Schon wieder einer, der es nötig hat, mit seinem Titel auf dem Buchumschlag zu hausieren, ist eine meiner ersten Reaktionen auf dieses Buch. Solche Leute machen mich vor allem skeptisch. Der Untertitel "Wie verborgener Stress krank macht – und was Sie dagegen tun können" macht mich hingegen neugierig,.
Dass Körper, Seele und Geist eine Einheit bilden, finde ich selbstverständlich. Als der britische Autor Tim Parks auf der Suche nach Hilfe für sein Prostata-Leiden bei einem indischen Ärzteehepaar in Indien landete und fragte, ob sein Leiden möglicherweise psychische Ursachen haben könnte, wurde ihm erwidert: Nur wenn man an die Trennung von Psyche und Körper glaubt.
Der Autor Gabor Maté ist praktizierender Arzt und erzählt in diesem Buch viele bewegende Fall-Geschichten und zitiert unter anderen aus einem der Dialoge Platons mit Sokrates, der illustriert, dass die Körper-Geist-Idee auch bei einigen im Westen schon lange bekannt ist. "Aus diesem Grund vermögen die Ärzte von Hellas viele Krankheiten nicht zu heilen, weil sie von dem Zusammenhang nichts wissen. Denn das ist der grosse Irrtum unserer Zeit, dass die Ärzte bei der Behandlung des menschlichen Körpers die Seele vom Körper trennen."
Ich schätze dieses Buch und es nervt mich gleichzeitig. Ich schätze es, weil es auf vielfältige Art deutlich macht, wie alles miteinander zusammenhängt und verbunden ist, mich nervt, dass es bei aller Differenziertheit oft sehr pauschal daherkommt. So lese ich etwa von einem 'universell menschlichen Bedürfnis nach Kontakt' oder davon, dass viele Menschen mit chronischen Krankheiten glauben, nicht liebenswert zu sein. Woraus der Autor schliesst: "Die Suche nach Kontakten ist eine Notwendigkeit für die Heilung." Wieso mich das nervt? Weil es Leute gibt, die nun einmal nicht liebenswert sind. Weil es Kontakte gibt, die einem schlicht nicht gut tun.
Trotzdem: Dies ist ein differenziertes Buch. "Wenn ich also darlege, dass Verdrängung eine Hauptursache von Stress ist und massgeblich zu Krankheiten beiträgt, zeige ich nicht mit dem Finger auf andre, weil sie 'sich selber krank machen'. Ich möchte mit diesem Buch das Lernen und die Heilung fördern, nicht den Quotienten aus Schuld und Scham erhöhen, die in unserer Kultur bereits im Übermass vorhanden sind."
Zu den "sieben Prinzipien der Heilung" gehören neben Akzeptanz und Achtsamkeit, die man in jedem Buch findet, das sich mit dem gesunden Leben auseinandersetzt, auch die Wut, die ja nichts anderes als Energie und zudem der Selbstbehauptung förderlich ist sowie auch ein exzellenter Motivator sein kann.
"Gesundheit ruht auf drei Pfeilern: dem Körper, der Psyche und der spirituellen Verbindung", schreibt Gabor Maté. Es geht darum, diese drei im Gleichgewicht zu halten. Anregungen dazu liefert dieses Buch zuhauf.
Der Autor hat dieses Buch Dr. Hans Selye gewidmet, den er als "einen Mann der Renaissance im 20. Jahrhundert" bezeichnet und mit diesen weisen und wegweisenden Worten zitiert: "Was in uns ist, muss heraus, sonst explodieren wir vielleicht an den falschen Stellen oder werden durch Frustrationen eingeengt. Die grosse Kunst besteht darin, unsere Vitalität auf den besonderen Wegen und in der besonderen Geschwindigkeit, die von der Natur für uns vorgesehen ist, Ausdruck verleihen."
Dr. Gabor Maté
Wenn der Körper Nein sagt
Wie verborgener Stress krank macht – und was Sie dagegen tun können
Narayana Verlag, Kandern 2020
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen