nicht, dass es mich interessieren würde, ich finde schon die Bezeichnung Aktivistin nur prätentiös. Und auch für Brückenbauerin habe ich wenig Sympathie, denn in meiner Vorstellung bleibt ganz generell vieles besser getrennt.

Madita Oeming ist beim Recherchieren für eine Seminararbeit zu Moby Dick bewusst geworden, "dass man alle Fragen, die ich im Rahmen meines Studiums der Literatur- und Kulturwissenschaften an Romane, Songs, Serien oder Hollywood-Filme richtete, natürlich auch an Pornos richten kann." Ein treffendes Argument, das allerdings übersieht, dass man das, was man kann, deswegen noch nicht unbedingt tun muss. Wie sagte doch Bill Clinton auf die Frage, weshalb er sich auf Monica Lewinsky eingelassen habe: I think I did something for the worst possible reason  just because I could. I think that's the most, just about the most morally indefensible reason that anybody could have for doing anything. When you do something just because you could ... 

Doch das ist eine andere Geschichte. Denn genau so wenig wie Madita Oeming sich mit Porno beschäftigen muss (ausser als Profilierungsinstrument), muss ich mir dieses Buch vornehmen. Wie immer gibt es viele und ganz unterschiedliche Gründe dafür und die meisten sind mir nicht wirklich bewusst. Über zwei hingegen bin ich mir klar: 1) Der Pornokonsum, wie jeder Konsum, kann zur Sucht werden – das interessiert mich. 2) Ich finde das Verschwinden der Scham, das Frau Oeming offenbar befürwortet, nicht nur bedauerlich, sondern einen zivilisatorischen Rückschritt – schamloses Lügen scheint heute akzeptabel. Wobei: Sicher, so einfach ist es nicht, denn Scham ist oft auch destruktiv, doch mit dem Über-Alles-Reden können ist selten viel gewonnen, auch wenn uns Psychologen das glauben machen wollen. Kein Wunder, schliesslich ist es ihr Geschäftsmodell.

Männerkrankheit "Pornosucht" ist ein Kapitel überschrieben. "Da eine entsprechende Diagnose bislang nicht existiert, ist es präziser, von problematisierter Pornonutzung, einer Pornonutzungsstörung, zwanghaftem oder suchtähnlichem Pornogucken zu sprechen."  Eine akademische Differenzierung, die vollkommen an der Sache vorbei geht, denn Sucht ist nichts anderes als zwanghaftes Verhalten, weil man nicht fühlen will, was man fühlt. Ob stoffgebunden oder stoffungebunden ist irrelevant  in beiden Fällen flüchtet man vor seinen Gefühlen. "Verhaltenssüchte sind ein individuelles Problem, das individuell therapeutisch angegangen werden sollten." Das sehe ich entschieden anders (The readiness is all, sagt Horatio in Hamlet); auch ist mir die Expertengläubigkeit der Autorin vollkommen fremd.

Zur Scham schreibt Madita Oeming hingegen Anregendes. Dabei geht sie weit über ihr Porno-Thema hinaus und landet bei Grundsätzlichem: der Akzeptanz. Das schildert sie berührend und erfreulich persönlich. "Mich hat neulich jemand gefragt, wie ich es denn geschafft hätte, diese Scham vor dem Sprechen über Pornos und für meine eigene Pornonutzung hinter mir zu lassen. Die ehrliche Antwort lautet: noch gar nicht! Auch für mich ist das ein anhaltender Lernprozess. Sich von alten Mustern, stereotypen Geschlechterrollen und tiefsitzenden kulturellen Gesetzen zu lösen, braucht Zeit. Aber Stück für Stück bewerte ich mich selber immer ein bisschen weniger für meine sexuellen Fantasien, erlaube mir meine Lust immer ein bisschen mehr und werde so Tag für Tag etwas freier. Das wünsche ich uns allen."

Porno. Eine unverschämte Analyse ist gut geschrieben und liefert ganz viele nützliche Informationen, wobei sich die Autorin auf viele Studien bzw. Umfragen stützt, und ich mich wieder einmal wundere, dass man Selbstauskünften Glauben schenkt, schliesslich gehört der Selbstbetrug zu den ausgeprägtesten menschlichen Fähigkeiten. Nichtsdestotrotz: Es lassen sich Tendenzen ausmachen und Fakten benennen. Dass Männer generationenübergreifend Pornos anschauen, wird wohl niemand überraschen, dass es bei Frauen vor allem die Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen ist, weist jedoch darauf hin, dass ein Wertewandel im Gange ist. "Es lässt sich nicht leugnen, dass Pornogucken längst kein Nischenphänomen mehr ist, sondern eine weit verbreitete, geschlechter- wie altersübergreifende Medienpraxis."

