Sonntag, 25. November 2012

Depression! Wie helfen?

Wer sich mit seelischen Krankheiten auseinandersetzt, wird mit der Zeit feststellen, dass viele Bücher sich nicht an die Direkt-Betroffenen, sondern an die Angehörigen richten. Ganz so, als ob Angehörige der Hilfe mehr bedürften als Direkt-Betroffene. Und das scheint in der Tat so, denn der Kranke, um überleben zu können, hat häufig (nein, nicht immer) gelernt, mit seiner Krankheit umzugehen. Jedenfalls mehr oder weniger. Das kann man von Angehörigen meist nicht sagen: sie sind schnell einmal überfordert, fühlen sich hilflos.

Dieses Buch wurde von zwei Betroffenen geschrieben (und hat schon deswegen meine Sympathie), dem früheren Unternehmer John B. Kummer, der lange Jahre immer wieder Opfer von Depressionen geworden und seit nunmehr 20 Jahren frei von Rückfällen ist sowie dem Sachbuch Autor Fritz Kamer, der durch mehrere Krankheitsfälle in seinem näheren und weiteren Umfeld mit der Problematik vertraut geworden ist.

Die Kernaussage des Buches lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Je mehr wir über die Krankheit Depression wissen (nur etwa die Hälfte der Depressionen werden überhaupt erkannt), desto besser werden wir mit ihr umgehen können. Das gilt sowohl für die an der Krankheit Leidenden als auch für ihre Angehörigen. Und natürlich gilt das auch für diejenigen, die Depressive behandeln.

Ganz entscheidend, so lerne ich, sei die Früherkennung. Dafür findet sich in diesem Buch eine Checkliste 'Innere Symptome der Depression'. Als Symptome finden sich da auf "der psychischen Seite Niedergeschlagenheit, Interesselosigkeit (auch auf sexuellem Gebiet), Antriebslosigkeit, Entscheidungsschwäche, Konzentrationsprobleme, Selbstanklagen, Minderwertigkeitsgefühle, Beschäftigung mit dem Tod (theoretisch oder gar praktisch), auf physischem Gebiet Schmerzen, besonders in Kopf und Bauch, deren Herkunft und Grund nicht auszumachen ist."

Kennzeichnend für den Depressiven (Frauen sind mit gemeint) ist die Überforderung: "Das Erfüllen von Erwartungen wird zum Lebensprinzip, die Überforderung wird zu einem Lebensmuster." Besonders hilfreich fand ich dies: "Was der Kranke uns sagt (wenn er überhaupt mit uns spricht), ist selten das, was er denkt. Wenn wir uns dessen bewusst sind, fällt uns der Umgang mit ihm leichter."

Was können Angehörige tun? Die Depression als Krankheit akzeptieren, sich  zurück halten mit gut gemeinten Ratschlägen, geduldig bleiben und sich nicht überfordern. Denn: "Es wäre von Grund auf falsch zu glauben, dass wir Angehörigen unsere lieben Depressionskranken heilen können. Alles, was wir tun können, ist ihnen (und uns) das Leben etwas erleichtern."

Immer mal wieder wird darauf hin gewiesen, dass Therapie und Medikation wichtig seien (die Ärztin Christine Rummel-Kluge schreibt: "Ziehen Sie einen Arzt zu Rate!"), ganz so, als ob die Therapie von Seelenerkrankungen eine wissenschaftliche Disziplin sei. Skeptisch bin ich auch über die Aussage, es bestehe "die achtzigprozentige Sicherheit, dass unser Partner, Vater, Frau. Tochter, Sohn, Freund wieder ganz gesund wird, mit dem Unterschied vielleicht, dass er oder sie das Leben anders anschaut und geniesst als vor der Krankheit." Anders gesagt: Man kann nicht wirklich wissen (beziehungsweise messen), ob eine Therapie bewirkt, was sie zu bewirken vorgibt..

