Fotos von mir zu betrachten, heisst mich so zu sehen, wie ich mich nicht wahrnehme. Die Aufnahmen auf dieser Seite sind alle am selben Tag entstanden, am 29.August 2017, am Klöntalersee. Ich staune darüber, wie unterschiedlich ich an diesem Tag ausgesehen habe. Ganz so als ob ich viele verschiedene Personen wäre. Was ich ja auch bin. Nur sehe ich es selten. Blazenka Kostolna hat die Bilder aufgenommen
Sonntag, 21. März 2021
Montag, 15. März 2021
Thea Dorn: Trost
Johannas Muster ist gestorben. An Covid-19. An der Ignoranz. An der Stumpfheit. An der Unfähigkeit zu verstehen. Understanding is a feeling. "Zum ersten Mal beginne ich zu begreifen, warum Du der Welt Lebewohl gesagt hast", schreibt sie an Max, ihren alten philosophischen Lehrer, der mit Postkarten antwortet, die auch abgebildet werden. Die für mich schönste findet sich auf Seite 117.
Als sich in den Krankenhauskellern in Norditalien die Leichen stapeln, reist ihre Mir-kann-keiner-was-anhaben-Mutter nach Florenz, infiziert sich und landet in München im Krankenhaus, wo die Tochter nicht zu ihr gelassen wird. Infektionsrisiko! Daran allein zeigt sich überdeutlich, das mit unseren Werten grundsätzlich etwas nicht stimmt, fundamental nicht stimmt.
"Aus Gründen, die einzig die Hygienegötter kennen, durfte keiner Erde ins Grab werfen." Die Menschen zeigen sich auch in der Pandemie unverändert eingeschüchtert und obrigkeitshörig. Johanna hingegen ist wütend und beharrt darauf, wütend zu bleiben. "Ich will gegen alle, die für dieses Leid verantwortlich sind, wüten, ich will das Leid nicht 'Schicksal' nennen müssen, ich will es 'Unrecht' nennen dürfen." Übrigens: Ihr Zorn richte sich nicht nur gegen die Politiker mit ihrer Beamtenmentalität, sondern auch gegen ihre Mutter, die, obwohl sich doch Italien bereits mit einem Bein im Ausnahmezustand befand, stur dahin fahren musste.
Sie will sich nicht trösten lassen, wirft Max Mildgeistigkeit vor. Sie wehrt sich gegen den Tod, hält Elias Canetti, der ihn auch nicht akzeptieren konnte, deswegen für einen aufrechten Menschen, geht mit Simone de Beauvoir einig, die ihn als unverschuldeten Gewaltakt begriff. "Falls ich jemals anfangen sollte, über die Möglichkeit von Trost nachzudenken, wäre mein einziger Trost, dass es Menschen gab und gibt, die vor dem Tod, vor der Gewalt, vor der Tyrannei, vor dem Unrecht nicht zu Kreuze gekrochen sind." Beschreibt sie da ihre Mutter?
Woran kann man sich halten, worin findet man Trost in diesem sich in rasender Geschwindigkeit ausdehnenden Universum? Früher fand Johanna Orientierung bei Platon und Sokrates, jetzt eher nicht mehr, doch sie bemüht sich nach wie vor um die Hilfe der Vernunft, obwohl sie erkennt: "Erleben wir nicht gerade, wie das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?"
Tröstlich findet sie hingegen die Musik, die es nur im Moment gibt. "Weil sie das schroffe 'Sein oder Nichtsein' zu einem verbindlichen 'Sowohl als auch' lindert?" Und auch immer wieder im Humor – Johannas Kommentar zu J.K. Rowling machte mich jedenfalls laut herauslachen (und begrub wieder einmal meinen schon lange schwindenden Glauben an die Zurechnungsfähigkeit unserer Medienwelt).
Zu meinen Lieblingsstellen gehört die "Handlungshilfe zum Pandemie-Arbeitsschutzstandard für die Branche Bühnen und Studios im Bereich Proben- und Vorstellungsbetrieb" bei dem mich bereits der Titel Tränen lachen liess. Die dann zitierte Textstelle ist nicht nur der ultimative Brüller, sondern macht auch klar, dass wer von der Politik in der gegenwärtigen Pandemie Hilfestellung erwartet, nicht ganz bei Trost ist.
Fazit: Ein wütender und witziger Briefroman, in dem man Trost findet. Nicht bei Seneca, sondern beim Picknick an Johannas Lieblingssee in Brandenburg.
Thea Dorn
Trost
Briefe an Max
Penguin Verlag, München 2021
The Non-Rational
Some of the greatest scientific thinkers deeply respect the non-rational, and they aren't afraid to say so. Perhaps it is part of their genius. The non-rational inspires fun, creativity, a connection with others, and a feeling of reverence. Trying to contain our thoughts within reasonableness squeezes the life out of them. The simple beauty of color and form in a stone; the graceful, synchronized movement of a flock of birds; the miracle of understanding and loyalty in a friendship - these are truths beyond our ownership. We can feel these truths. We can be moved and inspired by them. We can never fully know their mysteries.
