Die am 11. Mai 1960 in Thun geborene Katrin träumte als junges Mädchen davon, "einen Mann zu heiraten, der mein Romeo, mein Beschützer und mein bester Freund ist. Meine Eltern hatten mir vorgelebt, dass eine Ehe beglückend ist und man heiratet, um das Leben gemeinsam zu meistern und zu geniessen. Doch als ich meinem Traummann nach Australien folgte, musste ich lernen, dass das nicht selbstverständlich ist."
Katrins Mann Gavin funktioniert nicht wie andere Menschen. "Seine Laune wechselt in Sekundenschnelle, während sein Gesichtsausdruck immer gleich bleibt. Er scheint verschiedene Persönlichkeiten zu besitzen." Er ist perfektionistisch, befolgt strikt genaue Verhaltensregeln und erwartet das auch von anderen, er hat immer Recht, entschuldigt sich nie, regt sich enorm über Kleinigkeiten auf und hat ein erstaunliches Gedächtnis für Fakten und Zahlen. Er lebt in seiner eigenen Welt, abgespalten von seiner Umwelt.
Kennengelernt haben sich die beiden, als die engagierte Primarlehrerin Katrin 1987 für drei Monate Australien erkundet. Gegen Ende ihrer Reise will sie mit dem Bus nach Byron Bay, hört dann aber von einem Kanadier, dass ein junger Australier namens Gavin am nächsten Tag mit dem Auto dorthin fahre. Ob er sie mitnehme, fragt sie ihn. Er guckt gerade fern, sagt okay, wendet jedoch seinen Blick nicht vom Bildschirm. "Sein Verhalten schien mir damals nicht ungewöhnlich. Das Einzige, was mir auffiel, war, dass sich seine Stimmung nie änderte. Er schien weder extrem fröhlich noch traurig, sondern einfach immer cool und nett."
Als Gavin sie kurz darauf in der Schweiz besucht, verhält er sich zwar schon ab und zu etwas eigenartig (Von der Schokolade, die sie als Geschenk zu einer Einladung mitnehmen, isst er bereits im Zug und überreicht dann die angebrochene Schachtel den Gastgebern), doch sie folgt ihrem Herzen und bereits fünf Monate später heiraten die beiden.
Gavins Benehmen verunsichert und verstört Katrin zunehmend. Ihr Mann erweist sich als extrem knauserig, scheint gefühlslos, ist besserwisserisch und detailfixiert, bekundet ausserordentlich Mühe, Entscheidungen zu treffen und lebt nach rigiden Regeln, die ihm Halt geben. "Er war nun für unser Wohl verantwortlich, daher sah er unsere Flitterwochen als eine Art Rekrutenschule, um mir beizubringen, wie man das Leben richtig anpackt." Katrins Selbstwertgefühl nimmt rapide ab, am liebsten würde sie in die Schweiz zurückkehren. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
"Hie und da versuchte ich, eine romantische Atmosphäre zu schaffen, aber es gelang mir nur selten. Gavins Liebe zum Detail, sein Bedürfnis, andere auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, seine Empfindlichkeit in Bezug auf Geschmack und Berührung, seine Überzeugung, dass man schonungslos alles sagen durfte, solange es der Wahrheit entsprach, und seine Schwierigkeit die Mimik anderer Menschen zu deuten, machten Romantik zu einem fast aussichtslosen Projekt."
Doch es gab auch Momente, wo sich die beiden wieder nahe waren. Und dann kamen ein Sohn und eine Tochter zur Welt, die für neue Herausforderungen sorgten. Gavins Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein sowie seine extremen Stimmungswechsel hielten an.
Katrin und Gavin scheinen in gänzlich unvereinbaren Welten zu leben. Und es dauert unfassbar lange, bis Katrin endlich auf die Idee kommt, dass es möglicherweise eine medizinische Erklärung für Gavins sonderbares Verhalten geben könnte. Tony Attwoods Buch "Asperger-Syndrom" öffnet ihr schliesslich die Augen.
