Mittwoch, 30. September 2015

Alles im Leben ist wichtig

Ich glaube, alles im Leben ist wichtig. Der schlimmste Verlust wäre, nicht bei dieser grossen Party dabei gewesen zu sein. Ein befreundeter Priester erzählte mir einmal von den Erfahrungen, die er am Sterbebett vieler seiner Gemeindemitglieder gemacht hat. Es waren nicht ihre Sünden, die sie bereuten, sondern das, was sie im Leben verpasst hatten.

James Lee Burke

Mittwoch, 23. September 2015

Was Therapeuten falsch machen

"Der Kunst der Gesprächsführung und dem erfolgreichen Umgang mit kleineren Fehlern oder Schnitzern, die eine Beziehung belasten können, wird nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt", schreibt Arnold A. Lazarus, emeritierter Professor für Psychologie an der Rutgers University im Vorwort zu Was Therapeuten falsch machen.

Das erstaunt nicht wirklich, denn das Ziel akademischer Ausbildungen ist die Erlangung eines offiziell anerkannten Diploms und nicht die Befähigung zur Hilfeleistung bei realen Problemen.

"Der vielleicht beste Rat, den ich erhielt", schreibt Lazarus, "kam von einem Supervisor während meiner Assistenzzeit an einer Tagesklinik in London. 'Sei du selbst', sagte er, 'aber überprüfe deine Gefühle.'" Zweifellos ein guter Rat, doch dass ausgebildete Therapeuten nicht selber drauf kommen, erstaunt schon etwas.

"Wir sind zutiefst überzeugt, dass Behandlungsentscheidungen auf den besten verfügbaren Forschungsergebnissen basieren sollten", schreiben die Autoren von Was Therapeuten falsch machen, Bernard Schwartz und John V. Flowers.

Wer würde da auch widersprechen wollen? Nur eben: diese Überzeugung gründet in der Annahme, dass die therapeutische Arbeit eine von der Wissenschaft geprägte und damit messbar sei. Ich teile diese Auffassung nicht, halte standardisierte Vorgehensweisen für ungeeignet, um seelische Leiden zu behandeln.

Gleichzeitig finde ich Forschungsergebnisse oft nützlich. "Theoretische Ansätze sind kein 'religiöses Dogma'; sie in Frage zu stellen wenn neue Erkenntnisse vorliegen, ist also keine Blasphemie." So haben etwa Untersuchungen gezeigt, "dass Klienten, deren Therapeuten (oder sie an sich selbst) eine Co-Abhängigkeit festgestellt hatten oder die bei Testverfahren hohe Werte bei den Merkmalen des Syndroms erzielten, eher die Diagnosekriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllten."

Was Therapeuten falsch machen listet mehr als fünfzig Fehler auf. Das beginnt mit "Sie ignorieren die Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen des Klienten" und endet mit "Die Kraft menschlicher Resilienz unterschätzen."

Bei nicht wenigen der aufgeführten Fehler staunt der Laie über die offenbar geringe Selbstreflexion einiger Therapeuten. Und auch darüber, dass die Autoren es nötig finden, für vollkommen Selbstverständliches Studien anzuführen. "Daraus lässt sich schliessen, dass wir Therapeuten genauso talentiert in Sachen Verleugnung, Selbsttäuschung und Rationalisierung (je nach Denkschule) sind wie unsere Klienten."

Nun gut, wir leben in Zeiten der Spezialisierung. Gesunder Menschenverstand ist da wenig gefragt, denn darauf lässt sich kein Fachgebiet aufbauen. Ausser natürlich, man versieht ihn mit einem möglichst gefragten Label wie zum Beispiel Therapie. "Am Ende ist alles eine Frage des Marketings", sagte mir mal ein Finanzspezialist aus New York.

Was Therapeuten falsch machen ist ein nützliches Buch, weil es auf Selbstverständlichkeiten aufmerksam macht, die allzu oft wenig selbstverständlich sind. Etwa dass Patient und Therapeut zusammenarbeiten müssen. Oder dass der Beziehungsaufbau wichtiger ist als die Technik.

Was mich überrascht hat: Was Therapeuten falsch machen ist zwischendurch auch ein unterhaltsames Buch. "Wie sollten wir – als Therapeuten – vorgehen, um einzuschätzen, wie die Klienten selbst ihre Probleme einschätzen? So wie Stachelschweine Liebe machen – mit grosser Vorsicht und auch mit einer ordentlichen Portion Skepsis."

Bernard Schwartz / John V. Flowers
Was Therapeuten falsch machen
50 Wege, Ihre Klienten zu vergraulen
Klett-Cotta, Stuttgart 2015

Mittwoch, 16. September 2015

Wer heute ein Diplom besitzt ...

