Mittwoch, 4. Mai 2016

Der Apostel des gesunden Menschenverstands

"Man nennt ihn den Apostel des gesunden Menschenverstands", lese ich im Vorwort von Matthias Matussek zu diesen Essays und das gefällt mir, sehr sogar, denn wenn etwas in unserer Welt der Spezialisten Not tut, dann ist es zweifellos der gesunde Menschenverstand. Nur eben: Wäre dieser verbreiterter, wären ganz viele Spezialisten (unter anderem auch viele Therapeuten) ziemlich überflüssig und das könnte einer der Gründe sein, weshalb die Förderung des gesunden Menschenverstands nicht wirklich gewünscht wird und die vielen einschlägig davon Profitierenden dazu sehen, dass die Dinge bleiben wie sie sind, damit ihre Spezialisten-Pfründe auch weiterhin bestehen.

Noch einmal Matussek: "... Chestertons Stil ist der der leichthändigen Verknüpfung, der Assoziation, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren." Im ersten Essay, "Der gewöhnliche Sterbliche", zeigt sich das darin, dass er sich unter anderem Gedanken zur Pressefreiheit (ein Monopol, keine Freiheit) und zur Demokratie (die Fehler der Wohlunterrichteten sind schlimmer) macht, dabei jedoch immer wieder darauf verweist, worauf es ihm ankommt: das Anprangern des Hochmuts der Gebildeten.

Die Essays handeln vom Lesen ("Gute Literatur ist in erster Linie dadurch nützlich, dass sie den Menschen hindert, 'nur modern' zu sein."), dem frivolen Menschen, vom Lachen ("Das Hauptkennzeichen der allermodernsten Veränderung in der Welt besteht darin, dass sanftere soziale Manieren nicht mit wärmeren sozialen Gefühlen zusammengehen."), der Frage was 'vulgär' ist, und von Anderem mehr.

Meine beiden liebsten Essays sind "Warum die Philosophie wieder auflebt" und "Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte". Der erste ist ein hellsichtiges, witziges und überzeugendes Plädoyer für das klare Denken. Hier ein Beispiel für den Umgang mit dem Wort 'König': "... ich schlage vor, dass es zu den Aufgaben eines Philosophen gehören sollte, bei solchen Wörtern innezuhalten und ihre Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit zu erwägen. Die römische Republik und ihre Bürger verabscheuten bis zuletzt das Wort 'König'. Deshalb erfanden sie das Wort 'Kaiser' und zwangen es auch uns auf. Die grossen Republikaner, die Amerika gegründet haben, verabscheuten ebenfalls das Wort König. Deshalb musste es in besonderen Zusammenhängen wie Stahlkönig, Ölkönig oder Schweinefleischkönig wieder auftauchen. Das Geschäft des Philosophen muss nicht darin bestehen, jede Neuerung zu verdammen oder eine Unterscheidung zu leugnen. Aber es ist seine Pflicht, zu untersuchen, was ihm oder anderen an dem Wort König missfällt ...".

In "Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte" bezeichnet Chesterton die Egozentrik als "das ungreifbarste und unerträglichste aller geistigen Übel." Psychologen und Soziologen schwätzten über so vieles und meist daran vorbei, wüssten jedoch nur wenig über Ursache und Heilung dieses "fast jedes Familienleben und jeden Freundeskreis" vergiftenden Übels zu sagen. "Kaum ein praktischer Psychologe kann etwas halb so Einleuchtendes sagen, wie die treffsichere alte Regel der Priester, dass der Stolz aus der Hölle stammt."

Gilbert Keith Chesterton
Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte
Essays
Kösel Verlag, München 2016

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