Trockene Alkoholiker führen ein Leben
auf zwei Ebenen -- ein, erst mal, ganz normales, in dem plötzlich,
scheinbar ganz von selbst, Dinge gelingen, die man im Suff immer
ersehnt hat, und in dem man plötzlich mit Schwierigkeiten umgehen
kann, die früher im Alkohol ersäuft wurden. Aber möglich ist das
nur für den, der immer weiß, daß dieses Leben auf sehr dünnem Eis
abläuft. Immer nur ein Glas vom Rückfall. in die alte Scheiße
entfernt, besonders dann, "wenn es dir zu schlecht geht beim
Nichtsaufen oder wenn es dir zu gutgeht beim Nichtsaufen".
Herhaus hatte es einmal fast drei Jahre
lang im Alleingang versucht, ohne ständige Erinnerung durch andere
an die zweite Ebene der nur schlummernden, nie wieder heilbaren
Krankheit. Er ist damals gescheitert. Inzwischen hat er gelernt, daß
es nicht damit getan ist, ein "Leben als Trockenleiche" zu
führen, daß für einen Alkoholiker Nichttrinken radikale
Lebensänderung bedeutet -- ehrliche, ständige Kleinarbeit an sich
und im Alltag. "Stagnation in der Sucht heißt Rückfall",
weiß der Autor.
Die "Begabung in täglicher
Genauigkeit", die Herhaus von sich als Schriftsteller verlangt
-- wir trockenen Alkoholiker brauchen sie alle zum Leben. Es ist
unser Vorteil gegenüber Traumtänzern und Lebenslügnern jeder Art,
daß wir es uns auf den Tod nicht leisten können, dies auch nur
einen Augenblick zu vergessen.
Horst Zocker über Ernst Herhaus:
Kapitulation
Copyright @ Der Spiegel, 26.09.1977
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