So weit, so einleuchtend, doch was will die Autorin mit diesem Buch? "Mein Ziel ist es, davon wegzukommen, Porno ausschliesslich als soziales Problem, gar als Gefahr zu denken, sondern als gängige Alltagspraxis, als Unterhaltungsmedium, als Inszenierung sexueller Fantasien und im besten Falle sogar als Inspirationsquelle und Hilfsmittel sexueller Befreiung." Wenn man es recht bedenkt, ist Pornografie das alles schon, siehe das Zitat im obigen Abschnitt. 

Sie solle sich mit ihrer Fokussierung auf Porno nicht die Karriere verbauen, wird ihr geraten, als sie ihr Promotionsprojekt vorstellte. Sie hat sich anders entschieden. "Dieses Buch ist mein Megafon, um in die Welt zu rufen: Wir müssen endlich über Pornos sprechen. JETZT!" Warum hat sich mir allerdings nicht erschlossen, obwohl ich Porno. Eine unverschämte Analyse gerne gelesen habe  der vielfältigen Aufklärung wegen (dieses Buch ist nicht zuletzt eine immense Fleissarbeit), auch wenn die vorliegende Arbeit das akademisch Übliche ist: Ein Blick in die Geschichte, ganz viele Studien, Begriffserklärungen sowie ein Plädoyer für die Ambivalenz.

Gefehlt hat mir die kommerzielle Seite, die heutzutage so recht eigentlich fast alles bestimmt. Mit Pornos lässt sich viel Geld verdienen, das ist der wesentliche Grund, weshalb wir damit überschwemmt werden. Und sie lenken uns ab von den wirklich wichtigen Dingen – der schreienden Ungerechtigkeit,  der Zerstörung des Planeten Erde und der Hingabe ans Dasein.

Madita Oeming
Porno
Eine unverschämte Analyse
Rowohlt Polaris, Hamburg 2023

Mittwoch, 2. August 2023

Neue Psychiatrie

Seine Vorbemerkung leitet Autor Felix Hasler damit ein, dass er eine Übersichtsarbeit suchte, "die belegt, dass das Serotoninsystem bei psychischen Störungen eine wichtige Rolle spielt, insbesondere bei Depressionen." Doch er fand keine, denn für die Serotoninhypothese gibt es keine Belege. Das war im Jahre 2004. "Zwanzig Jahre später glaubt in der Wissenschaft (fast) niemand mehr an die simple These, psychische Störungen seien Ausdruck einer gestörten Botenstoff-Chemie im Gehirn." Anti-Depressiva werden jedoch nach wie vor verabreicht, auch wenn sich die Erklärungsmodelle gewandelt haben und man zur Zeit nach fehlerhaften Schaltkreisen und gestörter Netzwerk-Kommunikation forscht.

Felix Hasler ist Research Fellow an der Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität zu Berlin und berichtet in diesem Buch von seiner Arbeit bzw. worauf er bei dieser so alles gestossen ist und was sich ihm dabei erschlossen hat. Er schreibt unprätentiös und anregend, es ist eine Freude ihn zu lesen, auch wenn man sich das Schriftbild grösser und etwas weniger bleiwüstenmässig gewünscht hätte. Und er hat Humor. "Gut möglich, dass wir uns schon bald einmal staunend fragen werden, wie wir jemals daran glauben konnten, dass uns Studien zur Bildung von Dopamin-Neuronen im Zebrafisch etwas über die Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern erklären könne."

Anhand der Geschichte des Serotonintransporter-Gens 5-HTTLPR (des "Depressions-Gens") zeigt Hasler auf, dass die biopsychiatrische Forschung ein Eigenleben entwickelt hat, "das völlig entkoppelt ist von der Realität - und erst recht von jeder praktischen Relevanz. Besonders die genetische Psychiatrieforschung ist in den letzten Jahren immer mehr zu einer zirkulären Selbstbestätigungsforschung geworden." Ein Phänomen, das auch in anderen Forschungsdisziplinen bekannt ist und an die Charakterisierung der Bürokratie durch den englischen Ethnologen Nigel Barley erinnert, der sie als "an end in itself" bezeichnete.

Neue Psychiatrie ist höchst aufschlussreich, auch weil es an konkreten Beispielen aufzuzeigen versteht, dass falsche Schlüsse häufig in unbewussten Annahmen liegen. Anders gesagt: Wer nicht oder nur sehr beschränkt weiss, wie er tickt, wird eher das finden, was er zu finden sucht als das, was tatsächlich der Fall ist. "The first principle is not to fool yourself", sagte Richard Feinman einmal und fügte dann hinzu: "And, you are the easiest person to fool."

