Mittwoch, 25. Juli 2018

Vergänglichkeit und Tod

"Wenn ich noch einmal leben dürfte, würde ich mir angewöhnen, jeden Abend über den Tod nachzudenken. Ich würde mir den Tod sozusagen in Erinnerung rufen. Keine andere Übung lässt einen das Leben intensiver spüren. Wenn der Tod naht, sollte er einen nicht mehr überraschen. Er sollte Teil dessen sein, was man vom Leben erwartet. Ohne das ständige Bewusstsein vom Tod ist das Leben fade. Es ist wie ein Ei ohne Eigelb", schrieb die damals 41jährige Muriel Spark in Memento Mori.

Zu diesen Sätzen springen meine Gedanken, als ich die Einleitung zu Luise Reddemanns Schlussstücke. Gedanken über Vergänglichkeit und Tod lese. Nein, Muriel Spark wird darin nicht erwähnt und warum mein Gehirn einen Bezug zu Frau Prof. Reddemanns Text herstellt, weiss ich nicht wirklich, da könnte ich nur raten und das mag ich gerade nicht. Doch soviel soll sein: Für mich bedeutet die Beschäftigung mit dem Tod eine Auseinandersetzung mit dem Leben, meinem Leben, denn ein anderes kenne ich nicht.

Seit mindestens 50 Jahren, schreibt die Autorin, begleite sie Prediger 3: Ein jegliches hat seine Zeit. Und sie fügt hinzu: "Und er bedeutet mir immer wieder Unterschiedliches." Da mich dieser Text auch schon seit langem begleitet und mir auch immer wieder Neues und Anderes bedeutet, haben die Schlussstücke. Gedanken über Vergänglichkeit und Tod bereits meine Sympathie. Doch nicht nur deswegen – die Suche nach Identifikation ist nur einer unter vielen (und mir grösstenteils wohl gar nicht bewussten) Gründen, weshalb ich Bücher lese – , sondern auch, weil Luise Reddemanns Ausführungen anregend (sofort will ich mir die schon lange im Regal stehende, noch nicht gelesene Beethoven-Biografie vornehmen) und horizonterweiternd sind.

Das Thema Vergänglichkeit und Tod habe viel mit dem Herzen zu tun, doch ein wenig Vernunft könne dabei nicht schaden, notiert sie. Beide sind dem Menschen eigen genauso wie die Trauer und das Lachen. Akzeptanz ist der Schlüssel, finde ich. "Und selbst wenn wir nicht mehr gläubig sind wie Bach, können wir anerkennen, dass 'das Leben' grösser ist als wir selbst. Dieser Gedanke leitet mich", so Luise Reddemann und weist, unter Bezugnahme auf Hildegard von Bingen, darauf hin, wie uns das Betrachten der Natur zum Lebenlernen führen kann.

Johann Sebastian Bach, für den Dankbarkeit von grosser Bedeutung war, nimmt einen wesentlichen Teil dieses Buches ein. Bachs Dankbarkeit ist angesichts seines eigenen Leids umso beeindruckender. Und natürlich hole ich meine Bach-CDs hervor, nicht nur Goulds Goldberg Variationen, die mich schon lange begleiten, sondern auch die schon ewig nicht mehr gehörte Johannes Passion (ich höre nur auf die Musik, nicht auf den Text), die ich jetzt mit nochmals anderen Ohren höre.

Luise Reddemann nimmt auf ganz unterschiedliche, aus verschiedenen Jahrhunderten stammende Autoren und Gedanken Bezug – von Viktor Frankl über Kurt Marti zu Andreas Gryphius, von der Bibel über den Buddhismus zur Psychotherapie – , die letztlich alle zum Ziel haben, sich mit dem Leben einverstanden zu fühlen. "Wer dem Leben als Ganzem vetraut, kann sich aufgehoben fühlen, selbst wenn es manchmal zum Verzweifeln ist."

Doch Schlussstücke beschränkt sich nicht auf das Hinführen zu wesentlichen Gedanken, sondern geht darüber hinaus, indem es die persönliche und einfühlsame Lesart (und Hörkunst – es geht viel um Musik) der Autorin vorstellt. So erläutert sie unter anderem, höchst differenziert und anschaulich, was sie selber unter Resignation, Akzeptanz und Empathie versteht. Hier nur soviel: Es ist etwas anderes als üblicherweise damit verbunden wird.

Schlussstücke ist ein wunderbar hilfreiches Buch.

Luise Reddemann
Schlussstücke
Gedanken über Vergänglichkeit und Tod
Klett-Cotta, Stuttgart 2018

Mittwoch, 18. Juli 2018

20th Century Alcohol & Tobacco Ads

100 years of stimulating ads, the subtitle of this formidable tome aptly says. "Alcohol and tobacco are huge industries that produce massive wealth for many, and one of the most profitable beneficiaries, the advertising industry, has made certain of that."

