Keine Kunst interessiert mich mehr als die Lebenskunst. Und so recht eigentlich ist sie die einzige, von der ich wirklich etwas halte. Kein Wunder also, bin ich Theodore Zeldins Gut Leben. Ein Kompass der Lebenskunst gespannt angegangen, merkte dann jedoch recht schnell, dass der deutsche Titel etwas irreführend ist. Der englische Untertitel trifft es besser: er spricht von einem neuen Weg, die Vergangenheit zu erinnern und sich die Zukunft vorzustellen.
"Die Geschichte ist nicht nur eine Aufzeichnung dessen, was geschehen ist und warum es geschah, sondern regt vor allem die Fantasie an", behauptet Zeldin nicht nur, sondern führt es höchst eloquent vor, indem er uns am Leben und den Gedanken von ganz unterschiedlichen Personen – vom Maler Lucian Freud (1922 - 2011) bis zum Schriftsteller und Politiker Benjamin Disraeli (1804 - 1881) – teilhaben lässt und daraus überaus hilfreiche Folgerungen zieht.
"Die Zwänge des gewöhnlichen Lebens nehmen einen so sehr in Anspruch, dass wir den grundsätzlicheren Problemen der Lebenskunst gewöhnlich ausweichen. Was am wichtigsten ist, wird oft am wenigsten diskutiert. Der Kampf gegen die Zensur ist nie gewonnen, aber die Selbstzensur ist noch heimtückischer."
Er suche nicht nach Lösungen, notiert Zeldin einmal, "sondern nur nach zu erkundenden Wegen." Dabei bemerkt er auch, dass die Glorifizierung und Kommerzialisierung einer kleinen Schar von herausragenden Künstlern den Blick ablenkt von dem, was Kunst auch ist und mehr sein sollte, "nämlich einen wechselseitigen Austausch zwischen Menschen anzuregen, die in verschiedenen Ausschnitten der Wirklichkeit zu Hause sind und unterschiedlich empfinden."
Theodore Zeldin, geboren 1933, lehrte viele Jahre in Oxford Geschichte. Kein Wunder also, liefert er in diesem Werk viel gelehrtes Wissen und orientiert sich dabei ebenso an den grossen Namen, wie er das bei den Kunstdebatten kritisiert. Ausserordentlich anregend ist ihm dabei die Auseinandersetzung mit dem Glauben beziehungsweise den Religionen gelungen. "Es gibt keinen Kampf der Kulturen zwischen Christentum und Islam, sondern nur das Aufeinanderprallen von Vorstellungen, die in jeder dieser beiden Religionen zu finden sind."
Dabei macht er auch klar, dass es bei religiösen Auseinandersetzungen oftmals gar nicht um die Religion geht, sondern um die Frage, ob man bereit und fähig ist, ein chaotisches Leben voller Widersprüche und komplexer Abläufe zu akzeptieren oder auf eindeutige und einfache Anweisungen angewiesen ist.
Was mich ganz unbedingt für dieses Buch einnimmt, ist, dass der Autor nicht einfach akademisch referiert, sondern danach trachtet, Wissen aus der Vergangenheit für sein eigenes Leben zu nutzen. So bezeichnet er etwa instinktive Abneigung als den Hauptgrund, weshalb so viele Menschen einander nicht zu schätzen vermögen. Und obwohl das eine universelle menschliche Reaktion sei, gebe es einen anderen Weg, "eine andere, langsamere Reaktion, die auf der Überzeugung beruht, dass man jedes Mal etwas Neues entdecken kann, wenn sich zwei Menschen in Situationen, Stimmungen, Gesprächen oder Herausforderungen begegnen."
Theodore Zeldin stellt Menschen und Ideen aus verschiedenen Jahrhunderten und mit ganz unterschiedlichem Hintergrund einander gegenüber, "um so neue Antworten auf die Fragen zu finden, die die gegenwärtigen Bewohner der Erde umtreiben."
Besonders angesprochen hat mich der chinesische Schriftsteller und Dramatiker Lao She (1899-1966), für den Humor "eine Geisteshaltung" war, die es zu kultivieren galt, um das Leben erträglich zu gestalten. "Dazu gehörte, Leute zu beobachten wie ein Tourist, der alles interessant findet." Ein wunderbar hilfreicher Ratschlag, den ich letzthin (ohne ihn allerdings gekannt zu haben) instinktiv praktizierte, als ich am Bangkoker Flughafen beim Warten auf meinen Flug den Gang meiner Mitpassagiere beobachtete. Die Art und Weise des Gehens ist nicht nur ausgesprochen vielfältig, sie lädt auch zum Schmunzeln ein.
"Lebendig zu sein heisst mehr als nur ein Herz zu haben, das schlägt. Es heisst auch, sich bewusst zu werden, wie andere Herzen schlagen und wie andere im Austausch miteinander denken", meint Zeldin, der mit diesem höchst gelungenen Buch seinen Beitrag leistet, damit wir miteinander ins Gespräch kommen können.
Theodore Zeldin
Gut leben
Ein Kompass der Lebenskunst
Hoffmann und Campe, Hamburg 2016
Theodore Zeldin stellt Menschen und Ideen aus verschiedenen Jahrhunderten und mit ganz unterschiedlichem Hintergrund einander gegenüber, "um so neue Antworten auf die Fragen zu finden, die die gegenwärtigen Bewohner der Erde umtreiben."
Besonders angesprochen hat mich der chinesische Schriftsteller und Dramatiker Lao She (1899-1966), für den Humor "eine Geisteshaltung" war, die es zu kultivieren galt, um das Leben erträglich zu gestalten. "Dazu gehörte, Leute zu beobachten wie ein Tourist, der alles interessant findet." Ein wunderbar hilfreicher Ratschlag, den ich letzthin (ohne ihn allerdings gekannt zu haben) instinktiv praktizierte, als ich am Bangkoker Flughafen beim Warten auf meinen Flug den Gang meiner Mitpassagiere beobachtete. Die Art und Weise des Gehens ist nicht nur ausgesprochen vielfältig, sie lädt auch zum Schmunzeln ein.
"Lebendig zu sein heisst mehr als nur ein Herz zu haben, das schlägt. Es heisst auch, sich bewusst zu werden, wie andere Herzen schlagen und wie andere im Austausch miteinander denken", meint Zeldin, der mit diesem höchst gelungenen Buch seinen Beitrag leistet, damit wir miteinander ins Gespräch kommen können.
Theodore Zeldin
Gut leben
Ein Kompass der Lebenskunst
Hoffmann und Campe, Hamburg 2016
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