Ich selber halte mehr von der Selbsthilfe der Betroffenen (und das schliesst die Angehörigen mit ein), weshalb mir denn auch diese Schilderung von John Kummer ganz besonders gut gefallen hat:
"Wir fuhren also los Richtung Klinik. Unterwegs wuchs meine Angst immer mehr, bis ich sagte: 'Du, das mit der Klinik ist ein Fehler, wir fahren zurück.' Im Nachhinein bewundere ich meine Frau in der damaligen Lage. Sie hatte das Steuer fest in der Hand, Entschlossenheit im Gesicht, Augen geradeaus und sagte nur das eine Wort aus zusammengepressten Lippen: 'Mitnichten.'
Das war dann auch das Ende meiner Schwellenangst und ich liess den Rest des Tages willenlos an mir vorbeiziehen. So schlimm war es dann auch wieder nicht. Allerdings war es auch wieder meine Frau, die mir nach vielen Wochen telefonisch riet: 'Du, sag dem Arzt, dass du nach Hause willst, denn was die dort mit dir machen, das können wir beide zuhause auch.' Das geschah dann auch so."

Fritz Kamer / John P. Kummer
Depression? Wie helfen?
Das Buch für Angehörige
Kösel-Verlag, München 2012

Sonntag, 18. November 2012

Borderline verstehen und bewältigen

 Dieser Ratgeber solle deutlich machen, schreibt Ewald Rahn im Vorwort, "dass die Auseinandersetzung mit der Diagnose nur ein Teil des Problems und der Problemlösung darstellt und dass vor allem dem subjektiven Erleben eine Schlüsselrolle zukommt." Wahre Worte! Denn es gilt ganz generell: Im Bereich der seelischen Störungen sind Definitionen und Zuordnungen oft recht willkürlich. Zudem sind im Falle von Borderline die Überlappungen mit Depression, Sucht, Neurose etc. derart, dass man sich ernsthaft fragen kann, ob es diese Krankheit überhaupt gibt. Die Antwort ist: Ja, es gibt sie, doch ihre Ausprägungen sind alles andere als einheitlich, sondern individuell ganz verschieden. Anders gesagt: den Boderliner gibt es nicht, es gibt nur Menschen, die mehr oder weniger unter der Borderline-Problematik leiden. Und nicht einmal das tun sie ständig, sondern häufig nur in bestimmten Situationen.

Auch wenn die "Borderline-Störung" ein noch junger Begriff ist, das Phänomen wurde bereits im 17. Jahrhundert beschrieben. So berichtete der  Arzt T. Sydenham von Menschen, "die durch ihre ausserordentliche 'Launenhaftigkeit' auffielen. Sie würden ohne jedes Mass jene lieben, die sie alsbald ohne jeden Grund hassen würden; die ausserordentlichen Aufregungen des Geistes dieser Kranken entstünden, so Sydenham, aus plötzlichen Ausbrüchen von Wut, Schmerz, Angst und ähnlichen Emotionen."

Verlaufsstudien zeigen, "dass viele Betroffene im Laufe ihres Lebens Selbstheilungskräfte entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Krankheitssymptome zu kompensieren und für sich Perspektiven zu finden."

Die Borderline-Störung, so Rahn, lasse keine radikale Lösung zu. "Sind die Erwartungen zu hoch, stellen sich sehr schnell Überforderungen ein und Enttäuschungen sind die Folge. Damit steigt das Leid sogar noch." Die Überwindung der Borderline-Störung solle deshalb in Stufen angegangen werden.

Welche Therapie für welchen Patienten günstig ist, lässt sich schwer sagen, doch kann eine Therapie "im Allgemeinen keine unmittelbare Veränderung der Lebensgestaltung bewirken". Vielmehr dient sie dazu, "die Möglichkeiten des Patienten zu erweitern, um die durch die Krankheit bedingten Symptome zu meistern."

Man ist in der Tat gut beraten, wenn man sich bei seelischen Störungen von einer Therapie nicht allzu viel erwartet, auch weil über das Innenleben des Menschen verbindliche Aussagen zu machen, der Subjektivität der Empfindungen wegen, schlicht nicht möglich ist. Genauso unmöglich ist übrigens, wissenschaftlich begründbare Aussagen über das Seelenleben zu machen. Wie schrieb doch Gerry Spence in "Half-Moon and Empty Stars": "He had learned that what most called knowledge was argument. Even the scientists couldn't agree on most things."

