Alan
Watts (1915-1973) schrieb nicht nur bekannte Bücher, sondern hielt
auch viele Radiovorträge. Aus diesen wählte sein Sohn Mark sechs
aus, die nun unter dem Titel Über den Geist hinaus. Die östliche
Weisheit der Befreiung in Buchform erschienen sind.
Die im
Westen geläufigen Weltmodelle sind das keramische, gemäss dem "die
Welt ein vom Schöpfer hergestelltes Artefakt ist – so wie ein
Töpfer aus Lehm Töpfe formt oder ein Zimmermann aus Holz Tische und
Stühle fertigt" – und das vollautomatische Modell, wonach wir
kosmische Zufallsprodukte sind. Beide Vorstellungen sind Mythen, sie
sagen mehr über unsere Art zu denken aus als über die Welt wie sie
ist.
Diesen
Mythen nachzuhängen hat zur Folge, dass wir uns von unserer Umgebung
getrennt fühlen. Nur eben: "Die ganze Welt bewegt sich durch
dich hindurch – kosmische Strahlen, Sauerstoff, der Strom von
Steaks und Milch und Eiern, die du verspeist – , alles fliesst
geradewegs durch dich hindurch. Du bist ein Wirbel, und die Welt
wirbelt dich herum."
Alan
Watts geht davon aus, dass die Grundsituation unseres Lebens ideal
ist. "Es gibt das zentrale Selbst – ob man es Gott nennet
oder wie auch immer – , und wir alle sind es." Das sehen
die meisten ganz anders, sie leiden unter Schuldgefühlen, dass sie
überhaupt da sind und definieren sich als Opfer und Sünder. Eine
bessere Variante wäre, Alan Watts' Rat zu beherzigen: "Ob
Komödie oder Tragödie, du bist der Regisseur."
Über
den Geist hinaus ist voller hilfreicher Denkanstösse. Zu meinen
Favoriten gehört dieser hier: "Wenn du dich in Fantasien über
eine Person ergehst, die du begehrst, dann drehe die Stickarbeit um
und sieh dir die Rückseite an. Betrachte das ganze Chaos auf der
Unterseite, aber lass dich nicht dabei erwischen. Tu es heimlich,
denn auf der Vorderseite der Stickerei spielt du das Spiel, dass
alles so ist, wie es sein soll. Das ist es, was dich menschlich
macht, und es ist das, was dich komisch macht."
Das
überaus Erfreuliche an Über
den Geist hinaus gründet
in Watts' Unerschrockenheit, seinem genauen Hinschauen und seinem
Witz. "Unserer Erfahrung ist die Vorstellung eingepflanzt, dass
die Existenz Schuld ist." Das Leben ist eine ernste Sache, wurde
uns eingetrichtert, Spass kann dabei zwar vorkommen, doch dankbar zu
sein, ist eindeutig wichtiger. Gott tanzt nicht, ausser bei den
Hindus.
Wir
werden von früh auf konditioniert und zwar so, dass die Gesellschaft
so weitermachen kann wie sie das gewohnt ist. "Zum Beispiel ist
es im Krankenhaus tabu zu schreien, weil das Krankenhaus nicht für
dich da ist, sondern für das Wohl der Belegschaft." In erster
Linie werden wir daraufhin gedrillt, "das Leben im Sinne von
Fortbestand und Nutzen zu betrachten." Nur eben: Dabei entgeht
uns das Wesentliche, die Magie. "Und weil wir mit der Zeit
aufhören, die Magie in der Welt zu sehen, taugen wir irgendwann
nicht mehr für das Spiel der Natur, ihrer selbst gewahr zu sein, und
sterben. Um nichts anderes geht es im Leben."
Über
den Geist hinaus regt an, unsere Denktraditionen genau zu prüfen,
neu und anders zu denken – wenn man denn mag. Ich mag, denn
Watts' Ausführungen wirken zutiefst wahr und befreiend auf mich.
"Was du gerade jetzt erfährst – vielleicht nennst du es
das gewöhnliche Alltagsbewusstsein – , ist es. Und
wenn du das erst erkennst, lachst du dich kaputt. Das ist die grosse
Entdeckung."
Fazit:
Ein überzeugendes Plädoyer, sich von seinen Selbsttäuschungen zu
befreien!
Alan
Watts
Über
den Geist hinaus
Die
östliche Weisheit der Befreiung
O.W.
Barth, München 2020