Der 1965 geborene Neurologe Klaus Scheidtmann wird durch seinen eigenen Hirntumor zum Patienten. In Seitenwechsel schreibt er mit grosser Offenheit von seinen Erfahrungen.
Als er nach einem Sturz vom Fahrrad anfängt 'komische Dinge' wie Impulsivkäufe zu machen und übertrieben Sport zu treiben sowie mit Sprachproblemen zu kämpfen hat, denkt er nicht an einen Hirntumor. Kann ein Neurologe sich denn nicht selber einschätzen? Natürlich nicht, denn ein Hirntumor hat unter anderem eine Wahrnehmungsverzerrung zur Folge und das meint: Der Bezug zu sich selber ist gestört, die Arbeit in der Klinik davon jedoch (verblüffenderweise) nicht beeinträchtigt.
Sein Tumor wird operativ entfernt, das Drumherum dieses Vorgangs schildert der Autor nüchtern und eindrücklich. Da ich mich selber einmal einer mehrstündigen Hirnoperation unterzogen habe (mein Facialis Nerv war beschädigt), riefen mir diese Sätze mein eigenes Aufwachen auf der Intensivstation nach der sechsstündigen Operation in Erinnerung, mit einem zuerst aufgeregten, dann, als ich mich deutlich artikulieren konnte, sichtlich erleichterten Oberarzt an meiner Seite. "So vieles konnte schiefgehen bei einer Operation am Gehirn. Ich hätte als sabbernder Idiot aufwachen können."
Klaus Scheidtmann spricht auch die finanzielle Seite seiner Lage an, berichtet davon, wie Kollegen und ehemalige Patienten reagierten und beklagt, dass sich niemand um die Angehörigen kümmert. Halt findet er im Glauben. "Es war mir ein grosses Bedürfnis, Gott dafür zu danken, dass ich noch lebte und dass ich noch da sein durfte."
Was ihm auch hilft, ist die buddhistische Zen-Meditation. Es sind solche "Informationen am Rande", die mir meist von einer Lektüre bleiben (auch natürlich, weil Zen mich schon lange begleitet). Und dass er die Nacht vor der zweiten Operation nicht mehr aufhören konnte in "Das Herzenhören" von Jan-Philipp Sendker zu lesen (ein Buch, das bei mir schon lange ungelesen im Regal steht ... und ich jetzt hervorgeholt habe).
In der Medizin geht es hierarchisch zu und her. Dass ihre Befunde und Entscheide kritisch befragt werden, sind Mediziner, im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, nicht gewohnt. Und so verstecken sie sich zumeist hinter der Maske der Autorität, die nicht immer sachlich gegeben ist. Doch ist das ja nicht nur bei Ärzten so.
Der Untertitel "Ein Arzt als Patient" weist darauf hin, dass es auch um das Arzt-Patient-Verhältnis geht. Wie wird der Arzt, der zum Patienten geworden ist, von seinen Kollegen behandelt? Selten auf Augenhöhe, so die Erfahrung von Klaus Scheidtmann, der daraus lernt: "Behandle deine Patienten immer so, wie du von deinen Kollegen behandelt werden möchtest."
Was überdies ganz unbedingt für dieses Buch spricht ist das Nachwort der Ehefrau des Autors, die ihre Sicht der Dinge schildert, so dass man miterleben darf, dass es nie nur die eine Geschichte gibt. Hut ab für diesen Mut zur Aufrichtigkeit!
Fazit: Unprätentiöse und hilfreiche Aufklärung.
Klaus Scheidtmann
Seitenwechsel
Ein Arzt als Patient
Klöpfer.Narr, Tübingen 2020
Klaus Scheidtmann
Seitenwechsel
Ein Arzt als Patient
Klöpfer.Narr, Tübingen 2020