Jon Palfreman ist emeritierter Professor für Journalismus an der University of Oregon sowie preisgekrönter Wissenschaftsjournalist. In Stürme im Gehirn erzählt er von seiner Parkinson-Erkrankung. Und gleichzeitig die Geschichte dieser Krankheit, welche Ärzte und Wissenschaftler seit zwei Jahrhunderten zu begreifen versuchen.
Am Anfang stand ein leichtes Zittern der linken Hand. Sein Arzt wollte das genauer abklären lassen, Palfreman selber machte sich keine Sorgen, seine Mutter litt die meiste Zeit ihres Lebens an einem ähnlichen Symptom. Als er die Diagnose Parkinson erhält, steht er unter Schock. Und reagiert mit Verdrängung: Zuerst hält er die Diagnose geheim. Dann verleugnet er sie. Und beginnt, sich selber zu bemitleiden.
Doch dann wird er neugierig, will er seiner Krankheit auf den Grund gehen. Und da er Journalist ist, tut er, was Journalisten so tun. Er liest sich ein. Er befragt Betroffene. Und er befragt Forscher. Natürlich die führenden.
Stürme im Gehirn ist einerseits ein Buch für an Medizingeschichte Interessierte und andererseits ein persönlicher Erfahrungsbericht. Mich hat vor allem letzterer in seinen Bann gezogen.
So sehr eine Diagnose auch immer ein medizinisches Problem bezeichnet, die Auswirkungen gehen häufig über das Medizinische hinaus. Als Palfreman sich in einer Parkinson-Selbsthilfegruppe, wie das dort üblich ist, mit dem Datum seiner Diagnose vorstellte, realisierte er, dass er damit etwas Tiefgehendes zugab: "Die Diagnose hatte eine irreversible Veränderung meiner Identität zur Folge. Als ich die Diagnose erfuhr, ging die eine Version von mir zu Ende, und eine andere begann."
Die Menschen, die die Diagnose Parkinson erhalten, reagieren darauf ganz unterschiedlich. Und auch mit der Krankheit leben sie ganz unterschiedlich. Die Beispiele, die Palfreman aufführt, sind eindrücklich.
Die Geschichte von Thomas Graboys ist mir am meisten unter die Haut gegangen. Anfang der 1990er-Jahre ist er ein glücklich verheirateter Arzt, hat zwei Kinder, ist einer der Stars an der Harvard Medical School und dem Brigham and Women's Hospital. 1993 stirbt seine Frau Caroline an Dickdarmkrebs. Dann bemerkt er, dass sein Körper nicht mehr so funktioniert wie bis anhin. Er merkt es beim Tennisspielen und beim Skifahren. Dazu kommen Schlafstörungen.
"Bald hatte er eindeutige Beweise, dass etwas wirklich nicht in Ordnung war. Er entwickelte einen Tremor und eine gebückte Haltung, die Gleichgewichtsprobleme wuchsen an. Geistige Fehlleistungen und Aussprachefehler nahmen zu. Graboys versuchte seine Krankheit vor Kollegen, Patienten und Freunden und sogar vor der Familie zu verbergen, seine zweite Frau Vicki Tenney eingeschlossen, die er 2002 heiratete."
Als er eines Tages, das war 2003, über den Parkplatz zu seinem Auto ging, rief ihm ein Kollege, der nichts von dem Drama wusste, das sich in Graboys Leben abspielte, zu: "Wer kümmert sich eigentlich um deinen Parkinson?" Graboys, der noch nicht einmal mit Parkinson diagnostiziert worden war, war fassungslos. Sich selber zu betrügen, ging jetzt nicht mehr.
Jon Palfreman
Stürme im Gehirn
Dem Rätsel Parkinson auf der Spur
Beltz Verlag, Weinheim 2016