Es
gibt ganz unterschiedliche Spielregeln. Jede Gruppierung hat ihre
eigenen, mit jeweils eigens für sie erfundenen Sprachen. Man denke
etwa an die Juristen, die Mediziner, Theologen und Schreinerinnen.
Nur eben: ich mag nicht mitspielen, will nach meinen eigenen Regeln
spielen. Und habe doch immer wieder mitgespielt, auch Regeln
eingehalten, gegen die ich mich auflehnte.
Das
geht vielen, wenn nicht allen so, doch den meisten fällt das nicht
wirklich schwer, die ziehen das durch, ohne grosse Kämpfe und
Krämpfe mit sich selber. Warum es mir selber so schwer fällt, ja so
recht eigentlich unmöglich ist, mitzuspielen, weiss ich nicht
wirklich. Meine unermüdlichen Anstrengungen, auf dieses Warum
Antworten zu finden, erschöpften mich zunehmend, liessen auch immer
wieder Verzweiflung und Wut aufkommen. Bis ich dann eines Tages
angefangen habe, aufzugeben (und das seither immer wieder von Neuem
tue, denn das Aufgeben ist ein Prozess) nach Antworten zu suchen,
davon abgelassen habe, zu wollen, was ich glaubte, zu wollen. In den
Augenblicken, in denen ich das schaffe, empfinde ich das Leben als
spielerisch. Und fühle mich Günter Eich nahe, der kurz vor seinem
Tod gemeint hat: Ich möchte nur noch spielen.
Das
Leben sei unendlich viel labyrinthischer, als unser Gedächtnis uns
weismachen wolle – unser Verstand wirke darauf hin, Geschichte in
etwas Glatt-Lineares zu verwandeln, und daher unterschätzten wir die
Rolle des Zufalls, lese ich in „Antifragilität. Anleitung für
eine Welt, die wir nicht verstehen“ von Nassim Nicholas Taleb. „Und
wenn wir damit konfrontiert sind, befällt uns Angst, und es kommt zu
Überreaktionen (...) Wer bewusst Ordnung anstrebt, erzielt lediglich
eine Pseudo-Ordnung; ein gewisses Mass an wahrer Ordnung und
Kontrolle über die Dinge erlangt nur, wer den Zufall bejaht.“
Anstatt
dauernd zu versuchen, die Dinge des Lebens in den Griff zu kriegen
und damit zu kontrollieren, wäre es klar sinnvoller, uns dem Leben
und damit den Zufälligkeiten des Lebens hinzugeben. Und genau dies
haben wir verlernt. Als es noch keine geteerten Strassen, sondern nur
Naturstrassen gab, musste der Mensch bei jedem Schritt aufpassen, wo
er hintrat, heute muss er das nicht mehr, er kann sich auf die
stabile, gleichförmige und ihm damit Sicherheit vermittelnde
Teerunterlage verlassen. Wer einmal bei einem Erdbeben auf einer
geteerten Strasse gestanden ist, weiss, dass diese Sicherheit eine
vermeintliche ist.
Hans
Durrer
Wie
geht das eigentlich, das Leben?
Anregungen
zur Selbst- und Welterkundung
neobooks,
München 2017