Der zwanghafte Mensch, heisst es in Grundformen der Angst, könne schwer annehmen, "dass Lebendiges nicht völlig vorausberechenbar festgelegt werden kann. Er glaubt, alles in ein System einfangen zu können, um es lückenlos übersehen und beherrschen zu können, und vergewaltigt so das Natürliche – Nietzsche hat einmal gesagt, dass der Wille zum System immer schon ein Stück Unaufrichtigkeit enthält – eben, weil man damit die Vielfalt des Lebendigen gewaltsam vereinfacht."
Der Versuch, Grundformen der Angst zu beschreiben und zu systematisieren, wäre demnach also eine gewaltsame Vereinfachung? Sicher, doch wenn man das so intelligent und einfühlsam macht wie Fritz Riemann, ist es eben auch noch etwas ganz anderes: eine nützliche Orientierungshilfe.
Grundformen der Angst ist ein Klassiker. Erschienen 1961, liegt das Buch mittlerweile in der 41. Auflage vor, 967 000 Exemplare sind bisher verkauft worden.
Vier Grundformen unterscheidet Riemann
1. Die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt
2. Die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt
3. Die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt
4. Die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt
Die Angst vor der Selbsthingabe sei vor allem den schizoiden Persönlichkeiten eigen. Der schizoide Mensch habe kein gefestigtes Selbst entwickelt und sei deshalb ständig mit der Ich-Abgrenzung beschäftigt. Aus dem "Vermeiden jeder vertrauten Nähe aus Angst vor dem Du, vor sich öffnender Hingabe", resultiere eine zunehmende Isolation und Einsamkeit. Weshalb es denn für den schizoiden Menschen zentral sei, dass er einen Gegenpol zu seinem Streben nach Selbstbewahrung finde, denn wie uns die Bibel lehrt "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei."
Für depressive Persönlichkeiten sei die Angst vor der Selbstwerdung charakteristisch. Dem Depressiven bedeute Nähe Sicherheit und Geborgenheit, dem Schizoiden hingegen bedeute sie Bedrohung seiner Autarkie.
Die Angst vor der Veränderung sei typisch für die zwanghaften Persönlichkeiten. "The only permanent thing is change", heisst es bei den Buddhisten. Und obwohl wir dies wissen (könnten), streben wir trotzdem nach Dauer. In den Worten von Riemann: "Das Streben nach Dauer gehört also zu unserem Wesen; neben der Sehnsucht nach der Unverlierbarkeit eines geliebten und uns liebenden Wesens ist es sicher eine Wurzel der religiösen Gefühle. In der Vorstellung der Zeitlosigkeit, Ewigkeit und Allgegenwärtigkeit eines Göttlichen hat sich der Mensch dieses Bedürfnis nach Dauer erfüllt." Nur: je mehr wir danach trachten, uns gegen unsere Angst vor der Vergänglichkeit abzusichern, desto heftiger befällt sie uns.
Die hysterischen Persönlichkeiten seien durch die Angst vor der Notwendigkeit charakterisiert. Darunter versteht Riemann ausgesprochen risikofreudige Menschen, die ständig nach Neuem streben und Angst vor Einschränkungen und Traditionen haben. Diese Angst drückt sich etwa in Platzangst oder in der Angst aus, sich in geschlossenen Räumen wie z.B. Fahrstühlen aufzuhalten. Solchen Menschen, meint der Autor, sei die eigentliche Angst vor der Notwendigkeit und Endgültigkeit gar nicht bewusst.
1. Die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt
2. Die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt
3. Die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt
4. Die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt
Die Angst vor der Selbsthingabe sei vor allem den schizoiden Persönlichkeiten eigen. Der schizoide Mensch habe kein gefestigtes Selbst entwickelt und sei deshalb ständig mit der Ich-Abgrenzung beschäftigt. Aus dem "Vermeiden jeder vertrauten Nähe aus Angst vor dem Du, vor sich öffnender Hingabe", resultiere eine zunehmende Isolation und Einsamkeit. Weshalb es denn für den schizoiden Menschen zentral sei, dass er einen Gegenpol zu seinem Streben nach Selbstbewahrung finde, denn wie uns die Bibel lehrt "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei."
Für depressive Persönlichkeiten sei die Angst vor der Selbstwerdung charakteristisch. Dem Depressiven bedeute Nähe Sicherheit und Geborgenheit, dem Schizoiden hingegen bedeute sie Bedrohung seiner Autarkie.
Die Angst vor der Veränderung sei typisch für die zwanghaften Persönlichkeiten. "The only permanent thing is change", heisst es bei den Buddhisten. Und obwohl wir dies wissen (könnten), streben wir trotzdem nach Dauer. In den Worten von Riemann: "Das Streben nach Dauer gehört also zu unserem Wesen; neben der Sehnsucht nach der Unverlierbarkeit eines geliebten und uns liebenden Wesens ist es sicher eine Wurzel der religiösen Gefühle. In der Vorstellung der Zeitlosigkeit, Ewigkeit und Allgegenwärtigkeit eines Göttlichen hat sich der Mensch dieses Bedürfnis nach Dauer erfüllt." Nur: je mehr wir danach trachten, uns gegen unsere Angst vor der Vergänglichkeit abzusichern, desto heftiger befällt sie uns.
Die hysterischen Persönlichkeiten seien durch die Angst vor der Notwendigkeit charakterisiert. Darunter versteht Riemann ausgesprochen risikofreudige Menschen, die ständig nach Neuem streben und Angst vor Einschränkungen und Traditionen haben. Diese Angst drückt sich etwa in Platzangst oder in der Angst aus, sich in geschlossenen Räumen wie z.B. Fahrstühlen aufzuhalten. Solchen Menschen, meint der Autor, sei die eigentliche Angst vor der Notwendigkeit und Endgültigkeit gar nicht bewusst.
Grundformen der Angst ist gut geschrieben, argumentiert einleuchtend, und ist äusserst lehrreich. Nicht zuletzt zeigt es überzeugend auf, dass Angst nicht nur zum Leben gehört, sondern wichtig für unsere reifende Entwicklung ist. Vor allem gilt: "... im Annehmen der Angst und im Versuch, sie zu überwinden, wächst uns ein neues Können zu – jede Angstbewältigung ist ein Sieg, der uns stärker macht; jedes Ausweichen vor ihr ist eine Niederlage, die uns schwächt."
Fritz Riemann
Grundformen der Angst
Ernst Reinhardt Verlag, München 2013
Fritz Riemann
Grundformen der Angst
Ernst Reinhardt Verlag, München 2013
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen