„Trinken sollte zum Rausch führen. Punkt.“ Davon ist in diesem Essay die Rede, und zwar plaudernd und eloquent – man stellt sich den Autor als gerne gesehenen Gast bei Abendgesellschaften konventionell gebildeter Kreise vor.
Die Befürchtung Peter Richters, „dass es auf dem Gebiet des Trinkens zu einer ähnlich restriktiven Gesundheitspolitik kommen könnte wie zuletzt beim Rauchen“, teile ich. Und ebenso, dass Sinn und Zweck des Trinkens sei, dass Alkohol „in ausreichenden Mengen über das Blut ins Gehirn gelangen (sollte), um dort für ein paar Veränderungen zu sorgen.“ Warum sollte man auch sonst zum Alkohol greifen? Für Leute, die keine grossen Probleme mit gelegentlichem morgendlichem Kopfweh etc. haben, kann das durchaus bereichernd sein. Es gibt aber eben auch andere:
„Man hat ihr wieder den Führerschein abgenommen, sie ist das dritte Mal in den letzten anderthalb Jahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Ich sag zu ihr: „Herr im Himmel, kannst du nicht was trinken, ohne jedes Mal stockbesoffen zu werden?' Sagt sie: 'Was soll denn das für 'nen Sinn haben?'“ (Elmore Leonard: Callgirls).
Wenn einigen der Alkohol nicht bekommt und andere davon abhängig werden, ist das noch kein Grund den Alkoholkonsum zu verteufeln. Das sieht Richter genauso wie die Alkoholindustrie. Und sie haben natürlich recht.
„Abstinenz ist kein kontrolliertes Trinkverhalten“, sagen laut Richter die diplomierten Verkehrspsychologen. Und dass man „die eigene Trinkgeschichte aufarbeiten“ müsse. Das ist natürlich Blödsinn. Richtig ist dies: Wer ein Trinkproblem hat, soll mit dem Trinken aufhören und abstinent leben. Kontrolliertes Trinkverhalten ist für einen Alkoholiker eine Illusion, Abstinenz nicht.
Doch darum geht es Richter nicht. Er will denjenigen, die trinken, sagen, warum das vernünftig ist. Das liest sich häufig amüsant, etwa wenn er ausführt, der Mensch sei nicht des Ackerbaus wegen sesshaft geworden, sondern weil er zufällig den Alkohol entdeckte. „Ich glaube nicht, dass es schon damals Vegetarier gab, die freiwillig das Fleisch ziehen liessen, um auf das Wachsen der Beilagen zu warten. Ich weiss aber: Ein sehr starker Grund, irgendwo zu bleiben, ist die Aussicht auf den nächsten Drink.“
Es gehöre „zu den politischen Usanzen der Bundesrepublik, das Trinkverhalten von Politikern diskret zu behandeln“, schreibt Richter. „Wie sollte es auch anders gehen: Der gesamte politische Betrieb ist komplett eingelegt in Alkohol.“ Bei Richter sieht 'diskret' dann so aus: „Weinbrand-Willy“ (Willy Brandt), „Rotwein formte diesen Körper“ (Joschka Fischer), „..auch wenn schon damals erzählt wurde, dass Strauss nach einem Empfang einmal erst am nächsten Morgen schlafend in den Rabatten des Schlossgartens aufgefunden wurde – als er noch Bonner Verkehrsminister war und als die Kubakrise gerade auf den dritten Weltkrieg hinauszulaufen schien.“
„Die Kriege, die heute die Welt in Atem halten, sind überwiegend von Nichttrinkern vorangetrieben worden“, behauptet Richter und führt als Beleg islamistische Gotteskrieger, George W. Bush und Hitler an. Sicher, nicht zu trinken, macht einen noch lange nicht zu einem vernünftigen Menschen, doch zu suggerieren, dass trinken das tue, ist bei weitem unsinniger.
In einem Interview mit dem Zürcher Tagesanzeiger antwortete Richter auf die Frage, ob der Alkohol als Treibstoff für Schriftsteller (darüber lässt er sich in seinem Buch auch aus) nicht ein altes Klischee sei? „Es ist eine glückliche literaturhistorische, wenn auch medizinisch gewiss traurige Tatsache. Poe, Baudelaire, Hemingway, Faulkner, Fitzgerald – hätten Sie denen die Flasche wegnehmen wollen, jetzt mal so ganz im eigenen Interesse als Leser? Schon mal über Goethes Weinkonsum nachgelesen? Können Sie mir überhaupt einen guten Schriftsteller nennen, von dem sicher ist, dass er nicht zumindest gelegentlich trinkt, um in Fahrt zu kommen?“
Dazu fällt mir der Schriftsteller Ross Macdonald ein, der den alkoholkranken Musiker Warren Zevon im Spital besuchte. Zevon meinte, er habe Angst, dass er ohne Alkohol keine Musik mehr zustande bringe. Darauf sagte Macdonald: Du schreibst gute Musik trotz und nicht wegen des Alkohols.
