Donnerstag, 25. Januar 2018

Suchtverlagerung

Zisler war als Jugendlicher Nazi gewesen, und zwar nicht irgendeiner, sondern besonders schneidig, ein Reiter-Nazi mit Tätowierung und Lederstiefeln. Im russischen Antifa-Lager aufgeklärt, schämte er sich und wurde Kommunist. Nach der Heimkehr war er zunächst staatsfroher Dichter, dann DDR-Kritiker, Unterzeichner der Biermann-Petition, Buddhist, katholisch, zwischendurch jeweils Alkoholiker. Danach ein fanatischer Vegetarier, der nur Äpfel ass. 'Wissen Sie, was Hunger ist?' Plötzlich wurde er fett wie ein Delphin und fragte die Dichterin Broda, eine Blutwurststulle im Mund: 'Was halten Sie von der Gnade?

Petra Morsbach: Dichterliebe

Donnerstag, 18. Januar 2018

"Ich habe aufgehört, weil ich frei sein wollte."

David Sedaris: Ich war volle 25 Jahre am Stück high. So war es auch mit dem Alkohol. Sogar als es nicht mehr so lustig war. Vielleicht hätte ich es früher geschafft, davon loszukommen, aber ich war davon überzeugt, dass ich die Drogen und den Alkohol brauche – um schreiben zu können. Ich hatte so viele Aufträge und musste mich an enge Fristen halten, also war es erforderlich, rund um die Uhr zu schreiben. Abends betrunken zu sein ist eine Sache. Aber morgens um zehn Uhr schon einen sitzen zu haben ist noch mal was anderes. Das war ein regelrechter Weckruf.
ZEITmagazin: Über welche Mengen reden wir?
Sedaris: Ich bin kein Riesenkerl, also fünf Bier auf leeren Magen machen mich schon fertig. Dann folgte ein großes Glas Scotch, meist wurden daraus zwei, dann drei. Danach kamen die Drogen, ich war high, bis ich umkippte. Um davon loszukommen, musste ich meinen Lebensrhythmus ändern, und so begann ich damit, morgens zu schreiben. Nie abends.
ZEITmagazin: Und wie war es mit den harten Drogen?
Sedaris: Ich war komplett abhängig von Crystal Meth Es ging mir so dreckig, ich klaute es von meinen Freunden und war über Tage am Stück wach. Wenn ich heute meine Tagebücher aus der Zeit lese, dann sehe ich, dass ich verrückt war. Meine Rettung: Mein Dealer ist zum Glück irgendwann einfach weggezogen. Da hatte ich keine Quelle mehr. Die Genesung war nicht mal mein Verdienst, aber sie änderte mein Leben. Heute findest du innerhalb weniger Stunden einen neuen Lieferanten, aber damals, 1978, war die Droge nicht so einfach zu bekommen. Von Crystal Meth loszukommen war eins der schwierigsten Dinge, die ich je durchlebt habe.
ZEITmagazin: Wie haben Sie es körperlich geschafft?
Sedaris: Ich habe von einem auf den anderen Tag aufgehört. Ein Tag ohne Drink folgte dem anderen und so weiter. Mit dem Rauchen war es genauso. Ich habe aufgehört, weil ich frei sein wollte. Ich wollte überall hingehen können, egal wann. Das macht das Reisen so viel einfacher. Ich konnte mir viele Jahre gar nicht vorstellen, ohne eine Zigarette in der Hand zu schreiben. Daran denke ich jetzt überhaupt nicht mehr. Ich kann jetzt überall schreiben, im Flugzeug, im Wartezimmer. Ich sage nicht, dass es gut ist, was ich schreibe, aber so gelingt es mir.
ZEITmagazin: Rückblickend, hatten Sie keine Angst, Drogen zu nehmen?
Sedaris: Nein, ich habe alles ausprobiert. Das meiste bereue ich nicht. Aber Kokain habe ich bereut: das ganze Geld, das draufgegangen ist! Heroin habe ich nur einmal genommen, um jemanden zu beeindrucken. Wenn jemand mir gesagt hätte, du wirst high, wenn du deine Fingernägel rauchst – ich hätte das versucht.
ZEITmagazin: Fühlten Sie sich als jemand Besonderes, weil Sie von Ihrer Abhängigkeit losgekommen sind?
Sedaris: Es war jetzt nichts, was andere nicht auch geschafft haben. Viele Leute schmeißen ihre Gewohnheiten über Bord und fangen neu an. So gesehen war ich niemand Besonderes, und es war gut, mir darüber im Klaren zu sein.

Aus: Die ZEIT Nr. 03/2018

Mittwoch, 3. Januar 2018

Keeping the balance of mind

An image often used to describe the practice of insight is that of walking a tightrope.

As we are walking the tightrope, it becomes clear that the one thing we must pay attention to is balance, maintaining perfect poise. While walking on the tightrope, different things come whizzing by us, different sights, and sounds, emotions, ideas, and realizations. If these are pleasant, the conditioned tendency of mind is to reach out, trying to hold onto them, trying to make them stay. If the sights and sounds are unpleasant, the tendency of mind is to reach out in aversion, trying to push them away. In both cases we reach out, and in the reaching, lose our balance and fall.

Both the positive and the negative reactions are equally dangerous. Anything at all, however glorious or terrifying, which causes us to lose the perfect balance of mind, makes us fall. So we work again and again to develop a mind which doesn't react with clinging or condemning, attachment or aversion, to any of these objects. Developing a mind which clings to nought, to absolutely nothing, just allowing it all to come and pass away.

Joseph Goldstein: The Experience of Insight: A Natural Unfolding