Sucht ist ein Handeln, "über das ein innerer Zustand des Unglücklichseins, der Spannung und der Unruhe oder der qualvollen Leere verändert werden soll", schreibt Eckhard Schiffer. Das Ziel ist also Befriedigung. Und die will man nicht nur schnell, sondern sofort. Und auch wenn man weiss, dass dieser Weg in die Selbstzerstörung mündet, so wird er trotzdem gegangen.
Erfreulich klar hält der Autor fest: "'Weitermachen trotz Selbstzerstörung', diese Devise gilt für die Alkohol- und Drogensucht als auch für die Fress- und Magersucht, gleichfalls aber auch für das Auffressen unseres Planeten. Wir machen weiter, obwohl wir wissen, was wir anrichten. Unser Verhalten ist heutzutage umfassend süchtig."
Angenommen, wir wollen nicht so weiter machen, was ist dann zu tun? Wir können vorbeugen, indem wir die gesunden Kräfte in uns fördern. Doch was hat das alles mit Huckleberry Finn zu tun? Huck kommt trotz schlechtester Voraussetzungen – sein Vater ist ein gewalttätiger Säufer, Huck selber ist faul, verwahrlost und ohne festen Wohnsitz – bestens mit dem Leben klar. Er lebt nach seinen eigenen Regeln und in "einer eigenen, nicht vorfabrizierten Welt, die mit allen Sinnen erfahren und so in ihrer scheinbaren Banalität zum Abenteuer wird – und zum Abenteuer in der Phantasie einlädt."
Thema dieses Buches, das sich an alle wendet, die mit Kindern zu tun haben, ist, "wie sich eine solche Rebellion in unserer Gegenwart umsetzen lässt, ohne allzu sehr Aussenseiter wie Huckleberry Finn werden zu müssen." Es handelt sich also um ein Plädoyer für eine kinderfreundliche Pädagogik. Doch nicht nur, es ist nämlich auch noch etwas ganz anderes: eine sehr deutliche Kritik an unserer Konsum-Diktat-Gesellschaft.
"Für den Umsatz, den Konsum in unserem Land ist eine brennende Phantasie gefährlich. Es kommt ein Zirkel in Gang, der genau dem der Suchtentstehung entgegengesetzt ist: Über eine Sparsamkeit der Mittel und ein Verweilen wird eine brennende Phantasie freigesetzt, die die Orte der Konsummanipulation in Schutt und Asche verfallen lässt. Freiheit von und vor Konsumvergiftungen fördert nämlich die Phantasie und setzt sich in vielen Lebensbereichen immer weiter fort."
Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde gründet auf dem Salutogenesekonzept von Aaron Antonovsky. Dieses fragt nicht danach, was krank macht, "sondern was Gesundheit entstehen lässt und erhält beziehungsweise bei Krankheit die Genesung fördert."
Eckhard Schiffer ist der Meinung, "dass Sucht in ihren verschiedensten Formen oft vermeidbar ist, wenn die Welt unserer Kinder vor Zerstörung bewahrt wird und unsere Kinder ihre schöpferischen Kräfte darin entfalten können." Der Homo faber genüge nicht, es brauche auch den Homo ludens.
die Welt der Phantasie und die Welt des Träumens.
Es gehe darum, so Schiffer, einen guten Eigen-Sinn zu entwickeln. Für Huckleberry Finn ist charakteristisch, dass er "in sich selbst zuhause" ist. Und dies ist er, weil sein Selbstwertgefühl nicht von guten Schulnoten abhängt.
Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde ist ein Plädoyer für Freiräume, in denen sich Kinder spielerisch entfalten können. "Am Anfang aller Aufklärung stünden die Selbstaufklärung über die suchtartige Verschreibung an das Leistungsprinzip unter Eltern und Lehrern und Schulbürokraten sowie das Wissen darum, dass das Spielen im Sinne von 'play' und die dazugehörigen Freiräume die wirksamste Immunisierung gegen Suchtgefährdung darstellen."
Eckhard Schiffer
Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde
Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen
Beltz Verlag, Weinheim und Basel