Mittwoch, 25. Mai 2016

Move out of your comfort zone

Move out of your comfort zone.
You can only grow if you are willing
to feel akward and uncomfortable
when you try something new.

Brian Tracy

Mittwoch, 18. Mai 2016

Was am Ende wirklich zählt

Arzt wollte Paul Kalanithi nicht werden. Das wusste er schon früh, denn sein Vater war Arzt und der arbeitete so viel und so hart, dass er ihn selten zu Gesicht bekam. Ein solcher Preis war ihm zu hoch, den wollte er nicht bezahlen. Und wurde dann (natürlich) der gleiche viel und hart arbeitende Arzt wie schon sein Vater.

Doch zuerst machte er seinen Magister in Englischer Literatur, erst dann folgte das Medizinstudium und die Facharztausbildung in Neurochirurgie. Für diese hatte er sich entschieden "sowohl wegen ihrer Verbindung von Gehirn und Bewusstsein als auch wegen ihrer Verbindung von Leben und Tod. Ich hatte angenommen, dass ein Leben zwischen diesen zwei Polen mir nicht nur die Möglichkeit zu mitfühlendem Handeln geben, sondern mich auch zu einem besseren Menschen machen würde."

Wenig überraschend erwies sich die Realität etwas anders als vorgestellt, die hundert Stunden Arbeitszeit pro Woche liessen ihn vor allem funktionieren und sich erschöpft fühlen. Doch damit wollte er sich nicht zufrieden geben. "Als Assistenzarzt war mein höchstes Ideal nicht, Leben zu retten  jeder stirbt einmal – , sondern einem Patienten und dessen Angehörigen das Verstehen von Tod und Krankheit zu erleichtern." Sein Vorbild ist ihm dabei sein Vater.

"Die Neurochirurgie mit ihrer unerbittlichen Forderung nach Perfektion hatte mich gepackt." Wegen zwei Millimetern kann ein Patient vollständig gelähmt sein, wegen eines Millimeters (der Hypothalamus war bei der Entfernung eines Tumors leicht beschädigt worden) wurde aus einem süssen kleinen Jungen ein von Wutanfällen und Fressattacken gepeinigtes Monster.

Es sind spannende Einblicke in seine Arbeit, die Paul Kalanithi gewährt. "Seltsamerweise verliert man im OP jedes Zeitgefühl, ob man nun hektisch rast oder bedächtig vorgeht. Wenn Langeweile, wie Heidegger  es ausdrückte, das bewusste Wahrnehmen des Vergehens von Zeit ist, dann ist eine Operation das Gegenteil."

Er geht auf in seinem Beruf, hat den Eindruck, "all die Einzelstränge wie Biologie, Ethik, Leben und Tod würden sich nun endlich miteinander verbinden, zu einer kohärenten Weltsicht und einem Gefühl dafür, wo mein Platz darin war." Zu diesem Zeitpunkt ist er sechsunddressig, "das Land der Verheissung vor mir". Doch dann erhält er die Diagnose Krebs.

Es geht rapide bergab, die Aussichten sind schlecht, doch dann schlägt die Behandlung an. Er liest viel, hauptsächlich Literarisches, aber auch "Memoiren von Krebspatienten, einfach alle, die je über das Sterben geschrieben hatten." Seine Frau Lucy wird schwanger, Tochter Cady kommt auf die Welt, er kann wieder operieren und hatte schon bald "statt eines Zwölfstundentages wieder einen Sechzehnstundentag. Erneut standen die Patienten ständig im Mittelpunkt meines Denkens."

Unvermutet taucht ein neuer, grosser Tumor in seinem rechten Lungenflügel auf. "Ich war weder wütend noch erschrocken. Es war einfach Realität, genauso wie die Entfernung von der Sonne zur Erde." Am 9. März 2015 stirbt er im Kreis seiner Familie.

Im Nachwort schildert die Ehefrau, eine Ärztin, die letzten Tage ihres Mannes. "Er wollte Menschen helfen den Tod zu verstehen und sich mit ihrer Sterblichkeit auseinanderzusetzen." Sie selber tut das ebenso, offen, aufrichtig und bewegend.