PS: Für mich besonders interessant an diesem gut geschriebenen und informativen Ratgeber waren unter anderem die Ausführungen zu Drogen und Alkohol: "Es ist sinnvoll, sich immer wieder die negativen Folgen des Konsums vor Augen zu führen. Auch der Gewinn an Lebensqualität und das Mehr an Genuss sollten immer wieder erinnert werden." Das ist ziemlich banal? Sicher, doch deswegen nicht falsch. Und überhaupt: Magische Formeln gibt es bei Seelenerkrankungen nun einmal nicht.

Ewald Rahn
Borderline verstehen und bewältigen
Balance buch & medien verlag, Bonn 2010

Sonntag, 11. November 2012

Addicted Medics

Thousands of doctors are continuing to treat patients while hiding their own problems with drink, drugs and depression because of a "culture of invincibility" among health professionals.

Each year hundreds of medics are treated for addiction and mental health issues, according to official statistics. But researchers investigating the issue say that this masks a much bigger problem, with thousands of doctors concealing their symptoms.

The extent of ill-health among doctors – often put down to burn-out caused by the high-pressure demands of their job – was highlighted in a General Medical Council report detailing 1,384 doctors who had been assessed for underlying health concerns over the past five years. Of these, 98 per cent were diagnosed with alcohol, substance misuse or mental health issues.

Some 544 doctors were found to have drink-related problems and 598 were diagnosed with mental conditions such as neuroses.

For more, see here

Sanchez Manning
The doctor battling drink and depression will see you now ...
The Independent on Sunday, 4 November 2012

Sonntag, 4. November 2012

Sigmund Freud

Freud als Graphic-Novel, was soll das bringen? Nun ja, eine etwas andere Sicht auf den Erfinder der Psychoanalyse zum Beispiel. Da die Graphic-Novel meist nicht besonders textlastig ist, müssen die Autoren dieses Genre die Fähigkeit haben, die Sachen auf den Punkt zu bringen, eine Gabe, die Corinne Maier, die Autorin von FREUD, zwar beherrscht, auch wenn sie gelegentlich übers Ziel hinausschiesst: ich jedenfalls finde es daneben, Freud als Frauenfeind zu charakterisieren.

Dass Freud der Liebling seiner Mutter war, habe ich bestimmt auch schon mal gelesen, doch dann offenbar wieder vergessen, bis ich jetzt bei dem simplen Satz: "Ich war der Liebling meiner Mutter" erneut darauf gestossen bin. Ich bin mir recht sicher, dass ich das nicht mehr vergessen werde.

Freud erforschte die Geschlechtsorgane der Aale, befasste sich mit Kokain, einer damals noch unbekannten Substanz, und lernte in Paris, dass Ärzte über Nervenkrankheiten so ziemlich gar nichts wissen. Er beschloss, auf diesem Gebiet aktiv zu werden.

Das Unbewusste schien Freud zentral. Über den Traum sagt er, dass dieser "der Königsweg zum Unbewussten" sei. "Die Schubladen bleiben während des Schlafs geöffnet und können während des Traums durchsucht werden."

Schizophren, verrückt, obsessiv, neurotisch, depressiv, paranoid, das sind für Freud nur Etiketten. Und überhaupt: normal ist niemand. Gibt es dann also gar nichts zu heilen? "Doch, es heisst weniger zu leiden und sich für das eine oder das andere entscheiden zu können."

Was Freud vor gut hundert Jahren erkannt hat, gilt auch heute noch: dass nämlich das Verlangen unterdrückt wird und es darum geht, dieses Verlangen zu befreien, und zwar mit viel Freud(e).

Fazit: Ein in der Verkürzung manchmal nicht unproblematisches Werk, das unterhält und Lust macht, sich wieder einmal etwas eingehender mit Freud zu befassen.

Corinne Maier - Anne Simon
FREUD
Knesebeck Verlag, München 2012