Von den vielen Büchern über Borderline, die ich gelesen habe, ist dies erst das zweite, das im Titel Borderline und Narzissmus zusammenbringt, obwohl die Verbindung doch, jedenfalls in meiner Vorstellung, offensichtlicher kaum sein könnte: Eine von Impulsen dirigierte Gefühlsachterbahn, gekoppelt mit einer Unfähigkeit zur Empathie, dabei süchtig nach Bestätigung, das jedes Mass sprengt. Und nicht zu vergessen: Wut, Hass und ein Sich-An-Schuldzuweisungen-Klammern, das einem den Schnauf abdreht.
Borderliner suchen hauptsächlich Liebe, Narzissten Bewunderung und Schizoide Sicherheit, so die Gestalttherapeutin Elinor Greenberg. Dass sie diese drei Störungen zusammen nimmt, erachte ich als sehr sinnvoll, ist doch für alle drei die Abspaltung charakteristisch. Wie unterschiedlich sich diese manifestiert, erfährt man in diesem Buch. Und auch wie man darauf sinnvoll regiert. Das Buch richtet sich an Therapeuten und Therapeutinnen. Wie sich Persönlichkeitsstörungen ausserhalb des geschützten Therapie-Raums manifestiert, ist noch einmal eine andere Geschichte.
Doch was ist eigentlich eine Persönlichkeitsstörung? Elinor Greenberg zieht den Begriff "Persönlichkeitsanpassung" vor "um zu betonen, dass der Ursprung dieser Schwierigkeiten in kreativen Anpassungen an eine schwierige Kindheitssituation liegt." Charakteristisch für die Betroffenen ist, dass sie sich selbst und andere durch eine extrem polarisierte Brille sehen, also entweder als rundum gut oder rundum schlecht. Auch fehlt ihnen die Objektkonstanz. "Ohne die Fähigkeit, gilt buchstäblich das Prinzip 'Aus den Augen, aus dem Sinn'." Überdies projizieren sie von den Eltern nicht erfüllte Bedürfnisse auf ihr Gegenüber, reagieren wütend, wenn diese die ihnen zugedachte Rolle nicht spielen wollen, lassen jedoch nicht davon ab, diesen besonderen Menschen zu suchen, den sie in der Kindheit entbehren mussten.
Die Behandlungsvorschläge, die Elinor Greenberg macht, richten sich daran aus, dass der Therapeut dem Klienten zu lernen hilft, "Freude an sich selbst zu haben." Borderliner sind gefühlsmässig in der Kindheit steckengeblieben, da sie in der Regel emotional dafür belohnt wurden, sich nicht von ihren Eltern abzulösen. Oder sie wurden mit Liebesentzug und Beschimpfungen bestraft, wenn sie es trotzdem versuchten. Und was macht nun der Therapeut oder die Therapeutin? Sie ermuntert sie (unter anderem), sich dem Schmerz zustellen. Ein trockener Alkoholiker gab dazu einmal diesen Rat: "Ich lasse es wehtun. Und mit jedem Mal ist der Schmerz ein wenig schwächer."
Schaffen Sie ein sicheres, verlässliches Umfeld, Finden Sie einen angemessenen Umgang mit Wut, Übernehmen Sie bei Bedarf Hilfs-Ich-Funktionen, Fördern Sie die Ich-Entwicklung, Ermutigen Sie zu Ablösung und Individuation, Selbstwertgefühl aufbauen, Ändern Sie allzu strafende Über-ichs und negative Introjekte, Nutzen Sie eine angemessene Art der Konfrontation, Finden Sie Ihren Klienten oder Ihre Klientin liebenswert. So lauten die 10 Punkte, die bei der Behandlung von Borderline-Patienten zur Anwendung kommen sollten. Es handelt sich hier nicht um eine abschliessende Liste. "Es wäre unmöglich, alles aufzulisten, was ich tue, zumal meine besten Interventionen spontan sind." Was die aufgeführten Punkte klar machen, ist vor allem, dass Elinor Greenberg auch nur mit Wasser kocht. Wie so recht eigentlich alle, die Borderliner zu therapieren versuchen.
"All das verlangt Therapeuten eine Menge ab", hält sie fest. Das ist zweifellos richtig, zutreffender wäre allerdings zu sagen, dass Borderliner Therapeuten schlicht überfordern. Übrigens nicht nur Therapeuten, sondern auch Partner, Freunde und Familienangehörige, und zwar in weit höheren Masse, also fast rund um die Uhr und nicht nur ein-, zweimal die Woche für eine Stunde. Die Borderline-Anpassung nimmt übrigens den weitaus grössten Teil dieses Buches ein.
Elinor Greenberg unterscheidet den gesunden Narzissmus vom defensiven oder pathologischen Narzissmus, bei dem "das Selbstwertgefühl der Person von der Meinung anderer abhängt." Die Gründe werden wie üblich in der Kindheit verortet. Das Bemühen des Therapeuten sollte sich auf eine realistische Selbsteinschätzung des Klienten zubewegen. Dies geschieht wesentlich dadurch, dass seine Stärken und Erfolge betont und seine negativen Selbsteinschätzungen in Frage gestellt werden.
Sehr schön beschreibt die Autorin wie wir alle in einem Kontakt-Rückzug-Zyklus gefangen sind, der so charakterisiert werden kann: Gewahrwerden – Verlangen – Handlung – Kontakt – Übersättigung – Rückzug. "Aber was geschieht, wenn wir Angst vor dem haben, wonach es uns am meisten verlangt?" Und vor allem: Was tun wir dann? Aktiv in die Therapie eingebunden zu werden, stösst mitunter auf Widerstand, was die Therapeutin Greenberg schon mal dazu bewegt, das Handtuch zu werfen. An diesem Punkt jedoch geschieht manchmal Faszinierendes ...
Elinor Greenberg
Borderline und Narzissmus
Wie Menschen nach Liebe und Bewunderung streben
Kösel Verlag, München 2021
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