Jim Heimann's and Steven Heller's 20th Century Alcohol & Tobacco Ads is not only a fabulous collection of  telling pictures that reflect the manners and mores of American society in the 20th century but also a highly informative work. It describes, for instance, how Edward Bernays, a nephew of Sigmund Freud and the author of the influential Propaganda (1928) managed to encourage women, a then untapped market, to purchase cigarettes. He "organized a women's protest up Fifth Avenue in New York City for which he paid 'progressive-leaning' women to light so-called 'torches of freedom' on March 31, 1929, during the annual Easter Parade. Bertha Hunt, Bernays's secretary, and the other women lit up Lucky Strikes in full view of men and women on the street, igniting a flurry of publicity and scandals. The more women began to light their 'torches', the more stories nespapers ran, which increased Lucky's sales – their defiance was monetized." As always in advertising: You do no sell a product, you sell a longing  – "the primary approach was to establish a mood wherein the customers were given aspirational messages."
Carta Blanca, 1943

Courtesy Jim Heimann
Collection/TASCHEN

It was new to me that the "Christian temperance groups across America comprised primarily of females." They were so successful that new legislation was enacted (the 18th Amendment to the U.S. Constituion) that prohibited the production and sale of liquor and beer. Interestingly enough, there was no outcry against tobacco during the nearly 14-year Prohibition that came to an end in December 1933, when it was repealed.

Advertising liquor came to a virtual standstill during the prohibition. After the repeal, some states remained dry and "advertising liquor was restricted in magazines and newspapers published there; only periodicals published outside these states were allowed to advertise alcohol."

There is no question that alcohol and smoking are vices. The advertising industry helped to transform them into virtues. "These products brought gratification, if not escape. So the job of mass advertising was to increase desire and encourage their standing as symbols of status." Judging from the examples in this tome, advertising has done a most impressive job.
Asti, 1952

Courtesy Jim Heimann
Collection/TASCHEN

It never really occurred to me that, when glancing through the pages of this volume, I was looking at products that could cause harm. In fact, I wasn't product-oriented at all, I felt taken to some fantasy-land – and I've admired the artwork.

20th Century Alcohol & Tobacco Ads is also a visual history book that reflects the spirit of its particular period in time. In 1969, the now famous "Warning: The Surgeon General Has Determined that Cigarette Smoking Is Dangerous to Your Health" was introduced; in the 1980s and 1990s, the designs  of liquor bottles and labels became invaluable brand signifiers.
Marlboro, 1973

Courtesy Jim Heimann
Collection/TASCHEN

20th Century Alcohol & Tobacco Ads is simply a joy to spend time with. Moreover, it provides valuable insights into how clever arrangements of images and text can influence our consuming habits. Editor Jim Heimann and author Steven Heller have done a superb job.

Jim Heimann
Steven Heller
20th Century Alcohol & Tobacco Ads
Taschen, Cologne 2018

Mittwoch, 11. Juli 2018

Making changes

What don't I understand?
How to make changes. How to transform things and move people in God's direction gradually. I doesn't have to be fire and brimstone. Bombast and arm waving.
I'm sure I never waved my arms
But you take my point. Changes can be made by slow accretion.
Not in my experience. I don't see it.

Kent Haruf: Benediction

Mittwoch, 4. Juli 2018

Sein Leben ändern

Jedermann (Frauen sind mitgemeint) kann jederzeit sein Leben ändern. Die Voraussetzung dafür ist, dass er wirklich dazu bereit ist. Die meisten sind es nicht, die meisten hätten gerne die Welt anders.

Um sein Leben zu ändern, gilt es, sich der Realität zu stellen. Radikal, ohne Wenn und Aber. Das will kaum jemand, lieber hätte man die Realität anders.

Buddha hat den Menschen einmal als Geschöpf geschildert, das von einem Pfeil getroffen wurde. Und wir fragen nun: Wer hat den Pfeil geschossen? Aus welchem Material ist der Pfeil? Woher stammt dieses Material? Wie können wir verhindern, dass künftig solches Material uns Menschen in die Hände fällt? Und so weiter, und so weiter. Die einzig relevante Frage, die uns beschäftigen sollte, ist eine ganz andere: Wie können wir die Wunde versorgen?

Kann man nicht auch beides tun? So denken wohl die meisten, die nicht genau hinschauen und wie gewohnt weiter machen wollen. Und Buddhas Beispiel nicht begriffen haben. Denn dieses besagt ja, dass wir falschen Prioritäten nachleben.

Und was sind die richtigen? Sich mit dem Leben konfrontieren. Und das meint: Sich seinen Ängsten stellen. Sich täglich ins Gedächtnis rufen, dass wir sterblich sind. Und weder perfekt sind, noch es sein müssen.

Anständige Menschen können wir gleichwohl sein. Und schätzen, was wir haben sowieso. Solche Grundsatzentscheide brauchen wir, denn diese geben die Richtung vor. Und das Üben. Denn das ist es, was das Leben ist: Eine Gelegenheit zum Üben.

Hans Durrer, 2018