Es gehöre zum Wesenskern des Zen, möglichst direkt auf das Wesentliche zuzusteuern, schreibt Stephan Schuhmacher und genau das tut er dann auch selber. "Die Frage ist also, was die Überlieferung des Zen hier und jetzt für jeden Einzelnen von uns existenziell bedeutet. Kann sie mir helfen, meine Lösung zu finden?"
Eingeleitet wird Zen. Die unlehrbare Lehre mit der Schilderung des Weges, den der Königssohn Siddhãrtha gegangen ist. Er hatte alles: er war reich, genoss Privilegien, hatte eine junge, schöne Frau und einen gesunden Sohn. Er besass all das, was der moderne Kapitalismus den Erfolgreichen zu bieten vermag. Dass das alles nicht glücklich macht, das wissen wir alle, doch etwas zu wissen, hilft meist nicht viel und so rennen wir denn lieber weiter, bevor uns unser Wissen zu stark erschreckt.
Anstatt wie die meisten von uns weiter zu rennen, ist Siddhãrtha ausgestiegen, hat sich auf die Suche gemacht, ausprobiert, was es ausprobieren gab und schliesslich erschöpft aufgegeben. Denn es gab nichts zu finden. "Wer bei dem innezuhalten vermag, was er nicht weiss, der hat das Höchste verwirklicht."
Stephan Schuhmacher erzählt unter anderem davon, wie das Zen von Indien nach China gelangte, doch ihm geht es nicht um die Historie, nicht um die intellektuelle Auseinandersetzung mit den uns bedrängenden Fragen. Ihm geht es um eine grundlegende (nicht auf das Zen beschränkte) menschliche Erfahrung, die uns zeigt, "dass die Phänomene nicht die absolute Wirklichkeit, sondern Illusionen, Projektionen des eigenen Gehirns sind." Auch die moderne Hirnforschung weist übrigens in diese Richtung.
Toll an diesem Buch ist, wie der Autor Ereignisse von vor Jahrhunderten in Bezug zur Gegenwart setzt. "Der Markt der Heilsversprechungen und Weisheitslehren war vor 2500 Jahren in Indien zwar längst nicht so bunt und vielfältig wie der westliche spirituelle Supermarkt unserer Tage, aber er hatte doch eine Vielzahl von unterschiedlichen Lehren und Techniken anzubieten, die zum Seelenfrieden führen sollten. Siddhãrtha probierte sie alle – und er schonte sich nicht dabei."
Genauso toll ist, dass Stephan Schuhmacher auf Zitate hinführt, die überzeugend darlegen, worauf es beim Zen ankommt. Etwa: "Erleuchtung ... bedeutet zu wissen, ... dass jedes Ding von Natur aus die ganze Wahrheit verkörpert." Und: "Es gibt nichts, was zu übermitteln wäre. Es kommt nur auf die Einsicht in das eigene Wesen an."
Im Zen wird die Non-Dualität, die Nicht-Zweiheit, angestrebt. Diese kann nur erfahren werden. "Die Subjekt-Objekt-Spaltung wird als die Wurzel allen Übels und aller Leiden des Menschen angesehen."
Zen. Die unlehrbare Lehre ist auch deswegen ein beeindruckendes Buch, weil es eindrücklich darlegt, dass Zen-Meister keineswegs als abgehobene Esoteriker unterwegs sind, sondern sich nicht zuletzt durch ihre profunde Menschenkenntnis auszeichnen. "Ein Meister des Zen erkennt schon allein an der Körpersprache und dem gesamten Habitus eines Menschen, der ihm gegenübertritt, dessen Bewusstseinszustand."
Vor allem jedoch macht Zen. Die unlehrbare Lehre Mut, sich auf sich selber einzulassen und seinen eigenen Weg zu gehen. "Nicht umsonst hatte bereits Buddha Shãkyamuni in seiner Rede an die Kalamer betont, niemand solle nur aufgrund von Rang und Ansehen eines Lehrers dessen Lehren übernehmen, ohne deren Wahrheitsgehalt aus eigener Erfahrung bestätigen zu können."
Neu ist, was Stephan Schuhmacher erzählt, nicht, doch wie er es erzählt – leicht, einfach, klar und mitunter witzig –, das nimmt mich sehr für diesen Text ein. Dazu kommt, dass dieses Buch schön gestaltet, mit Tuschebildern und Kalligraphien illustriert sowie einem ansprechenden Umschlag versehen ist und gut in der Hand liegt.
"Eine Pforte zur Erfahrung des Zen" schreibt der Verlag. Und genau das ist es!
Stephan Schuhmacher
Zen. Die unlehrbare Lehre
Kösel Verlag, München 2015