Paul Kalanithi
Bevor ich jetzt gehe
Was am Ende wirklich zählt – Das Vermächtnis eines jungen Arztes
Knaus Verlag, München 2016

Mittwoch, 11. Mai 2016

Der Wurm in unserem Herzen

"Wir entwickeln Charakter und Kultur, um uns mit ihrer Hilfe vor dem niederschmetternden Gewahrwerden unserer grundsätzlichen Hilflosigkeit und der Furcht vor unserem unausweichlichen Tod zu schützen", sagte der Kulturanthropologe und Verfasser von "Die Überwindung der Todesfurcht", Ernest Becker, kurz vor seinem Tod am 6. März 1974 im Alter von neunundvierzig Jahren. Die Autoren Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski haben die intellektuelle Reise Beckers fortgeführt und versucht aufzuzeigen, "bei wie vielen Gelegenheiten sowohl die edelsten als auch die abstossendsten Formen menschlichen Strebens von dem Bewusstsein getrieben werden, dass wir sterblich sind, und darüber nachzudenken, wie wir diese Einsichten zur persönlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung nutzen können." Dabei herausgekommen ist Der Wurm in unserem Herzen. Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Leben beeinflusst.

"Es gibt mittlerweile überzeugende Beweise dafür, dass der Tod in der Tat der Wurm ist, der Menschen das Dasein madig macht", schreiben die Autoren. Brauchte es da wirklich Beweise? Ist das nicht selbstverständlich? Für wissenschaftsgläubige Sozialpsychologen offenbar nicht. Diese wollen jedoch nicht nur zeigen, dass die Angst vor dem Tod eine der Hauptantriebskräfte menschlichen Handelns ist, sondern "dass diese Angst menschliches Handeln weit stärker prägt, als den meisten von uns klar ist."

Sie tun dies anhand vieler spannender Geschichten und darüber hinaus bezugnehmend auf zahlreiche Untersuchungsergebnisse. Auch wenn ich ihren Glauben an die Aussagekraft von Fragebogen und Laborstudien nicht teile, ihre vielfältigen Ausführungen (etwa zum Narzissmus) finde ich höchst anregend und instruktiv.

"Das positive Gefühl für den eigenen Wert ist Grundvoraussetzung für menschliches Handeln ... Im Unterschied zum Pavian, der allein vom Futter lebt, ernährt sich der Mensch vor allem von seiner Selbstachtung", meint der eingangs zitierte Ernest Becker. Doch was ist eigentlich ein gutes Selbstwertgefühl? Und worin zeigt es sich? "Es bedeutet, mit sich im Einklang zu sein, sich in seiner Haut wohlzufühlen und davon überzeugt zu sein, dass man ein wertvoller Mensch ist."

Ein gesundes Selbstwertgefühl bietet dem Menschen Schutz vor seinen tiefsten Ängsten. Soweit so gut und was sollen jetzt die tun, denen die Selbstachtung abgeht? "Eine Strategie besteht darin, Menschen zu einem vielschichtigen Selbstbild zu ermuntern." Unsere Identität besteht aus unterschiedlichen Aspekten und diese wiederum entsprechen unterschiedlichen sozialen Rollen. So kann etwa ein toller Anwalt ein schlechter Fussballspieler und ein guter Vater ein miserabler Mechaniker sein.

"Ein anderer Ansatz ist die Schaffung von sozialen Rollen und Chancen für Menschen, die anderweitig ausgegrenzt und gering geachtet blieben. So ist etwa ein junger, kognitiv beeinträchtigter Autist mit zerebraler Kinderlähmung in den herkömmlichen Schulen und im organisierten Freizeitsport nie gut klargekommen. Als er jedoch das Schwimmen entdeckte, wurde er zu einem der schnellsten Brustschwimmer der Welt.

Erfolg als Lösung? Und der Massstab sind die anderen? Mir scheint das wenig überzeugend, inspirierender finde ich das Beispiel der jungen Frau, die nicht bereit ist, sich stigmatisieren zu lassen und ganz einfach tut, was und wie es ihr gefällt. Dazu gehört auch, sich beim Schulessen, das ihr schmeckt, zu bedienen. Andere Schüler verschmähten das Gratis-Schulessen, weil es sie in ihren Augen zu Bedürftigen stempelte.

Die Autoren gehen auch der Frage nach, wie unsere Vorfahren mit dem Tod umgegangen sind. Diese "erschufen ein übernatürliches Universum, das ihnen ein Gefühl der Kontrolle über Leben und Tod vermittelte". Und sie versuchten, wie auch wir Heutigen, unsterblich zu werden, sei es mittels Alchemie, Wissenschaft oder symbolisch (durch das, was wir zurücklassen). Für Woody Allen ist das allerdings keine Lösung: "Ich möchte nicht durch meine Arbeit unsterblich werden, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe."

