"Hallo, mein Name ist Dr. Soph,
ihr könnt mich Soph oder Sophie nennen.
Ich bin klinische Psychologin."
Dann schauen wir mal, was Frau Mort (ich lege weniger Wert auf akademische Titel als sie es offenbar tut, sonst würde sie – und der Verlag – ihn kaum erwähnen) so zu sagen hat. Viel Vernünftiges, so mein erster Eindruck. "Statt uns zu ermutigen, uns so anzunehmen, wie wir nun einmal sind, mit allen Makeln und Schwächen, verlangt man von uns, eine bestimmte Rolle zu spielen, die wir nach aussen hin jederzeit zu präsentieren haben. Dadurch verbergen wir unser wahres Empfinden – sogar vor uns selber." Und: "Dieses Buch erklärt euch, wie ihr durch eure Umwelt geformt wurdet. Und dass sich gelegentlich eher die Gesellschaft ändern müsste als ihr." Insbesondere der letzte Satz kann nicht genug betont werden, denn es ist kein Zeichen geistiger bzw. seelischer Gesundheit, in einer so kranken Gesellschaft wie der unseren, erfolgreich zu sein. Siehe auch hier.
"Statt zu lernen, wie wir mit unseren Emotionen und Beziehungen umgehen können – unsere häufigsten Stolpersteine als Erwachsene – , bekommen wir gewöhnlich beigebracht, dass es eine Hierarchie von Schulfächern gibt." Und weshalb ist das so? "Sich Zeit zu lassen, durch Versuch und Irrtum zu lernen, Kreativität und Spass zu geniessen – all das brachte die industrielle Entwicklung nicht weiter, und deshalb wurden diese Dinge schlichtweg nicht geschätzt." Das ist auch heute noch so, doch die Schule schlecht machen will die Autorin deswegen nicht. Stattdessen tut sie, was Psychologinnen eben so tun – sie will uns helfen, uns in einem System wohl zu fühlen, das überhaupt nicht auf unser Wohlbefinden ausgerichtet ist.
"Deine Noten sagen nichts darüber aus, wer du bist", lautet einer der Zwischentitel, ein anderer "Stress ist nichts Schlechtes – in kleinen Dosen". Dass solche Selbstverständlichkeiten Erwähnung finden, zeigt schon fast überdeutlich, wie prekär es um unsere Seelen stehen muss.
Sophie Mort geht bei ihrer Hilfestellung strukturiert vor und bedient sich dabei einer einfachen, klaren Sprache. Gleichwohl argumentiert sie differenziert. "Denk immer daran: Fast jeder will sich einfügen." Man beachte das "fast", denn nicht jeder will. Ich zum Beispiel wollte dies fast nie und will es mittlerweile überhaupt gar nicht mehr. Und dann diese beiden ganz wunderbar hilfreichen Sätze: "Die meisten Menschen konzentrieren sich auf sich selber und nicht auf dich. Das kann eine befreiende Erkenntnis sein." In der Tat!
Besonders aufschlussreich fand ich das Kapitel "Werbung, Medien, soziale Netzwerke", in dem unter anderem eine Studie aus dem Jahr 2019 erwähnt wird, die gezeigt hat, "dass die Lebenszufriedenheit einer ganzen Nation 'signifikant' sinkt, wenn ein Land mehr Geld für Werbung ausgibt." Liegt ja eigentlich auf der Hand, oder? Werbung bewirkt nämlich, dass wir immer mehr wollen, kein Wunder, werden wir immer unzufriedener.
Dass soziale Medien süchtig machen, ist bekannt. Was kann man dagegen tun? Sophie Mort gibt in diesem Buch viele nützliche Kurztipps, die zwar recht banal, doch von "common sense" geprägt sind. "Mein Wert bemisst sich nicht nach der Zahl der Likes, die ich bekomme, oder der Follower, die ich erreiche, oder durch irgendeine andere Zahl."
Anleitung für dein Leben ist geprägt von der Vorstellung: Wissen hilft. Nehmen wir zum Beispiel Emotionen. Dazu gibt es wie immer wissenschaftliche Theorien; Sophie Mort leuchtet vor allem die sogenannte Theorie der konstruierten Emotionen ein, die im wesentlichen besagt, dass unser Gehirn nicht auf die unmittelbare Welt reagiert, sondern vorausschauend darauf eingeht, was es prognostiziert. Anders gesagt: Wir antizipieren andauernd, was als vermutlich als Nächstes passieren wird. Und wir tun dies auf der Basis unseres Gedächtnisses bzw. unserer Erfahrungen. Wir sind Sklaven
unserer Gefühle. Doch das muss nicht so bleiben; dieses Buch zeigt unter anderem wie eine solche Befreiung gehen kann.
Dass eine klinische Psychologin ein positives Bild von Therapie hat, erstaunt nicht. Nur eben: Gelegentlich schiesst sie übers Ziel hinaus. So schreibt sie: "Eine diagnostizierte. psychische Erkrankung kann erkannt, behandelt und gewöhnlich auch geheilt werden." Ich sehe das weit weniger optimistisch und gehe so recht eigentlich davon aus, dass wir Menschen, vor allem die diplomierten, uns generell überschätzen. Zudem: Die Psychologie ist keine Wissenschaft, auch wenn sie mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet. Nichtsdestotrotz: Anleitung für dein Leben ist ein überaus nützliches Werk, pragmatisch, englisch-nüchtern sowie reich an Tipps, Selbsthilfemassnahmen und praktischen Übungen
Dr. Sophie Mort
Anleitung für dein Leben
Alles, was du wissen musst, um dich selbst
besser zu verstehen und glücklich zu werden
Penguin Verlag, München 2022
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