Auch mit bildgebenden Verfahren, dem sogenannte Neuroimaging, machte man sich auf die Suche "nach einem abgrenzbaren schadhaften Neuronen-Netzwerk bei psychischen Erkrankungen". Ohne Erfolg. Keine einzige der untersuchten Erkrankungen zeigte "auch nur ein halbwegs spezifisches Aktivierungsmuster, weil der Grad der Überlappung zwischen allen Störungsgruppen derart gross ist."

Woher kommen psychische Störungen? Das weiss zwar nach wie vor niemand, trotzdem gibt es seit Jahren eine wissenschaftliche Gewissheit, dass es sich bei psychischen Störungen um Erkrankungen des Gehirns handelt. Obwohl das nicht stimmt, wie Autor Hasler überzeugend nachweist, hält sich die Auffassung aufgrund ihrer vermeintlichen Plausibilität: "Depressionen entstehen aufgrund einer Störung des natürlichen Neurotransmitter-Gleichgewichts im Gehirn, insbesondere durch eine verminderte Verfügbarkeit von Serotonin. Antidepressiva beheben diesen Serotoninmangen, das Neurotransmitter-Gleichgewicht ist wieder hergestellt und die Symptome der Depression verschwinden."

Erinnert hat mich das an die Geschichte von den Eskimo, die, gemäss einem Artikel in der New York Times, angeblich siebzig Wörter für Schnee habe, was, wie der Linguist Geoffrey K. Pullum ausführte, nachweislich falsch ist, jedoch trotzdem geglaubt wird, denn was der Mensch sich einmal zu glauben entschlossen hat, wird er nicht ohne Not wieder aufgeben. Bei den Anti-Depressiva kommt noch dazu, dass die Pharmaindustrie daran bestens verdient und auch deswegen dazu beiträgt, dass diese Illusion aufrechterhalten wird.

Nur eben: Medikamente sind in der Psychiatrie nicht grundsätzlich problematisch. So erwies sich die zufällige Entdeckung von Lithium für die Behandlung von manischen Patienten als segensreich, auch wenn man bis heute nicht herausgefunden hat, warum es eigentlich wirkt. Nichtsdestotrotz gilt, "dass die Psychopharmaka, die uns zur Verfügung stehen, nur symptomatisch und keineswegs kausal und damit potentiell auch kurativ wirken." Kein Wunder, denn das Seelenleben verläuft unbewusst. Mit anderen Worten: Wir wissen so recht eigentlich nichts darüber. Dass wir die Hoffnung hegen, dass das Unbewusste gemäss unserer gängigen Vorstellungen von Ursache und Wirkung funktioniert, ist unseren beschränkten Denkgewohnheiten zu verdanken.

Die grundsätzlichen Überlegungen Felix Haslers zum Biologismus sind zu begrüssen. Man hätte ihn sich ähnlich kritisch gewünscht, wenn er schreibt, der schottische Psychiater Sir Robin Murray sei "für seine Dienste um die Medizin zum Ritter geschlagen" worden. Wer die honours list von Boris Johnson mitgekriegt hat, weiss, dass die in England vorgenommenen öffentlichen Belobigungen mit Verdiensten meist nichts zu tun haben. Vielmehr sind es der Eitelkeit geschuldete Gefälligkeitsbezeugungen, auch wenn Ausnahmen vorkommen können.

Dieses Beispiel steht stellvertretend für eine Malaise, die mehr verlangt als das von Felix Hasler zu Recht geforderte und einleuchtend begründete Umdenken, das er sowohl innerhalb wie ausserhalb der Psychiatrie zu erkennen glaubt. Die gängigen Hierarchien, die angeblich der Experten-Kompetenz geschuldet sind (falls ein Patient in einer psychiatrischen Klinik etwas lernt, dann von seinen Mitpatienten), verunmöglichen einen Austausch auf Augenhöhe. So lange "unsere" Gesellschaft vor allem die Narzissten mit den guten Ellenbogen belohnt, wird sich die Psychiatrie nie an den Bedürfnissen der Patienten orientieren, sondern an der eigenen Glorie.

Fazit: Kenntnisreiche und erhellende Ausführungen über die Bio-Psychiatrie. Oder: Wie Voreingenommenheit, Wunschdenken und Profitdenken die wissenschaftliche Seelenforschung in die Irre führen. 

Felix Hasler
Neue Psychiatrie
Den Biologismus überwinden und tun, was wirklich hilft
Transcript Verlag, Bielefeld 2023