Wer heute ein Diplom besitzt, das ihn dazu befähigt, Kinder zu erziehen, der kann es. Wer kein Diplom hat, kann es nicht. Fachwissen ist alles, die praktische Erfahrung zählt wenig. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil die Behörde damit sehr weit entfernt ist von ihrer Klientel. Sie besteht aus Fachleuten mit sauberen Lebensläufen. Diese entscheiden über Menschen, die ein Chaos haben. Eine Amtsperson mit Lebenserfahrung hat ein ganz anderes Einschätzungsvermögen, eine ganz andere Art, mit solchen Leuten zu reden. Ich beobachte auch, dass sich Kesb-Mitarbeiter gegenüber Süchtigen und ihren Angehörigen auf eine höhere Stufe stellen. Das machen sie wohl auch, um sich abzugrenzen. Aber es kann kontraproduktiv sein, weil sich das Gegenüber dann zurückzieht.

Michelle Halbheer
Autorin von "Platzspitzbaby"
in einem Interview im Zürcher Tagesanzeiger

Mittwoch, 9. September 2015

Leben mit Epilepsie

"Die Welt soll davon erfahren. Von Epilepsie. Von Epileptikern. Von Anfällen. Und von unserem am Ende doch ganz wunderbaren und meist furchtbar normalen Leben damit."

Sarah Elise Bischof ist zwanzig und hat gerade die Schule hinter sich, als sie einen Epilepsieanfall erleidet. Und dann noch einen. Und noch einen. Das sei jetzt zehn Jahre her, schreibt sie in ihrem Erfahrungsbericht, dem Roman Panthertage. "Um genau zu sein: zehn Jahre, neun verschiedene Antiepileptika, 24 Klinikaufenthalte in acht Kliniken, sieben ambulante Neurologen, zahllose Anfälle, Nebenwirkungen und EEGs".

Mit einem EEG werden die Gehirnströme gemessen. Dabei wird nach Auffälligkeiten gesucht. Man will herausfinden, ob die Medikation wirkt, oder ob "trotz der Medikation Unruhen bestehen. Auch bestimmte Herde können so lokalisiert werden."

Bei der Epilepsie handelt es sich um vorübergehende Funktionsstörungen im Gehirn, die epileptische Anfälle auslösen. Solche wirken häufig dramatisch, klingen jedoch meist nach wenigen Minuten ab.

Epilepsie assoziieren wohl die meisten mit "zappelnden und zuckenden, mit Schaum vorm Mund und verzerrtem Gesicht" Anfällen, doch gibt es offenbar "zahlreiche unterschiedliche Formen und nicht nur die eine Epilepsie."

Grundsätzlich könne man zwischen fokalen und generalisierten Epilepsien unterscheiden, schreibt die im schwedischen Malmö aufgewachsene und heute in München lebende Sarah Elise Bischof. "Bei einer fokalen Epilepsie ist im Gehirn ein bestimmter Herd auszumachen, in dem die Anfälle sich abspielen, manche auch ohne Bewusstseinsverlust. Bei den grossen, generalisierten – meinen – finden die Anfälle hingegen im gesamten Hirn statt."

Die Form, unter der die Autorin leidet, geht auf eine Fehlbildung in der Hirnrinde zurück und äussert sich in Krampfanfällen sowie dem Verlust des Bewusstseins. "Es gibt Dinge, die Anfälle mit sich bringen, an die ich mich gewöhnt habe. Doch das Gefühl, nach einem Anfall im nassen Bett aufzuwachen oder mehrere Stunden im eigenen Urin zu schlafen", sei jedes Mal so unangenehm wie beim allerersten Anfall.

Dann tritt Stefan in Sarahs Leben. Die beiden verlieben sich. Als sie ihm von ihrer Epilepsie erzählt, zeigt sich Stefan verständnisvoll, fühlt sich dann jedoch bei ihrem ersten Anfall völlig überfordert und nimmt Reissaus.

"Von Anfällen kann ich mich erholen. Von Stefans erniedrigendem Verhalten hingegen nicht. 'Er hat mich einfach so liegen lassen', hallt es Tag für Tag durch meinen Kopf." Doch will sie ihm sein Verhalten trotzdem nicht übel nehmen, denn: "Ich weiss, wie Anfälle aussehen, und wenn er das nicht ertragen kann, dann ist das menschlich und nur richtig, dass er ehrlich zu mir war."

Und wie kommt das Buch zu seinem Titel Panthertage? Das ist Sarah Elise Bischofs Bezeichnung für Anfallstage und Post-Anfallstage. "Ein Panther ist düster, geheimnisvoll, gefährlich aber ebenso stolz und stark. Anfälle brechen wie ein Raubtier aus dem Nichts, aus der Dunkelheit über mich herein, greifen mich an, drohen mich zu zerfressen. Diese Tage sind schwarz wie ein Panther und unheimlich und dennoch gehe ich aus allen überstandenen Panthertagen noch stärker und stolzer hervor."

Sarah Elise Bischof
Panthertage
Mein Leben mit Epilepsie
Eden Books, Berlin 2015

Mittwoch, 2. September 2015

Nothing is enough

I begin pacing back and forth, like a zoo animal. "Nothing is enough, nothing is ever enough. It's like there's this pit inside of me that can't be filled, no matter what. I'm defective."
"You're not defective. You're an alcoholic," he says, as if this neatly explains everything. Which, of course, it does.

Augusten Burroughs
Dry. A Memoir