Nur eben, davon handelt dieses Buch nicht.
Peter Richter
Über das Trinken
Wilhelm Goldmann Verlag, München 2011
Die Befürchtung Peter Richters, „dass es auf dem Gebiet des Trinkens zu einer ähnlich restriktiven Gesundheitspolitik kommen könnte wie zuletzt beim Rauchen“, teile ich. Und ebenso, dass Sinn und Zweck des Trinkens sei, dass Alkohol „in ausreichenden Mengen über das Blut ins Gehirn gelangen (sollte), um dort für ein paar Veränderungen zu sorgen.“ Warum sollte man auch sonst zum Alkohol greifen? Für Leute, die keine grossen Probleme mit gelegentlichem morgendlichem Kopfweh etc. haben, kann das durchaus bereichernd sein. Es gibt aber eben auch andere:
„Man hat ihr wieder den Führerschein abgenommen, sie ist das dritte Mal in den letzten anderthalb Jahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Ich sag zu ihr: „Herr im Himmel, kannst du nicht was trinken, ohne jedes Mal stockbesoffen zu werden?' Sagt sie: 'Was soll denn das für 'nen Sinn haben?'“ (Elmore Leonard: Callgirls).
Wenn einigen der Alkohol nicht bekommt und andere davon abhängig werden, ist das noch kein Grund den Alkoholkonsum zu verteufeln. Das sieht Richter genauso wie die Alkoholindustrie. Und sie haben natürlich recht.
„Abstinenz ist kein kontrolliertes Trinkverhalten“, sagen laut Richter die diplomierten Verkehrspsychologen. Und dass man „die eigene Trinkgeschichte aufarbeiten“ müsse. Das ist natürlich Blödsinn. Richtig ist dies: Wer ein Trinkproblem hat, soll mit dem Trinken aufhören und abstinent leben. Kontrolliertes Trinkverhalten ist für einen Alkoholiker eine Illusion, Abstinenz nicht.
Doch darum geht es Richter nicht. Er will denjenigen, die trinken, sagen, warum das vernünftig ist. Das liest sich häufig amüsant, etwa wenn er ausführt, der Mensch sei nicht des Ackerbaus wegen sesshaft geworden, sondern weil er zufällig den Alkohol entdeckte. „Ich glaube nicht, dass es schon damals Vegetarier gab, die freiwillig das Fleisch ziehen liessen, um auf das Wachsen der Beilagen zu warten. Ich weiss aber: Ein sehr starker Grund, irgendwo zu bleiben, ist die Aussicht auf den nächsten Drink.“
Es gehöre „zu den politischen Usanzen der Bundesrepublik, das Trinkverhalten von Politikern diskret zu behandeln“, schreibt Richter. „Wie sollte es auch anders gehen: Der gesamte politische Betrieb ist komplett eingelegt in Alkohol.“ Bei Richter sieht 'diskret' dann so aus: „Weinbrand-Willy“ (Willy Brandt), „Rotwein formte diesen Körper“ (Joschka Fischer), „..auch wenn schon damals erzählt wurde, dass Strauss nach einem Empfang einmal erst am nächsten Morgen schlafend in den Rabatten des Schlossgartens aufgefunden wurde – als er noch Bonner Verkehrsminister war und als die Kubakrise gerade auf den dritten Weltkrieg hinauszulaufen schien.“
„Die Kriege, die heute die Welt in Atem halten, sind überwiegend von Nichttrinkern vorangetrieben worden“, behauptet Richter und führt als Beleg islamistische Gotteskrieger, George W. Bush und Hitler an. Sicher, nicht zu trinken, macht einen noch lange nicht zu einem vernünftigen Menschen, doch zu suggerieren, dass trinken das tue, ist bei weitem unsinniger.
In einem Interview mit dem Zürcher Tagesanzeiger antwortete Richter auf die Frage, ob der Alkohol als Treibstoff für Schriftsteller (darüber lässt er sich in seinem Buch auch aus) nicht ein altes Klischee sei? „Es ist eine glückliche literaturhistorische, wenn auch medizinisch gewiss traurige Tatsache. Poe, Baudelaire, Hemingway, Faulkner, Fitzgerald – hätten Sie denen die Flasche wegnehmen wollen, jetzt mal so ganz im eigenen Interesse als Leser? Schon mal über Goethes Weinkonsum nachgelesen? Können Sie mir überhaupt einen guten Schriftsteller nennen, von dem sicher ist, dass er nicht zumindest gelegentlich trinkt, um in Fahrt zu kommen?“
Dazu fällt mir der Schriftsteller Ross Macdonald ein, der den alkoholkranken Musiker Warren Zevon im Spital besuchte. Zevon meinte, er habe Angst, dass er ohne Alkohol keine Musik mehr zustande bringe. Darauf sagte Macdonald: Du schreibst gute Musik trotz und nicht wegen des Alkohols.
Nur eben, davon handelt dieses Buch nicht.
Peter Richter
Über das Trinken
Wilhelm Goldmann Verlag, München 2011
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