"Eine kleine Geschichte des Drogenkonsums – so fragmentiert, als hätte man selbst nicht mehr alle Sinne beisammen", hat die Süddeutsche Zeitung Breites Wissen ... nachgelegt von Ingo Niermann & Adriano Sack treffend charakterisiert. Und der Verlag informiert: "Die komplett durchgesehene, um 50% erweiterte Neuauflage des 2007 erstmals erschienenen Klassikers Breites Wissen ist noch um vieles einmaliger; viele neue Drogen, viele neue Nutzer, viel neues Wissen in neuer, noch rauschhafterer Gestaltung."
Das ist schön gesagt und sicher wahr, obwohl, ich kann das nicht wirklich beurteilen, ich kenne den Klassiker von 2007 (und da dachte ich immer, bis etwas zum Klassiker werde, müssten schon etwa zehn Jahre vergehen ...) nicht. Andererseits haben seither sowohl Drogen als auch Nutzer zweifellos zugenommen, schliesslich leben wir in einer Konsumgesellschaft, die sich ja – man höre nur den Wachstum, Wachstum fordernden Politikern zu – am "Immer mehr, und bitte von allem" orientiert.
Breites Wissen ... nachgelegt liefere "reines Entertainment und reine Information", lese ich unter anderem in der Verlagsinformation. Das stimmt nicht nur, das trifft es sogar sehr genau.
War die Einnahme von Drogen einstmals mit Avantgarde und Rebellentum verbunden, ist sie heutzutage so recht eigentlich normal. "Eine Fernsehserie über Tony Blairs New Britain wäre so wenig ohne Kokain denkbar wie 'Mad Men' ohne Zigaretten und harte Drinks." Und, so die beiden Autoren: "Die meisten, die heute illegale Drogen nehmen, sind nicht süchtig."
Das meint nicht, dass Breites Wissen ... nachgelegt den Drogenkonsum propagiert, es bietet ganz einfach eine recht ungewöhnliche Sicht auf die seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer, wie der Untertitel so schön heisst: unterhaltend, witzig und informativ. Unter dem Titel "Drogen kann man nicht besiegen" wird unter anderem die Meinung vertreten, dass die Legalisierung der Drogen sinnvoll wäre. Und überhaupt, und auch das steht in diesem Buch: "Drogen müssen nicht sein."
Was man hier vorfindet ist ein Sammelsurium von gänzlich Unterschiedlichem. Klatsch (Prominente und ihre Drogenprobleme) und Kuriosa (eine Auflistung der deutschsprachigen Kokainlieder), eine kleine Drogenkunde wie auch Angaben über "angebliche Höchstdosierungen, die überlebt wurden" (falls nicht, wären sie schwer zu berichten gewesen), literarische Drogenklassiker sowie Fantasie-Drogen aus Literatur, Film und Fernsehen.
Breites Wissen ... nachgelegt ist ein wunderbar unterhaltendes Buch; selten, dass man dermassen amüsant über Drogen und ihre Nutzer (insgesamt 34 werden porträtiert) aufgeklärt wird.
Als Nutzer Nummer 23 figuriert Brian Wilson, dessen Autobiografie offenbar von seinem Therapeuten Eugene Landy mit Hilfe eines People-Redakteurs geschrieben wurde, "um ein möglichst positives Bild von seiner Arbeit zu vermitteln." Übrigens nimmt der 1942 geborene Wilson heute "nur noch milde Psychopharmaka, komponiert und geht auf Tournee. Er gilt als 'gut eingestellt'".
Breites Wissen ... nachgelegt ist auch auf vielfältige Art lehrreich. Und ganz besonders – jedenfalls für mich – die Rubrik "Bedeutende und weniger bedeutende Theorien, die unter Drogeneinfluss entstanden". Dazu gehören neben den Selbstbetrachtungen des Marc Aurel (Opium – daher sein stoischer Gleichmut) auch die Psychoanalyse des Sigmund Freud ("Unerschütterlich ist der Glaube des vom Kokain Berauschten, er müsse sich nur mit allem, was ihm durch den Kopf geht, vor einem Gegenüber offenbaren, dann werde alles gut").
Wussten Sie übrigens wogegen Heroin hilft?
Husten, schlechte Laune, Aggressivität, Angst, Schmerzen, Schlafstörungen, Durchfall, Übergewicht, Atmen, Folterqualen, Lügen.
Und noch dies: es gibt in dem Buch auch eine Rubrik "Drogenfreie Musiker". Aufgeführt ist darunter gerade mal ein Name: Frank Zappa.
Fazit: Ein Genuss. Unbedingt empfehlenswert!
Ingo Niermann & Adriano Sack
Breites Wissen ... nachgelegt
Die seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer
Rogner & Bernhard, Berlin 2015
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