Jasmin Schreiber, Jahrgang 1988, schreibt ein Buch "Über das Leben, das Sterben und den Tod – und was ein Hamster damit zu tun hat." Und in mir denkt es: Was will mir eine junge Frau darüber schon sagen, sie soll zuerst einmal leben, ein paar Erfahrungen machen und so weiter. Und dann steht im Klappentext noch "gefeierte Bestsellerautorin", was für mich gleichbedeutend ist mit Mainstream (und wer will da schon dazugehören?). Gleichzeitig denkt es aber auch dies in mir: Bin neugierig, wie sie das sieht, bestimmt anders als ich. Und dann beginne ich zu lesen und bin sofort ganz begeistert. Wegen der Sprache, dem Stil und dem Rhythmus. Und weil ich einiges lerne.
Die Autorin ist studierte Biologin und ihre Betrachtungsweise eine biologische. "In diesem Buch möchte ich zeigen, wieso der Tod unschön ist, wir ihn aber trotz allem brauchen." So habe ich es noch nie gesehen, was womöglich auch daran liegt, dass ich mich bislang nicht mit Biologie auseinandergesetzt habe. Übrigens: Hermine ist ein Zwerghamster, lebte 2,5 Jahre, musste dann wegen schwerer Krankheit eingeschläfert werden – sehr berührend, wie das geschildert wird – und eignet sich, so die Autorin, "hervorragend dazu, Leben und Tod zu erklären."
Dass wir aus Zellen bestehen, wusste ich, dass diese sich teilen, ebenfalls, doch Zelldifferenzierung? Zellen unterscheiden sich, eine Nierenzelle hat eine andere Aufgabe als eine Blutzelle. Dass Zellen absterben, war mir auch bekannt, doch falsch sei, so erfahre ich, "dass sich der menschliche Körper alle sieben Jahre komplett erneuere." Wobei: Es ist so ähnlich. Wie genau, darüber gibt dieses Buch Auskunft.
Wir Menschen sind zwar Teil der Natur, doch erleben wir uns getrennt von ihr. Das liegt an unserem Denken, das in Kategorien von gut und böse, traurig und grausam operiert. Solche Zuordnungen kennt die Natur nicht. "Alles ist darauf ausgerichtet, ohne moralische Wertung und möglichst effizient, die jeweilige Aufgabe zu erfüllen, sodass ein gut funktionierendes ökologisches Gleichgewicht herrscht."
Doch obwohl der Tod eine biologische Notwendigkeit ist ("Gäbe es den Tod nicht, würden wir uns entweder mit uralten und kaum funktionierenden Zellen eher schlecht als recht herumschleppen, oder wir wären durch die Gegend suppende Zellhaufen, die immer grösser werden würden."), tun wir uns gleichwohl schwer, ihn zu akzeptieren. Jasmin Schreiber bringt das Dilemma auf den Punkt: "... habe ich keine Lust zu sterben. Und dennoch ist mir klar, dass ich in keiner Welt leben wollte, in der es keinen Tod gäbe."
Jasmin Schreiber schreibt anschaulich und witzig: Und sie kennt ihre Grenzen, weiss, dass man nicht sagen kann, wie man stirbt, trotz aller Erkenntnisse. Doch sie denkt auch über den Tellerrand hinaus und weist etwa darauf hin, dass man früher Friedhöfe oft auf Anhöhen anlegte, weil man der Meinung war, Leichen würden giftige Ausdünstungen absondern. "Man glaubte, dass diese Leichengase Krankheiten übertragen könnten, von Bakterien, Viren oder Pilzsporen, hatte man damals noch nicht einmal eine unscharfe Ahnung." Händewaschen und Desinfektion hielt man übrigens bis weit ins 19. Jahrhundert für "unseriösen Humbug."
Sich mit biologischen Prozessen vertraut zu machen – und darum geht es hauptsächlich in diesem Buch – , trägt dazu bei, Leben und Tod als das zu begreifen, was sie so recht eigentlich sind – natürliche Vorgänge. Sich dagegen zu wehren, ist nicht nur aussichtslos, sondern auch ziemlich blöd. Doch auch Blödheit gehört zum Menschen. Dies zu akzeptieren, hat durchaus das Potential, uns mit der eigenen Sterblichkeit zu versöhnen. Gelegentlich.
Jasmin Schreiber
Abschied von Hermine
Über das Leben, das Sterben und den Tod
– und was ein Hamster damit zu tun hat
Goldmann, München 2021
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