Wird ein Autor auf dem Buchumschlag mit seinem akademischen Titel vorgestellt, wird damit Sachkompetenz suggeriert, die auch durchaus vorliegen mag, wobei man sich natürlich fragen kann, was einen Mediziner zu Ratschlägen bei Angstproblemen befähigen sollte, da doch Angst so recht eigentlich keine Krankheit ist, sondern zum Leben gehört.
Anders gesagt: Medizinische Kenntnisse drängen sich bei Angststörungen nur insofern auf, als die Abgabe von Psychopharmaka angezeigt sein mag. Für das Allermeiste, das Dietmar Hansch in diesem umfangreichen Buch aufführt, genügt der gesunde Menschenverstand. Da dieser jedoch eher selten ist, sind die vielfältigen Informationen (inklusive der medizinischen!), die man in diesem gut lesbaren Werk findet, zweifellos für viele hilfreich.
Der Autor tut, was Akademiker so gemeinhin tun. Er geht zurück in die Geschichte, trifft Unterscheidungen, sucht nach Ursachen und Definitionen. Doch darüber hinaus bietet er auch praktische Anleitungen. Gleich zu Beginn hält er Grundlegendes fest. Nämlich: "Das entwicklungsgeschichtlich junge Denken ist schwach gegenüber den alten Instinkten." Und: "Bewusstes Lernen und wiederholte Verhaltensveränderungen führen zu einem Umbau der materiellen Strukturen unseres Gehirns." Ich stehe zwar diesem Glauben an mentale Einflussmöglichkeiten skeptisch gegenüber, doch andererseits: Was bleibt uns anderes übrig, als daran zu arbeiten? Und überhaupt: Das Gehirn zu trainieren, schadet vermutlich nicht.
Dietmar Hansch ist nicht nur Medizinier, sondern auch Psychotherapeut mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung und leitet den Schwerpunkt Angsterkrankungen an der Privatklinik Hohenegg in Meilen am Zürichsee. Er unterscheidet Panikstörungen, Agoraphobie (Platzangst), soziale Phobie sowie generalisierte Angst und weist gleichzeitig darauf hin, dass es da natürlich Überlappungen gibt sowie dass die Ursachen äusserst vielfältig sein können. Klar macht er unter anderem, dass es ein Leben ohne Leid, Stress und unangenehme Gefühle nicht gibt. Wie also damit umgehen? Dagegen zu kämpfen, hält er für keine gute Idee, denn dadurch steigern wir das Leid nur. Ihm aus dem Weg zu gehen, ist auch nicht zu empfehlen, denn es wird uns wieder einholen. "Wenn wir es achtsam annehmen, können wir es aushalten. Wenn wir durch das Leid hindurch handeln, können wir es verhindern und persönlich wachsen."
Ich staune, wie vielfältig und verstörend sich Ängste zeigen können. So wunderte ich mich etwa über Panikattacken im Schlaf und las dann: "Nun, wie für so vieles haben wir dafür im Detail keine sichere Erklärung. Aber immerhin kann man einige Überlegungen anstellen, die eine gewisse Plausibilität haben." Es ist diese unprätentiöse und nüchterne Haltung, die mir dieses Buch sympathisch macht sowie die Tatsache, dass der Autor auch zeigt, wie er selber mit irritierenden Gefühlen umgeht: Man lese den Abschnitt "Gewöhnung hat zwei Gesichter" (Seiten 348 ff.).
Wussten Sie übrigens, was eine Psychose von einer Neurose unterscheidet? "Bei Neurosen ist das Problem die Quantität. 'Neurotiker' haben nichts, was 'Normalos' nicht auch haben, nur eben von einigem zu wenig oder zu viel: zu wenig Antrieb und zu viel Niedergeschlagenheit (Depression) und zu wenig Selbstsicherheit und zu viel Angst (Angsterkrankungen). Bei Psychosen dagegen ist das Problem die Qualität. 'Psychotiker' haben Sachen, die 'Normalos' nicht haben, z.B. Wahnvorstellungen oder das Hören imperativer Stimmen. Überdies treten die psychotischen Symptome längerfristig auf und nicht nur innerhalb kurzer Phasen extremer Erregung."
"Das Praxisbuch", so der Untertitel, hält, was es verspricht: Es bietet eine Fülle an Material und viele nützliche Übungen. Ja, so recht eigentlich könnte/sollte man das Leben als ein einziges, grosses Übungsfeld betrachten, denn auf einer solchen Grundlage akzeptiert man die Dinge, wie sie nun mal sind und versucht möglichst clever mit ihnen klarzukommen. "Life is difficult", lautet der erste Satz in M. Scott Pecks "The road less travelled". Wer das wirklich begreift, für den wird das Leben eine Herausforderung und nicht etwas, das gefälligst anders sein sollte.
Dietmar Hansch ist es damit zu tun, unseren Geist zu stärken, damit er "gegen die Gewalt starker Wellen von Angst oder anderen negativen Gefühlen" gewappnet ist. "Die methodischen Grundprinzipien, auf denen dieses Buch beruht, sind seit Jahrtausenden bewährt." Es empfiehlt sich, mit diesem Buch zu arbeiten. Und zwar in den Phasen, in denen es einem gut beziehungsweise ausreichend gut geht.
Fazit: Lehr- und hilfreich.
Dr. med. Dietmar Hansch
Angst selbst bewältigen
Das Praxisbuch
Knaur Menssana, Münchern 2017
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