Auch wenn, wie die drei Autoren behaupten, nicht der Tod selbst der Wurm in unseren Herzen ist, sondern "das Wissen darum, dass wir sterben müssen", bleibt die Frage, wie wir am besten damit umgehen sollen. Der Verstand hilft verblüffend wenig. "Todesangst mag nicht vernünftig sein – aber wir sind es genauso wenig."

Letztlich bleibt uns nur, unsere Vergänglichkeit zu bejahen. "Seit der Antike wissen Theologen und Philosophen, wie wichtig es ist, die eigene Vergänglichkeit anzunehmen, um so die zerstörerischen Folgen unbewusster Todesängste aufzufangen und die Wertschätzung des Lebens im Alltag zu steigern."

Sheldon Solomon / Jeff Greenberg / Tom Pyszczynski
Der Wurm in unserem Herzen
Wie das Wissen um unsere Sterblichkeit unser Leben beeinflusst
DVA, München 2016

Mittwoch, 4. Mai 2016

Der Apostel des gesunden Menschenverstands

"Man nennt ihn den Apostel des gesunden Menschenverstands", lese ich im Vorwort von Matthias Matussek zu diesen Essays und das gefällt mir, sehr sogar, denn wenn etwas in unserer Welt der Spezialisten Not tut, dann ist es zweifellos der gesunde Menschenverstand. Nur eben: Wäre dieser verbreiterter, wären ganz viele Spezialisten (unter anderem auch viele Therapeuten) ziemlich überflüssig und das könnte einer der Gründe sein, weshalb die Förderung des gesunden Menschenverstands nicht wirklich gewünscht wird und die vielen einschlägig davon Profitierenden dazu sehen, dass die Dinge bleiben wie sie sind, damit ihre Spezialisten-Pfründe auch weiterhin bestehen.

Noch einmal Matussek: "... Chestertons Stil ist der der leichthändigen Verknüpfung, der Assoziation, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren." Im ersten Essay, "Der gewöhnliche Sterbliche", zeigt sich das darin, dass er sich unter anderem Gedanken zur Pressefreiheit (ein Monopol, keine Freiheit) und zur Demokratie (die Fehler der Wohlunterrichteten sind schlimmer) macht, dabei jedoch immer wieder darauf verweist, worauf es ihm ankommt: das Anprangern des Hochmuts der Gebildeten.

Die Essays handeln vom Lesen ("Gute Literatur ist in erster Linie dadurch nützlich, dass sie den Menschen hindert, 'nur modern' zu sein."), dem frivolen Menschen, vom Lachen ("Das Hauptkennzeichen der allermodernsten Veränderung in der Welt besteht darin, dass sanftere soziale Manieren nicht mit wärmeren sozialen Gefühlen zusammengehen."), der Frage was 'vulgär' ist, und von Anderem mehr.

Meine beiden liebsten Essays sind "Warum die Philosophie wieder auflebt" und "Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte". Der erste ist ein hellsichtiges, witziges und überzeugendes Plädoyer für das klare Denken. Hier ein Beispiel für den Umgang mit dem Wort 'König': "... ich schlage vor, dass es zu den Aufgaben eines Philosophen gehören sollte, bei solchen Wörtern innezuhalten und ihre Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit zu erwägen. Die römische Republik und ihre Bürger verabscheuten bis zuletzt das Wort 'König'. Deshalb erfanden sie das Wort 'Kaiser' und zwangen es auch uns auf. Die grossen Republikaner, die Amerika gegründet haben, verabscheuten ebenfalls das Wort König. Deshalb musste es in besonderen Zusammenhängen wie Stahlkönig, Ölkönig oder Schweinefleischkönig wieder auftauchen. Das Geschäft des Philosophen muss nicht darin bestehen, jede Neuerung zu verdammen oder eine Unterscheidung zu leugnen. Aber es ist seine Pflicht, zu untersuchen, was ihm oder anderen an dem Wort König missfällt ...".

In "Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte" bezeichnet Chesterton die Egozentrik als "das ungreifbarste und unerträglichste aller geistigen Übel." Psychologen und Soziologen schwätzten über so vieles und meist daran vorbei, wüssten jedoch nur wenig über Ursache und Heilung dieses "fast jedes Familienleben und jeden Freundeskreis" vergiftenden Übels zu sagen. "Kaum ein praktischer Psychologe kann etwas halb so Einleuchtendes sagen, wie die treffsichere alte Regel der Priester, dass der Stolz aus der Hölle stammt."

Gilbert Keith Chesterton
Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte
Essays
Kösel Verlag, München 2016