Nach und nach beginnt sie zu verstehen, dass sie Gavin nicht ändern kann, sich selber aber schon. "Während ich alles Mögliche über das Asperger-Syndrom gelernt hatte, um unsere Beziehung zu verbessern, war mir entfallen, dass ich mich auch intensiv um meine Wunden kümmern musste." Sie gibt auf, Gavin ändern zu wollen. Stattdessen konzentriert sie sich auf ihr eigenes Wohlergehen und darauf, sich an den vielfältigen Fähigkeiten ihres Mannes zu freuen.
Katrin Bentley
Allein zu zweit
Mein Mann, das Asperger-Syndrom und ich
Wörterseh Verlag, Gockhausen 2015
Kennengelernt haben sich die beiden, als die engagierte Primarlehrerin Katrin 1987 für drei Monate Australien erkundet. Gegen Ende ihrer Reise will sie mit dem Bus nach Byron Bay, hört dann aber von einem Kanadier, dass ein junger Australier namens Gavin am nächsten Tag mit dem Auto dorthin fahre. Ob er sie mitnehme, fragt sie ihn. Er guckt gerade fern, sagt okay, wendet jedoch seinen Blick nicht vom Bildschirm. "Sein Verhalten schien mir damals nicht ungewöhnlich. Das Einzige, was mir auffiel, war, dass sich seine Stimmung nie änderte. Er schien weder extrem fröhlich noch traurig, sondern einfach immer cool und nett."
Als Gavin sie kurz darauf in der Schweiz besucht, verhält er sich zwar schon ab und zu etwas eigenartig (Von der Schokolade, die sie als Geschenk zu einer Einladung mitnehmen, isst er bereits im Zug und überreicht dann die angebrochene Schachtel den Gastgebern), doch sie folgt ihrem Herzen und bereits fünf Monate später heiraten die beiden.
Gavins Benehmen verunsichert und verstört Katrin zunehmend. Ihr Mann erweist sich als extrem knauserig, scheint gefühlslos, ist besserwisserisch und detailfixiert, bekundet ausserordentlich Mühe, Entscheidungen zu treffen und lebt nach rigiden Regeln, die ihm Halt geben. "Er war nun für unser Wohl verantwortlich, daher sah er unsere Flitterwochen als eine Art Rekrutenschule, um mir beizubringen, wie man das Leben richtig anpackt." Katrins Selbstwertgefühl nimmt rapide ab, am liebsten würde sie in die Schweiz zurückkehren. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
"Hie und da versuchte ich, eine romantische Atmosphäre zu schaffen, aber es gelang mir nur selten. Gavins Liebe zum Detail, sein Bedürfnis, andere auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, seine Empfindlichkeit in Bezug auf Geschmack und Berührung, seine Überzeugung, dass man schonungslos alles sagen durfte, solange es der Wahrheit entsprach, und seine Schwierigkeit die Mimik anderer Menschen zu deuten, machten Romantik zu einem fast aussichtslosen Projekt."
Doch es gab auch Momente, wo sich die beiden wieder nahe waren. Und dann kamen ein Sohn und eine Tochter zur Welt, die für neue Herausforderungen sorgten. Gavins Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein sowie seine extremen Stimmungswechsel hielten an.
Katrin und Gavin scheinen in gänzlich unvereinbaren Welten zu leben. Und es dauert unfassbar lange, bis Katrin endlich auf die Idee kommt, dass es möglicherweise eine medizinische Erklärung für Gavins sonderbares Verhalten geben könnte. Tony Attwoods Buch "Asperger-Syndrom" öffnet ihr schliesslich die Augen.
Nach und nach beginnt sie zu verstehen, dass sie Gavin nicht ändern kann, sich selber aber schon. "Während ich alles Mögliche über das Asperger-Syndrom gelernt hatte, um unsere Beziehung zu verbessern, war mir entfallen, dass ich mich auch intensiv um meine Wunden kümmern musste." Sie gibt auf, Gavin ändern zu wollen. Stattdessen konzentriert sie sich auf ihr eigenes Wohlergehen und darauf, sich an den vielfältigen Fähigkeiten ihres Mannes zu freuen.
Katrin Bentley
Allein zu zweit
Mein Mann, das Asperger-Syndrom und ich
Wörterseh Verlag, Gockhausen 2015