Mittwoch, 18. Juni 2014

Schluckspecht

"Hätte ich besser auf Tante Luci gehört, es wäre nicht so schlimm mir mir gekommen. Hätte ich die Augen fest verschlossen und meine Nase gut abgedichtet, wie es die Delphine tun, wenn sie abtauchen, und nicht an Tante Lucis Likörglas gerochen, als Tante Luci es mir unter die Nase hielt, ich wäre vielleicht davongekommen." Nur hat er das eben nicht und ist deswegen nicht davongekommen. Vielleicht, wie Peter Wawerzinek treffend schreibt, denn was wissen wir denn schon.

Andrerseits weiss und/oder merkt und/oder spürt er doch einiges. Dass er anders trinkt als die anderen aus seiner Gruppe. "Ich kann nicht aufhören. Ich greife grade aus dem Koma erwacht zur Flasche, trinke weiter, wo die anderen Mostfreunde längst aufgehört haben."

Zwei Seiten vorher schreibt er: "Noch bin ich weit entfernt von der Sucht der Süchtigen. Noch sitze ich mit meinen Freunden im Mostkeller. Jeder Tag ein Festtag, wenn wir zusammen sind. Noch werden wir nahezu zeitgleich betrunken. Noch erwachen wir nahezu gleichzeitig und trinken weiter. Es macht Spass zu trinken. Trunkenheit ist eine fröhliche Reise mit heiteren, urkomischen, lustigen Zwischenstationen, wenn einer aus dem Rhythmus kommt, wie ein Ausserirdischer zu lallen beginnt, bringt das alle anderen zum Lachen. Schluckspecht zu sein ist da noch ein Kosename zum jugendlichen Spiel."

Dass und wann und wie man diese unsichtbare Linie, welche die Alkoholiker von denen trennt, die nicht saufen müssen, überschreitet, können die Betroffenen bestenfalls im Nachhinein erkennen. Dass er alkoholgefährdet gewesen ist, scheint Peter Wawerzinek schon recht früh erkannt zu haben. "Mich reizt das Zeug mehr als die anderen. Ich greife viel öfter zu ... Ich bin durch den Büffelwodka zum Alkoholiker geworden. Eine Zeitlang kann ich meine Sucht geheim halten ... Aber dann erleide ich durch den Büffelwodka doch den ersten heftigen Filmriss ...".

Es ist die Zeit der jugendlichen Sehnsüchte, der Musik, die einen in andere Sphären hievte (Something in the Air von Thunderclap Newman, Son of a Preacher Man von Dusty Springfield, La poupée qui fait non von Michel Polnareff), als der schüchterne Peter Wawerzinek, der für einige bereits "ein  elendiger Säufer" ist, anfängt, jeden Tag in die Kneipe zu gehen und häufig so besoffen ist, dass er sein Überleben weniger seinem Willen als "eher uralten Säuferinstinkten" verdankt.

"Am Anfang ist der Säufer noch Mensch. Am Ende ist dieser Mensch nur noch Säufer", notiert er einmal und säuft weiter, verflucht seine Inkonsequenz. An hellsichtigen Erkenntnissen mangelt es ihm nicht: "Suff ist Vergessen. Suff nimmt das Leid anderer Menschen nicht wahr. Suff erzeugt Wut auf sich. Suff bringt einen in Schwierigkeit. Man kennt keine Beschaulichkeit mehr ...".

Der Suff beginnt seinen Alltag zu bestimmen, er ist sich dessen bewusst, gibt weiterhin Unsummen für seinen Alkoholkonsum aus und landet schliesslich im Ulenhof, einer therapeutischen Einrichtung für hoffnungslose Fälle.

"Einmal Alkoholiker immer Alkoholiker, wiederholt der Doktor. Säufer sind ständig in Gefahr, auch wenn sie sich geheilt vorkommen. Von heute auf morgen mit dem Trinken aufhören, sagt der Doktor, bedeutet noch nicht, es für den Rest des Lebens geschafft zu haben. Man ist ein Gefangener in seiner Trockenzelle, von angsteinflössenden Suchtträumen heimgesucht ... Davon, die Säufer radikal trocken zu setzen, hält der Doktor nichts. Je länger der Trockenzustand anhält, desto grösser sind die Gefahren. Man schafft es, jahrelang trocken zu bleiben.Und dann, durch allzu grosse Freude, durch Kummer, Trauer, Gram, greift man nach dem einen Schnaps. Und schon beginnt alles mit diesem Einglasschadetnicht wieder von vorne und endet heilloser als je zuvor."

Ich halte die Überzeugung "Je länger der Trockenzustand anhält, desto grösser sind die Gefahren" für ausgemachten Blödsinn, denn es ist nicht die Länge der Trockenheit, die zählt, sondern die tägliche Lebensqualität. Mit dem Saufen aufzuhören ist für Säufer die Grundbedingung, ohne die ein anderes, neues Leben nicht möglich ist.

Peter Wawerzinek sieht das anders. In einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" meinte er, er habe sich  die "Drei-Drinks" angewöhnt. "Das heisst also drei Gin Tonic, wenn ich abends weg bin, oder höchstens drei kleine Sektgläser. Immer drei, drei, drei. Wähle 333 am Telefon. Das hat sich dann so ergeben mit diesem Therapeuten, mit dem Dr. Gredig, der so ein Hippie-Typ gewesen ist und das Problem von mir gleich erfasst hat. Vollalkoholiker auf ein Mass zurückzubringen, das ist schon ein Erfolg. Ich will nicht trocken sein ..."

Nur eben: es geht nicht darum, trocken zu sein. Es geht darum, sich mit sich selber wohlzufühlen. Und ohne sich dabei selber zu betrügen. Das "Absturz"-Kapitel trägt den Untertitel: "Das Gefährlichste am Alkohol ist der Alkohol."

Peter Wawerzinek
Schluckspecht
Galiani Berlin 2014

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