Our
addictive natures have led us to overemphasize reason and the control
it promises. We've become reasonable while discarding the less
controlled, creative, humorous, mysterious, and personal aspects of
our lives. At this very moment we may be so focused on figuring out
the reasonable answer to a problem that we are blocking the gut
message, which is also here for us.
Montag, 1. März 2021
Meine Name ist Gregor, ich bin Alkoholiker
Mein Name ist Gregor, ich bin
Alkoholiker. Alkohol ist nicht mein Problem, schon lange nicht mehr.
Wie alle Alkis habe ich kompliziertere Probleme.
Seit ich vor dreissig Jahren zu den AA
gegangen bin, saufe ich nicht mehr. In Bangkok war das gewesen. Am 1.
Januar 1990, einem Montag. Unwahrscheinlicher geht kaum, ich weiss.
Montag geht sowieso nicht (ich kann die Montage, an denen ich
versucht habe, ein und für alle Male ein ganz neues Leben zu führen,
gar nicht zählen) und der erste Januar (Gimme me a break!)
schon überhaupt gar nicht. Aber es war so! Und dann noch 1990, der
Beginn einer neuen Dekade. Soll ich jetzt noch erwähnen, dass die 9
für mich immer schon eine ganz besondere Bedeutung hatte? Nicht nur,
weil ich im September, dem 9ten Monat, geboren wurde; auch weil ...
also das weiss ich jetzt gar nicht mehr so genau. Jedenfalls: Montag,
der 1. Januar 1990 ist eine gleichsam magische Kombination, das
müsste eigentlich jedem sofort klar sein. Kein Wunder halte ich mich
für speziell.
Das würde ich natürlich nie so sagen.
Aber es ist offensichtlich. Und auch wenn ich mir nichts darauf
einbilde, weiss ich natürlich, dass es so ist. Alkis sind so, sie
halten sich generell für speziell. Zwei Dinge würden uns alle
verbinden, hat ein alter AA einmal gesagt: Dass wir uns als Ausnahme
begreifen. Und dass wir nicht erwachsen werden wollen.
Als ich das mit dem
Nicht-Erwachsen-Werden-Wollen zum ersten Mal gehört habe, dachte ich
so für mich: Was soll an dem Erwachsen-Sein denn so attraktiv sein,
dass man es wollen sollte? Ich selber habe zu Kindern einen viel
besseren Draht. Sie sind unverfälscht, sagen, was sie denken, sind
von gesellschaftlichen Zuschreibungen unbeeindruckt. Erwachsene
hingegen ... doch lassen wir das, man braucht sich nur umzuschauen,
ich jedenfalls wollte nicht so werden. Heute sehe ich das anders,
verbinde damit Eigenverantwortung, die ich lieber andern predigte als
selber wahrnahm. Das änderte, als ich anfing, es attraktiv zu finden
für mein Denken, Fühlen und Handeln selber verantwortlich zu sein.
Nur eben: Es war keine dramatische Veränderung, eher eine Einsicht,
auf die ich immer wieder zurückkommen und dann umsetzen muss. Übung
macht den Meister! Das gilt seit jeher, auch wenn man das heutzutage
kaum mehr hört.
Dass ich für mein Handeln
verantwortlich bin, leuchtet ein. Doch für meine Gedanken und
Gefühle? Zugegeben, die sind ziemlich selbstständig, tun und
lassen, was sie wollen, kommen und gehen wie es ihnen passt. Doch das
heisst ja deswegen nicht, dass ich mich ihnen ausliefern, zum Opfer
werden muss. Mich gegen sie wehren funktioniert hingegen auch nicht,
denn dann werden sie grösser und wichtiger als sie sein sollten.
Besser ist, ihnen nicht mehr Beachtung zu schenken als einem
Windhauch. Soweit meine allerneueste Erkenntnis, die meiner Erfahrung
nach leider selten lange anhält. Auch eine Variante des Windhauchs.
Natürlich ist jeder Tag ein spezieller
Tag. Nur schon, dass es ihn gibt, ist speziell. Ist ja logisch. Nur
eben: Was logisch ist und was unser Leben bestimmt, ist selten
dasselbe (Es kommt auf die Definition von logisch an? Schon klar.
Doch wer so argumentiert, soll am besten wieder zurück an die Uni).
Mein Leben ist jedenfalls von Automatismen bestimmt, die Tage
ziemlich gleichförmig. Als besonders erlebe ich die Tage dann, wenn
ich aus meinen Routinen falle.
Aus: Hans Durrer: Gregors Pläne. Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern, neobooks 2021
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