Zwei ungewöhnliche neue Moleküle brachen um die Mitte des 20. Jahrhunderts über den Westen herein, notiert Michael Pollen in Verändere dein Bewusstsein – LSD und Psilocybin (der Wirkstoff in Magic Mushrooms). Beide Psychedelika fanden Eingang in Forschung und Therapie, doch ihre Schattenseiten (Horrortrips, psychotische Schübe, Selbstmorde) relegierten sie schon bald in den Untergrund. Doch dann, in den 1990er Jahren, begann sich eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern und Psychotherapeuten erneut für sie zu interessieren und "ihr Potenzial zur Heilung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Traumata und Sucht" zu erproben.
Ich bin skeptisch, finde Nüchternheit die beste Droge. Auch Michael Pollan ist skeptisch. "Meine vorgegebene Sichtweise ist die eines gelassenen Materialisten, der glaubt, dass Materie der Grundstoff der Welt ist und die physikalischen Gesetze, denen sie gehorcht, imstande sein sollten, alles, was geschieht, zu erklären. Ich gehe von der Annahme aus, dass die Natur alles ist, was es gibt, und tendiere zu wissenschaftlichen Erklärungen der Phänomene. Vor diesem Hintergrund bin ich auch empfänglich für die Begrenztheit der wissenschaftlich-materialistischen Perspektive und glaube, dass die Natur (der menschliche Geist inbegriffen) noch tiefe Geheimnisse birgt, gegenüber denen die Wissenschaft manchmal überheblich und ungerechtfertigt abweisend zu sein scheint."
Wie wir alle so will auch Michael Pollen sich nicht verändern, doch er ist neugierig. William James schreibt von ungeöffneten Türen in unserem Denken und notiert in Die Vielfalt religiöser Erfahrung: "Keine Betrachtung des Universums kann abschliessend sein, die diese anderen Bewusstseinsformen ausser Acht lässt." Michael Pollen beschliesst, die Türen wieder aufzumachen.
Albert Hofmann, der Basler Chemiker, war der Überzeugung, dass das LSD ihn gefunden hatte und nicht umgekehrt. Anlässlich der Feier zu seinem hundertsten Geburtstag äusserte er sich unter anderem so: "Das Gefühl der Mitgeschöpflichkeit mit allen Lebewesen sollte stärker in unser Bewusstsein dringen, damit wir zu den Rosen, den Blumen, der Natur, der wir angehören, zurückkehren können." Nichts, das notwendiger und dringender wäre!
Verändere dein Bewusstsein ist guter klassischer amerikanischer Journalismus – eine Ansammlung ungemein vieler Details, höchst ansprechend erzählt. Was dieses Buch ganz besonders auszeichnet, sind die grundsätzlichen und wunderbar anregenden Fragen, die es aufwirft: Gibt es Bewusstsein ausserhalb der Gehirns oder ist es, wie die meisten Wissenschaftler glauben, das Produkt unserer grauen Zellen?
Bill Richards, Psychologe und Religionswissenschaftler, gewann aus seinen psychedelischen Erkundungen die Überzeugung, dass das Heilige nichts ist, was wir erzeugen, sondern etwas, das irgendwo darauf wartet, entdeckt zu werden." Und "dass das Bewusstsein eine Eigenschaft des Universums und nicht des Gehirns ist."
Die Psychedelik-Forschung erfuhr jedoch Widerstand. "Psychedelika nährten die Gegenkultur, und die Gegenkultur untergrub die Kampfbereitschaft der jungen Amerikaner." Darüber hinaus fühlte sich die Gesellschaft generell bedroht. "Die unmittelbare mystische Erfahrung hat eine solche Macht, dass sie für bestehende hierarchische Strukturen bedrohlich sein kann."
Ganz besonders interessiert hat mich das Kapitel über Sucht, das Michael Pollan mit der Schilderung des Apollo 14 Astronauten Edgar Mitchell einleitet, der von einer mystischen Erfahrung berichtet, die er auf dem Heimweg hatte. Aus dem Cockpitfenster sah er alle zwei Minuten die Erde, den Mond, die Sonne, ja das ganze Himmelspanorama und ihn überkam"ein überwältigendes Gefühl des Einsseins, der Verbundenheit." Einen solchen "Überblick-Effekt" schilderten auch etliche Psilocybin-Versuchspersonen. Was einstmals wichtig für sie war, erschien ihnen plötzlich unwichtig.
"Sucht ist unter anderem eine radikale Form von Egoismus". Wer die (tiefe) Erfahrung macht, sich mit allem verbunden zu fühlen, wird die Welt (und sich) neu sehen, im besten Fall mit Ehrfurcht, die es jetzt auch in pharmakologischer Form, als Pille gibt. "Die überwältigende Kraft und das Rätsel der Ehrfurcht sind derart, dass die Erfahrung nicht ohne Weiteres nach unseren gewohnten Denkmustern interpretiert werden kann. Indem die Ehrfurcht dieses Gedankengerüst ins Wanken bringt, hat sie die Fähigkeit, unser Denken zu verändern."
Fazit: Unbedingt lesenswert!
Michael Pollan
Verändere dein Bewusstsein
Was uns die Psychedelik-Forschung
über Sucht, Depression,
Todesfurcht und Transzendenz lehrt.
Verlag Antje Kunstmann, München 2019