An Bekenntnisbüchern herrscht in unseren Selbstdarstellungszeiten wahrlich kein Mangel. Um auf dem sogenannten Markt zu bestehen, muss man sich was einfallen lassen. Und genau das haben Vlada Mättig und Katharina Vogt, Freundinnen seit Kindheitstagen, getan. „Dieses Buch erzählt die Geschichte ihrer Freundschaft, die den Alkohol bezwungen hat – und es macht Mut, sich Konventionen und Gruppenzwang entgegenzustellen und die eigene Freiheit zu verteidigen“, so die Verlagswerbung.
Ich bin mir nicht sicher, ob es ihre Freundschaft war, die den Alkohol bezwungen hat (das behaupten die beiden auch gar nicht), denn ich glaube nicht, dass wir wissen können, weshalb einige es schaffen, vom Alkohol loszukommen, die meisten Alkoholsüchtigen jedoch nicht. Unsere Erklärungen sind selten mehr als eine Gewohnheit zu denken, das Rätsel des Lebens erhellen sie nicht. Doch wir können dieses Rätsel annehmen – und davon handelt dieses Buch.
Alkoholiker wollen die beiden nicht sein. „Mich persönlich hat die Bezeichnung Alkoholikerin davon abgehalten, mir eher Hilfe zu suchen, denn ich war der festen Überzeugung, dass mir das niemals passieren konnte, obwohl ich natürlich wusste, dass Alkohol eine Droge ist und ich zu viel davon trank.“ Und: „Der Begriff ‚Alkoholiker*in‘ an sich allerdings ist und bleibt ungesund besetzt.“ Das liegt vielleicht auch ganz einfach daran, dass Alkoholismus ungesund ist! Nun gut, Abhängigkeit passt den beiden nicht, Freiheit ist ihnen lieber. „Freiheit bedeutet, frei von einem Label zu sein.“ Das ist vielleicht etwas unter-komplex, doch wenn es funktioniert bzw. hilft, ist dagegen meinerseits nichts einzuwenden, denn für mich gilt: whatever works.
Nicht immer war mir klar, wer von beiden eigentlich schrieb, doch so recht eigentlich war es egal, denn so persönlich Sucht auch erlebt wird, die Gemeinsamkeiten der Suchterfahrung sind weit häufiger, auch wenn jeder Alki natürlich denkt, er sei der absolute Spezialfall – jeder Alki denkt so, soviel zum Spezialfall.
Auch die beiden Autorinnen bemühen sich speziell bzw. originell zu sein und stellen den zwölf Schritten der Anonymen Alkoholiker ihre „Elf Schritte, die du gehen kannst, um mit dem Trinken aufzuhören“ gegenüber. Wie gesagt: Alles kann sich positiv auswirken – sofern man es tut. Und in Sachen Tun sind die Anonymen Alkoholiker mit ihrem to act your way into a new way of thinking meines Erachtens unerreicht. Nein, nicht für alle, weshalb ich denn auch den Ansatz dieses Buches sehr schätze – das Darauf-Hinweisen, dass nicht so sehr Alkohol das Problem, sondern vielmehr ein klares Anzeichen ist, dass man es mit einem Lebensproblem zu tun hat und es so recht eigentlich nur eine Frage zu beantworten gilt: Will ich so leben?
Rauschlos glücklich bietet vielfältige Aufklärung, die unter anderem deutlich macht, wie ungeheuer verbreitet Alkohol in der westlichen Kultur („Zumindest in den Grossstädten haben wir das Zeug 24/7 vor der Nase.“) ist, in Malaysia oder Indonesien hingegen nicht. „In Deutschland ereigneten sich laut Statistischem Bundesamt 2019 täglich durchschnittlich 98 Verkehrsunfälle, bei denen mindestens bei einem Verkehrsteilnehmer Alkohol nachgewiesen konnte.“
Die Geschichten, die die beiden Autorinnen erzählen, sind ganz unterschiedlich und reichen von sehr lustig (als sie irrtümlich alkoholfreien Amaretto gekauft haben) bis zu tragisch. Vor allem berührt hat mich, als Vlada plötzlich verschwunden war und ihre Mutter und Katharina sie nicht finden konnten. Katharina ist verzweifelt. Und leidet. „Das Widersprüchliche an alldem ist jedoch, dass ich Vlada selbst nach dieser Geschichte nicht gesagt habe, was ich dachte, dass sie nämlich Hilfe brauchte und es so nicht mehr weitergehen konnte. Zumindest kann ich mich an solche Worte nicht erinnern.“ Das ist kein Katharina-Problem, es ist auch kein Vlada-Problem, es ist ein Gesellschaftsproblem. So frei wir auch sein mögen bzw. uns dies einbilden – unsere Gefühle sind gesellschaftlich unerwünscht.
Wer nicht fühlen will, was er fühlt, für den ist Alkohol eine wunderbare Medizin. Jedenfalls am Anfang. Ist man jedoch mit einer Suchtpersönlichkeit geschlagen, wird der Alkohol zum Problem. Wer seine Gefühle und damit sich selber leben lassen will – Vlada Mättig und Katharina Vogt – , hat eine gute Chance, vom Alkohol loszukommen. Das meint übrigens nicht, unseren Gefühlen einfach nachzugeben – es gibt schliesslich auch solche, die uns in die Irre führen – , sondern sie zu akzeptieren, zu prüfen, und uns dann zu entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen.
„Mit meiner Nüchternheit habe ich dann endlich die Entscheidung getroffen, dass es reicht“, bringt es auf den Punkt. Und: „Ich wollte wieder fühlen, ich wollte wieder richtig leben, ich wollte wieder ich selbst sein. Meine Nüchternheit ist ein Nebenprodukt dieses Prozesses, ein ganz wunderbares Nebenprodukt, das ich nicht mehr missen möchte!“
Rauschlos glücklich plädiert dafür, mit sich selber Freundschaft zu schliessen. Nichts, das lebensfreundlicher wäre!