Mittwoch, 21. August 2013

Piet C. Kuiper: Seelenfinsternis

Diesem Werk ist ein einfühlsames Geleitwort des Herausgebers der Reihe "Geist und Psyche" (von Nina Kindler 1964 begründet), Willi Köhler, vorangestellt, der unter anderem festhält: "Zu allen Zeiten waren Depressive, oder Melancholiker, wie sie früher hiessen, unbequem, denn sie erinnerten ihre Mitmenschen an die Widersprüche und Gebrechlichkeiten der Welt. Moderne Psychologen sind sogar der Auffassung, Depressive seien die einzigen Realisten, weil sie die Welt sehen, wie sie ist, und mit diesem Blick kann man nur schwer leben." Der Autor von Seelenfinsternis, Piet C. Kuiper, ehemaliger Professor für Allgemeine Psychopathologie und Klinische Psychiatrie an der Universität Amsterdam, drückte es in seinem Vortrag an den Lindauer Psychotherapie-Wochen so aus: "Es kann niemals Licht werden, wenn wir uns nicht der Wahrheit stellen, dass wir von tiefster Finsternis bedroht sind."

Eines Nachts muss er aufstehen, er verliert das Bewusstsein und schlägt rückwärts auf den Boden. Als er aufwacht, verdrängt er den Vorfall, er will nicht krank sein. Er leidet unter Kopfweh, dann wiederum empfindet er seinen Kopf als voller Watte, hat den Eindruck, er sehe nicht mehr wirklich, fühlt sich beständig müde. Sein Internist diagnostiziert eine Virusinfektion.

"In meinem Leben vollzog sich allmählich eine eigenartige Veränderung. Die Intensität meines Erlebens wurde schwächer. Die innere Melodie erklang nicht mehr, Erlebnisse verloren an Bedeutung." Er kann nicht mehr malen (im Buch finden sich zahlreiche eindrückliche Beispiele seines Maltalents), verliert das Interesse an Kriminalromanen und Philosophie; er schläft viel, fühlt sich energie- und antriebslos. Er nimmt ein Mittel gegen Wahnvorstellungen. Weder Antidepressiva noch Antipsychotika helfen, Schlafmittel lösen Verwirrung aus. Trotz seines unerträglichen Zustandes denkt er nicht an Selbstmord. "Ich fürchtete mich viel zu sehr vor dem Tod. Dann würde ich vor Gott erscheinen müssen, und der würde mich in die ewige Verdammnis stossen."

Es folgt ein Aufenthalt in der Klinik, gefolgt von eineinhalb Jahren zu Hause und einem zweiten Klinikaufenthalt. Der Gedanke,alles verpfuscht zu haben, verfolgt ihn. Er landet in einer eigentlichen Schuldhölle: "Ich hatte auch meinem Jugendfreund recht gegeben, der mir geschrieben hatte: 'Du hast in Deinem Leben nur an Dich selbst gedacht, nur Dich selbst gesehen, und andere hast Du Deinen Interessen und Deinen Vergnügungen geopfert.'"

Besonders eindrücklich und bewegend sind die Stellen, in denen er über sein inneres Ringen, seinen Widerstand und Kampf gegen seine Schuldgefühle und Selbstvorwürfe berichtet: "Ein Übermass an Schuldgefühlen kann dazu führen, dass man die vielen Gaben, die man nicht genutzt hat, betrauert und dadurch die Zeit, die noch vor einem liegt, vertut und so ein Schicksal auf sich herabbeschwört, das dem des Alkoholikers gleicht, der zu argumentieren pflegt: Ich höre nicht auf zu trinken, denn dann hätte ich schon eher aufhören können."

Was ihm schlussendlich hilft, ist Tylciprin, ein Medikament, von dem er selber mit Nachdruck abgeraten hatte. Und was ihm auch hilft: sich auf das Hier und Jetzt zu beschränken und zu handeln. "Ich tat das, was auf der Hand lag, was andere gern wollten und was ich selbst gern tat. Ich schaute nicht nach innen, fragte mich nicht, wie es in meiner Seele aussah. Es gibt keinen Weg zu sich selbst als den über andere Menschen und über Aktivitäten."

Piet C. Kuiper
Seelenfinsternis
Die Depression eines Psychiaters
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010

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